Ausländische Gerichte
Wer Ware transportiert ist nicht immer Frachtführer (Beschluss vom 4. April 2016, Az. I ZR 102/15)
Wird ein Frachtauftrag vergeben, so ist derjenige, der die Ware transportiert, Frachtführer; er haftet nach den frachtrechtlichen Vorschriften. Wie aber liegt der Fall, der Frachtführer nun einen LKW samt Fahrer anmietet, damit dieser die Ware zum Bestimmungsort transportiert. Kommt es bei dem Transport zu einem Schaden - wie sieht die haftungsrechtliche Situation desjenigen aus, der die Ware tatsächlich fährt?
Das kommt darauf an! Bestimmt der tatsächlich Fahrende Elemente des Transports selbst, etwa die Fahrtroute, die Zeitplanung usw., so ist er Unterfrachtführer und haftet nach den transportrechtlichen Bestimmungen. Nun gibt es aber auch Fälle, in denen sich die Verpflichtung darauf beschränkt, Fahrer und Wagen zu stellen, während die gesamte Transportplanung sowie die Verantwortung für die Durchführung des Transports in den Händen desjenigen verbleiben, der Fahrer und Wagen angemietet hat. In diesem Fall ist derjenige, der die Ware tatsächlich transportiert, nicht als Frachtführer anzusehen. Man spricht in einem solchen Falle von der sog. Lohnfuhr, eine Rechtsfigur, die so im schweizerischen Recht bislang, soweit ersichtlich, nicht diskutiert wird - dabei ist sie haftungsrechtlich tückisch.
Wie ist es nun, wenn der Fahrer eine Fahrlässigkeit begeht und es dadurch zu einem Schaden kommt, etwa weil er mit wertvoller Ware statt auf einem bewachten Parkplatz in einer dunklen Parkbucht in Norditalien seine vorgeschriebene Ruhezeit einhält? Da der Lohnfuhrunternehmer nicht als Frachtführer gilt, kann er nicht nach den transportrechtlichen Regeln in Anspruch genommen werden.
Wie aber sieht seine Rechte- und Pflichtensituation aus? Die Lohnfuhr ist nicht eigenständig geregelt, sondern die vertraglichen Pflichten sind aufgrund des konkreten Vertrags im Einzelfall zu bestimmen. Stellt der Lohnfuhrunternehmer, wie im Regelfall, Fahrer und Wagen, so handelt es sich in Bezug auf den Wagen um einen Mietvertrag, während die Stellung des Fahrers als Dienstverschaffung zu qualifizieren ist.
Daraus folgt, dass sich die Pflicht darauf beschränkt, ein mangelfreies Fahrzeug zu stellen und dafür Sorge zu tragen, dass der Fahrer über die für den Vertrag erforderliche Qualifikation aufweist bzw. sofern keine besonderen Qualifikationen nötig sind, durchschnittlich qualifiziert ist. Macht nun der in dieser Weise qualifizierte Fahrer einen Fehler und kommt es dabei zu einem Schaden oder einem Verlust der Ware, so kann der Lohnfuhr-Unternehmer nicht als haftende Person herangezogen werden! Dies entspricht gängiger Rechtsprechung im deutschsprachigen Raum (s. OGH Liechtenstein, Beschluss vom 05. August 1999, Az. 4 C 201/98-23; österr. OGH, Entscheidung vom 08. September 1983, Geschäftszahl 7Ob643/83). Soweit der deutsche Bundesgerichtshof in einer Entscheidung von 1975 (BGH NJW 1975, 780) den Lohnfuhr-Unternehmer in gleicher Weise wie den Frachtführer haften liess, war dies der damaligen Sondersituation infolge des Güterkraftverkehrsgesetzes (GüKG) geschuldet, das das Anmieten von Fahrzeugen nebst Fahrer unter Eingliederung in den eigenen Betrieb zur Durchführung von Transporten verbot.
Da der Lohnfuhrunternehmer somit als selbständiger Unternehmer auftreten musste, der für die Einhaltung der aus dem GüKG sich ergebenden Pflichten selbst verantwortlich war, erschien dem BGH eine Haftung gleich einem Frachtführer billig. In seinem Beschluss vom 4. April 2016, Az. I ZR 102/15, Rd.-Nr. 20 hat der deutsche Bundesgerichtshof nunmehr klargestellt, dass dieses Ergebnis auf der Basis der aktuellen Rechtslage, die die Lohnfuhr uneingeschränkt gestattet, nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Auch der liechtensteinische OHG hatte in seiner bereits zitierten Entscheidung darauf hingewiesen, dass die damalige deutsche Einordnung sich nur vor dem Hintergrund der Rechtslage des GüKG in der 1975 geltenden Fassung rechtfertige.
Der Auftraggeber des Lohnfuhrunternehmens muss sich somit auf die begrenzte Haftung des Lohnfuhrunternehmens für den mängelfreien LKW sowie den durchschnittlich geeigneten Fahrer einstellen, während er seinem Auftraggeber, dem gegenüber er den Transport der Ware übernommen hatte, nach den jeweils auf den Frachtvertrag anwendbaren Rechtsregeln haftet. Kommt es infolge Fahrlässigkeit des Fahrers, den der Lohnfuhrunternehmer gestellt hat, zu einem Schaden, muss er damit rechnen, keinen Regress nehmen zu können. Allerdings kann die Haftung des Lohnfuhrunternehmers vertraglich anderweitig geregelt werden, etwa durch Vereinbarung der in der Praxis nicht sehr verbreiteten Vertragsbedingungen für den Güterkraftverkehrs-, Speditions- und Logistikunternehmer (VBGL), deren § 9 Abs. 2 die frachtrechtlichen Regelungen dieses Bedingungswerks auch auf den Lohnfuhrunternehmer erstreckt.
Überhaupt empfiehlt es sich, die Vertrags- und Versicherungssituation genau zu prüfen, denn Gefahr droht noch aus einer unbeachteten Richtung: der Fahrer kann von dem geschädigten Auftraggeber des Transports deliktisch in Anspruch genommen werden. Hier gilt es einerseits, den Fahrer gegen dieses Risiko abzusichern. Des Weiteren hat ein Arbeitnehmer (hier: der Fahrer) gegen den Arbeitgeber (hier: der Lohnfuhr-Unternehmer) einen Anspruch auf Freistellung, wenn er auch dem Arbeitgeber selbst nach den Grundsätzen der gefahrgeneigten Tätigkeit nicht (bei leichter Fahrlässigkeit) oder nur anteilsmässig (bei mittlerer Fahrlässigkeit) haften würde - der Arbeitgeber muss ihm dann den entsprechend an den Dritten gezahlten Schadenersatz erstatten. Über diese Hintertür kann es also im Extremfall mittelbar zu einer im schlimmsten Falle 100%igen Zahlung des Schadens durch den Lohnfuhrunternehmer kommen.
Diese Urteilsanmerkung von Ass. iur. Thorsten Vogl ist bereits auf dem Blog von GSL Consulting erschienen.