Ausländische Gerichte
Kündigt der Absender den Frachtvertrag aus Gründen, sie nicht dem Frachtführer zuzurechnen sind, so kann der Frachtführer Schadenersatz fordern. In § 415 Abs. 2 HGB sind zwei Varianten zur Geltendmachung des Schadensersatzes durch den Frachtführer vorgesehen: "Kündigt der Absender, so kann der Frachtführer entweder 1. die vereinbarte Fracht, das etwaige Standgeld sowie zu ersetzende Aufwendungen unter Anrechnung dessen, was er infolge der Aufhebung des Vertrages an Aufwendungen erspart oder anderweitig erwirbt oder zu erwerben böswillig unterläßt, oder 2. ein Drittel der vereinbarten Fracht (Fautfracht) verlangen".
Bislang war umstritten, ob der Frachtführer, der zunächst Ansprüche aus § 415 Abs. 2 Ziff. 1 HGB geltend gemacht hat, an diese Wahl gebunden ist oder ob er im Laufe des Verfahrens, insbesondere in den Folgeinstanzen, umschwenken und nur noch die Fautfracht geltend machen kann.
Der Bundesgerichtshof hat nun klargestellt (Urteil I ZR 252/15 vom 28. Juli 2016), dass ein Umschwenken auf die Fautfracht durchaus möglich bleibt. Ein solches Vorgehen stelle keine Klagänderung dar, sondern nur die Beschränkung oder Modifikation eines bereits zuvor gestellten Antrags, die sich auf einen Sachverhalt stützt, den der Tatrichter bereits gewürdigt hat. Die Ausschlussgründe für eine Klagänderung (§§ 263, 267, 533 ZPO) gelten daher nach § 264 Abs. 2 ZPO nicht – der Kläger, der zunächst Schadenersatz nach § 415 Abs. 2 Ziff. 1 HGB geltend gemacht hat, darf deswegen im Berufungs- und sogar im Revisionsverfahren stattdessen auf die Fautfracht „umschwenken“.
Zudem stellt der Bundesgerichtshof erfreulicherweise klar, dass es sich bei den beiden Schadenersatz-Alternativen nicht um eine Wahlschuld handelt, sondern um eine gesetzlich nicht geregelte elektive Konkurrenz handelt. Die Regelungen der Wahlschuld (§§ 262 – 265 BGB) finden deswegen keine Anwendung und somit auch nicht § 263 Abs. 2 BGB, der eine einmal vorgenommene Wahl für verbindlich erklärt.
Dem Gesetzgeber könne auch keine Absicht unterstellt werden, er habe die Verbindlichkeit einer einmal vorgenommenen Auswahl im Rahmen des § 415 HGB gewollt. Dies ergibt die Auslegung dieser Vorschrift: er geht offensichtlich von der Parallelität beider Ansprüche aus. Zudem sei es unbillig, dem Frachtführer, der im Rahmen des Schadenersatzes aus § 415 Abs. 2 Ziff. 1 HGB Schwierigkeiten hat, die Höhe seiner Ersparnisse zu beweisen, zu verbieten, nunmehr auf die Fautfracht auszuweichen. Ein solcher Wechsel kann auch prozessökonomisch und damit sinnvoll sein, da er erlaubt, eine zeit- und kostenintensive Beweiserhebung zu umgehen.
Das Argument der Gegenauffassung, die eine einmal getroffene Wahl für verbindlich erachtet, da sonst dem Kläger quasi als „Testballon“ erlaubt sei, zunächst auszutesten, ob man mit dem regelmässig höheren konkret berechneten Schadenersatzanspruch Erfolg hat, um bei Schwierigkeiten dann auf die Fautfracht auszuweichen. Diese Auffassung berücksichtige nicht, dass ein solcher „Testballon“ dazu führen kann, den Kläger, der dann einen niedrigeren Anspruch zugebilligt bekommt als ursprünglich geltend gemacht, mit einem Teil der Prozesskosten zu belasten. Zudem kann er auf den Kosten einer Beweisaufnahme, die sein ursprüngliches Klagbegehren ausgelöst hatte, vollständig „sitzen bleiben“. Deswegen dürfte der Anreiz für „Testballons“ eher gering sein.
Dieser Beitrag wurde in einer leicht abgewandelten Form bereits auf dem Blog der GSL Consulting veröffentlicht.
Ass.iur. Thorsten Vogl, Vizepräsident Swisscham Africa (Handelskammer Schweiz-Afrika), Mitglied des Vorstands der Ständigen Schweizerischen Schiedsgerichtsorganisation (SGO) Zürich, Dozent für allgemeine Rechtskunde sowie für Transport- und Logistikrecht an der ABB Technikerschule Baden (AG), Ehrenmitglied der Association pour l’unification du droit en Afrique (UNIDA), Paris