Station 4
Akademieprojekte 1647 und 1847
In den Räumlichkeiten des Luzerner Jesuitenkollegiums an der Bahnhofstrasse 18 befindet sich heute das Bildungs- und Kulturdepartement des Kantons Luzern. In diesem Gebäude wurde ab 1579 ein Gymnasium betrieben, und ab 1599 zusätzlich eine Höhere Lehranstalt für Theologie und Philosophie.
Das Jesuitenkollegium erlebte seine Blütezeit im 17. Jahrhundert, als dort bis zu 600 Schüler und Studenten eingeschrieben waren. Im Jahr 1647 wäre es beinahe zur Gründung einer Akademie mit dem Recht der Verleihung aller akademischen Grade gekommen. 200 Jahre später war sogar ein Ausbau in Richtung einer Universität geplant.
Näheres dazu erfahren Sie im Audiobeitrag oder im vollständigen Text "Akademieprojekte 1647 und 1847".
Bis zu 600 Schüler und Studenten waren im 17. Jahrhundert am Luzerner Jesuitenkollegium eingeschrieben; die Mehrheit stammte aus Luzern, viele kamen aus Nachbargebieten. Obwohl das Studium lediglich jungen Männern zugänglich war und Frauen ausgeschlossen blieben, erlebte die Lehranstalt in dieser Epoche ihre Blütezeit. Die Zahl der Studenten fiel ins Gewicht, weil die Stadt damals erst rund 4000 Einwohnerinnen und Einwohner zählte.
Für Absolventen des Gymnasiums gab es seit dem Jahr 1600 ein weiterführendes Angebot für höhere Studien. Nach und nach wurden Professuren eingerichtet: drei für Philosophie und vier für Theologie. Um dem Werk die Krone aufzusetzen, wollte die Regierung eine richtige, zeitgemässe Akademie gründen. Sie stellte 1647 in Rom das Gesuch, das Luzerner Jesuitenkollegium mit dem Recht der Verleihung aller akademischen Grade auszustatten – selbst den Kaiser in Wien wollte man für das Vorhaben gewinnen. Bereits waren alle notwendigen Grundlagen geschaffen – da scheiterte das Vorhaben praktisch im letzten Moment. Ursache war ein vergleichsweise banales juristisches Problem: Es ging um die Frage, welcher kirchlichen Instanz das Recht zur Aufsicht und Inspektion zukommen sollte: dem Provinzial der Jesuiten – oder dem Nuntius, der als ständiger Botschafter des Papstes seinen Sitz in Luzern hatte. Die externe Instanz war notwendig, um den Abschlüssen auch im Ausland die notwendige Anerkennung zu verschaffen; es war eine Qualitätssicherungsmassnahme, vergleichbar mit der heute geltenden Akkreditierungspraxis. Weil keine Einigung zustande kam, scheiterte das Projekt. Im Rückblick sollte es sich als geradezu historischer Moment erweisen; denn damit war die erste Chance verpasst, in Luzern den Grundstein für eine Universität zu legen. Es blieb bei der Höheren Lehranstalt mit ihrem Gymnasium und dem Studienangebot in Philosophie und Theologie.
Es dauerte zweihundert Jahre, ehe der Ausbau zu einer Universität erneut auf die Tagesordnung kam. Luzern stand erneut im Brennpunkt einer weltanschaulichen und politischen Polarisierung. Die 1830er-Jahre rissen Gräben auf zwischen den grossen Blöcken der Liberalen und der Konservativen und damit zwischen jenen, welche das Rad hinter die Aufklärung und die Französische Revolution zurückdrehen wollten und jenen, die dabei waren, aus der Schweiz einen modernen bürgerlichen Staat zu formen. In Luzern begann nach einem konservativen Wahlsieg im Jahr 1841 der politische Rückbau. Dazu gehörte die erneute Übertragung von Professuren der Höheren Lehranstalt Luzern an Jesuiten. Dieser höchst umstrittene, besonders symbolträchtige Schritt wirkte in der ganzen Schweiz als Fanal; denn die Jesuiten galten als Inbegriff der politischen Reaktion und des Konfessionalismus. Ihre Berufung wurde zum Auslöser einer Ereigniskette, die schliesslich in den Sonderbundskrieg münden sollte.
Trotz aller Widerstände auch aus dem eigenen Kanton behielt die Luzerner Regierung ihren Kurs bei. Sie suchte das konservative Profil zusätzlich auch kulturell zu festigen. Um ein Gegengewicht zu den neuen Universitäten Zürich und Bern zu setzen, gründete sie die "Akademie des hl. Karl Borromäus". Diese nahm prominente konservative Exponenten als Mitglieder auf, gab eine gelehrte Zeitschrift heraus und plante für den Winter 1847/48 eine grosse Veranstaltungsreihe. Beabsichtigt war bald auch ein Ausbau in Richtung Universität. Dafür wollte man allen Ernstes vom unmittelbar bevorstehenden Krieg profitieren und aus Reparationszahlungen, die man nach dem sicher geglaubten Sieg fest erwartete, eine Million Franken als Dotationskapital reservieren. Die Niederlage Ende November 1847 machte solch hochfliegende Pläne mit einem Schlag zunichte; die konservative Regierung und die Jesuiten wurden aus Luzern vertrieben. Die Rückkehr zur vormodernen Ordnung war vom Tisch; der Weg zur Gründung des heute noch bestehenden Bundesstaates geebnet. Zum zweiten Mal war in Luzern ein Projekt zur Errichtung einer Universität gescheitert.