Der Unionszollkodex für Schweizer Unternehmen
Die Europäische Union hatte bereits im Jahre 2008 ein neues Zollrecht für die EU schaffen wollen. Seinerzeit trat der Modernisierte Zollkodex (MZK) in Kraft. Praktisch ist dieser aber nie vollständig zur Anwendung gelangt. Der Grund dafür war seinerzeit, dass die entsprechenden Veränderungen an den IT-Systemen nicht innerhalb der angedachten Zeit umgesetzt werden konnten.
Dennoch hat man nun im zweiten Anlauf den Modernisierten Zollkodex wieder herangezogen und auf dessen Basis den Unionszollkodex (UZK) geschaffen. Der Unionszollkodex fusst dabei weitestgehend auf den Regelungen des Modernisierten Zollkodex. Dass man nicht einfach mit dem Modernisierten Zollkodex weitergearbeitet hat, lag letztendlich daran, dass man einerseits partiell festgestellt hat, dass aufgrund der tatsächlichen Entwicklungen noch Anpassungen am Modernisierten Zollkodex vorzunehmen waren. Andererseits wurden durch den Vertrag von Lissabon die Ermächtigungen der Kommission für den Erlass eigener Rechtsakte ausgeweitet, sodass auch dieser Tatsache Rechnung getragen werden musste. Auch aus diesem Grund bot sich eine Überarbeitung an.
1. Einführung
Relevante Änderungen in den Zollabläufen gibt es vor allem für in der Europäischen Union ansässige Unternehmen. Da die Schweiz gegenüber der Europäischen Union „Drittland“ ist, können Unternehmen aus der Schweiz ohnehin nur in geringem Umfang zollrechtliche Erklärungen abgeben und Verfahren in der Europäischen Union in Anspruch nehmen.
Für Unternehmen aus der Schweiz dürfte sich daher das neue Zollrecht eher als „alter Wein in neuen Schläuchen“ darstellen. Dennoch gibt es vereinzelte Veränderungen, die auch aus Schweizer Sicht wichtig zu kennen sind. Diese sollen nachfolgend dargestellt und auf ihre Relevanz für den Handel mit Unternehmen in der Europäischen Union untersucht werden. Zuvor soll kurz auf die Gründe für die Schaffung eines neuen Zollrechtes eingegangen werden.
1.1 Gründe für eine Modernisierung
Gegenüber dem ursprünglichen Zollkodex gab es an zahlreichen Stellen Gründe dafür, dass eine Überarbeitung der Zollvorschriften notwendig erschien. Dieses ergibt sich am deutlichsten aus den Erwägungsgründen zum neuen Unionszollkodex.
Gerade die Tatsache, dass die internationalen Warenströme erheblich zugenommen haben und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in der Europäischen Union massgeblich auch davon abhängt, Ware schnell zu im- bzw. exportieren, führte dazu, dass ein schlankeres und effizienter abzuwickelndes Zollrecht geschaffen werden musste. In Erwägungsgrund 16 zum Unionszollkodex heisst es diesbezüglich sogar, dass der Zoll „Katalysator für die Wettbewerbsfähigkeit von Ländern und Unternehmen“ geworden sei.
Um eine schnelle und verschlankte Abwicklung im Zollwesen zu erreichen, wird mit dem Unionszollkodex insbesondere auch die Einführung eines papierlosen Arbeitsumfeldes für Zoll und Handel gefordert. Nur durch eine konsequente Ausnutzung aller Möglichkeiten der Digitalisierung lassen sich die Kosten der Wirtschaft erheblich senken. Dementsprechend ist in den Erwägungsgründen zum Unionszollkodex massgeblich festgehalten worden, dass alle Zoll- und Handelsvorgänge elektronisch bearbeitet werden sollten.
Wenn auch der Unionszollkodex grundsätzlich seit dem 1. Mai 2016 Anwendung findet, so ist für die Umstellung der IT-Systeme eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2020 vorgesehen.
1.2 Aufbau des UZK
Der neue Unionszollkodex ist grundsätzlich anders aufgebaut als der bisherige Zollkodex. Schwerwiegendste Neuerung unter dem Unionszollkodex ist, dass das Zollrecht nun zersplitterter und unübersichtlicher ist als noch unter dem alten Zollkodex. Das liegt daran, dass es nicht „das Europäische Zollrecht“ gibt, sondern tatsächlich drei verschiedene Rechtsquellen, aus deren Zusammenspiel sich das Europäische Zollrecht ergibt.
Zunächst einmal gibt es den sogenannten Basisrechtsakt des Unionszollkodex. Es handelt sich hier gewissermassen um das Fundament des Unionszollkodex. Mit der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates wurde der Zollkodex der Union festgelegt.
Während der Basisrechtsakt (UZK) die Grundlage für das neue Europäische Zollrecht legt, wird dieser durch einen sogenannten Delegierten Rechtsakt (UZK-DelVO) der Europäischen Kommission vervollständigt.[1] Das Instrument der Delegierten Rechtsakte wurden durch den Vertrag von Lissabon im Jahre 2009 eingeführt. Mit diesen überträgt der Gesetzgeber der Kommission die Befugnis, eigene Rechtsakte zu erlassen. Diese überlagern dann den Basisrechtsakt. Allerdings beziehen sich diese immer nur auf nichtwesentliche Vorschriften des Basisrechtsaktes. Wesentliche Änderungen kann nur der Unionsgesetzgeber selbst vornehmen.
Die Kommission kann in den Delegierten Rechtsakten bestimmte Einzelheiten festlegen, aber auch in ausgewählten Aspekten vom Unionszollkodex abweichen. Daher wurden in 256 Artikeln zahlreiche weiterführende Aspekte durch die Kommission geregelt, wie beispielsweise der Geltungsbereich der zollrechtlichen Vorschriften, die Rechte und Pflichten in Bezug auf zollrechtliche Vorschriften, Detailregelungen zum zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten (AEO), Regelungen zum Warenursprung, dem Zollwert, der Zollschuld und Sicherheitsleistung, der Erhebung und Entrichtung der Zollschuld sowie Erstattung und Erlass von Einfuhrabgaben, dem Erlöschen der Zollschuld, den einzelnen Zollverfahren, der Überprüfung und Überlassung von Waren und der Ausfuhr derselben.
Zusammengefasst umfasst der Delegierte Rechtsakt insofern Detailbestimmungen zu allen Aspekten des Unionszollkodex. Unionszollkodex und Delegierter Rechtsakt müssen also in jedem Fall zusammen gelesen werden. In den entsprechenden Artikeln des Delegierten Rechtsaktes ist Bezug genommen worden auf den jeweiligen Artikel im Basisrechtsakt, sodass die Verknüpfung leicht hergestellt werden kann.
Weitere Detailregelungen finden sich sodann in der Unionszollkodex-Durchführungsverordnung (UZK-DVO)[2]. Hier sind massgeblich weitere Verfahrensbestimmungen für die Anwendung der Zollvorschriften festgehalten worden.
2. Änderungen für Unternehmen aus der Schweiz
Wie bereits dargestellt, dürften sich die praktischen Auswirkungen für Unternehmen aus der Schweiz eher gering darstellen. Die Änderungen, die sich auf Unternehmen aus der Schweiz am ehesten auswirken können, sollen nachfolgend dargestellt werden.
2.1 Grenznahe Abfertigung
Eine neue Besonderheit liegt bei der grenznahen Abfertigung vor. Normalerweise kann eine Zollanmeldung nur von Unternehmen abgegeben werden, die im Gebiet der Europäischen Union ansässig sind. Das ist auch in Art. 170 Abs. 2 UZK so fortgeschrieben worden.
Unter dem alten Zollkodex war allerdings anerkannt, dass im grenznahen Verkehr mit der Schweiz eine Ausnahme von diesem Grundsatz gemacht werden konnte. Schweizer Logistikdienstleister konnten als Zollanmelder bei grenznahen Zollstellen in den Bezirken der Hauptzollämter Ulm, Singen und Lörrach Zollanmeldungen abgeben. Insofern wurde in den Dienstvorschriften der deutschen Bundesfinanzverwaltung festgehalten, dass innerhalb einer Grenzzone von zehn Kilometern auf deutschem Boden auch eine Abfertigung durch Schweizer Unternehmen erfolgen könne. Voraussetzung für die Anwendung dieser Ausnahmeregelung war lediglich die Verpflichtung des schweizerischen Anmelders, den Zugriff der deutschen Zollverwaltung auf Unterlagen und Daten der Buchführung, die für eine nachträgliche Prüfung erforderlich sind, zu gewährleisten. Gestützt wurde diese Ausnahme auf Art. 64 Abs. 3 ZK und das geltende Gewohnheitsrecht.
Diese Ausnahmevorschrift ist nunmehr minimal modifiziert worden, mit aber möglicherweise weitreichenden Konsequenzen. Jetzt ist in Art. 170 Abs. 3 UZK festgehalten worden, dass vom Ansässigkeitsprinzip in der Union nur noch dann eine Ausnahme gemacht wird, wenn die „Waren an einer Grenzzollstelle der Union“ gestellt werden. Die Grenzzollstelle muss nach dem Wortlaut zudem „an der Grenze zu diesem Land“ liegen. Damit dürfte eine Abfertigung für Schweizer Logistiker nur noch direkt an der Grenze möglich sein, nicht mehr aber im grenznahen Hinterland, wie dieses bislang der Fall war. Damit wäre die Möglichkeit einer grenznahen Abfertigung in Deutschland erheblich eingeschränkt. Zudem muss nach dem Wortlaut der Norm nachgewiesen werden, dass die Schweiz die grenznahe Abfertigung auch allen anderen europäischen Nachbarn (und nicht nur Deutschland) gewährt.
Derzeit existiert eine Verfügung zur Umsetzung des Unionszollkodex vom 27. April 2016, in der festgehalten wird, dass hinsichtlich der grenznahen Abfertigung weiterhin die Verfügungen zum alten Zollkodex gelten sollen, die auch die Abfertigung im Hinterland noch erlauben. Da diese Verfügungen aber mittlerweile im Widerspruch zu Art. 170 Abs. 3 UZK stehen, ist zu befürchten, dass diese im Rahmen einer Evaluierung gegebenenfalls mittelfristig aufgehoben werden. Spediteure aus der Schweiz sollten dieses daher bereits jetzt im Blick behalten.
Andererseits gibt es durch die Neuregelung aber auch Chancen für Schweizer Firmen. Denn mit der Neuregelung besteht auch die Möglichkeit in Italien, Frankreich und Österreich Zollanmeldungen in eigenem Namen abzugeben. Hier muss aber noch abgewartet werden, wie das Erfordernis der „Gegenseitigkeit“ durch die jeweiligen Länder oder den Europäischen Gerichtshof ausgelegt wird.
2.2 Änderungen beim Zollwert
2.2.1 Abschaffung von Vorerwerbspreisen
Eine entscheidende Änderung hat es auch bei den Vorerwerbspreisen gegeben. In der Praxis kommt es relativ häufig vor, dass die Waren vor dem Import in die Europäische Union mehrfach verkauft werden. So bezieht das Schweizer Unternehmen seine Waren aus China und verkauft diese an einen Abnehmer in der Union weiter. Es handelt sich hierbei um ein sogenanntes Reihengeschäft.
Der Importeur konnte nach altem Recht frei wählen, welchen Preis aus der Lieferkette er für die Ermittlung des Zollwertes zugrunde legen möchte. Insofern war es möglich, dass der Importeur für den Zollwert den Preis zugrunde legte, den das Unternehmen aus der Schweiz an den chinesischen Lieferanten gezahlt hat. Dieser Preis ist im Regelfall niedriger als der Preis, den der Importeur an das Schweizer Unternehmen gezahlt hat.
Art. 128 lit. d UZK-DVO führt hierzu aus, dass der Transaktionswert aufgrund des unmittelbar vor dem Verbringen der Ware in das Zollgebiet erfolgten Verkaufsgeschäftes bestimmt wird. Nach dem Wortlaut der Vorschrift kommt es dementsprechend jetzt nur noch auf das letzte Kaufgeschäft vor dem Verbringen der Ware in die Europäische Union an. Das schliesst dementsprechend die Anwendung von Vorerwerbspreisen aus.
Hierin liegt ein echter Wettbewerbsnachteil für Unternehmen aus der Schweiz. Denn ihre Abnehmer müssen nunmehr inklusive der Gewinnmarge des Unternehmens aus der Schweiz verzollen.
Vorerwerbspreise können gemäss Art. 341 UZK-DVO noch bis zum 31. Dezember 2017 angemeldet werden, wenn die Voraussetzungen des Vertrauensschutzes aufgrund eines Altvertrages vorliegen.
2.2.2 Hinzurechnung von Lizenzgebühren
Auch im Hinblick auf gezahlte Lizenzgebühren hat es Änderungen gegeben. Bislang sind Lizenzgebühren nur dann zollwerterhöhend berücksichtigt worden, wenn sie sich auf die eingeführten Waren bezogen und nach den Bedingungen des Kaufvertrages an den Verkäufer oder eine mit ihm verbundene Person zu entrichten waren (vgl. Art. 32 Abs. 1 lit. c ZK). Das war nur dann der Fall, wenn ohne Zahlung der Lizenzgebühr die Einfuhrware überhaupt nicht oder nicht zu den vereinbarten Konditionen geliefert werden konnte.
Aus Art. 136 Abs. 4 lit. c UZK-DVO folgt nun eine gesetzliche Vermutung dafür, dass diese Bedingung grundsätzlich vorliegt. Demnach wird grundsätzlich angenommen, dass Lizenzgebühren eine Bedingung für den Verkauf der Ware sind, wenn ohne Zahlung der Lizenzgebühren an einen Lizenzgeber die Waren nicht an den Käufer veräussert oder von diesem erworben werden können. Insofern muss nun der Wirtschaftsbeteiligte nachweisen, dass die Zahlung der Lizenzgebühr tatsächlich nicht Voraussetzung für den Kaufvertrag war. Dieses dürfte im Regelfall schwer möglich sein. Zwangsläufig werden damit wohl fast alle Lizenzgebühren in den Zollwert einbezogen.
2.3 Versandverfahren mit der Schweiz
Relevant ist für Schweizer Unternehmen insbesondere auch das Versandverfahren. Häufig werden Nicht-Unionswaren über europäische Seehäfen, z.B. Hamburg oder Rotterdam im Versandverfahren bis in die Schweiz befördert und erst dort zum zollrechtlich freien Verkehr abgefertigt (T1-Versand). Ferner können Unionswaren im T2-Versandverfahren beispielsweise in die Schweiz versendet werden. In diesen Fällen greift das Versandübereinkommen für die Warenbeförderung zwischen der Europäischen Union und den EFTA-Staaten (so genanntes gemeinsames Versandverfahren). Bezüglich der Versandverfahren gibt es lediglich redaktionelle Änderungen.[3] Denn diese basieren auf völkerrechtlichen Vereinbarungen, an denen sich durch das neue Zollrecht nichts geändert hat.
2.4 Stärkung des Authorized Economic Operator (AEO)
Für (europäische) Unternehmen lohnt es sich nach der Einführung des Unionszollkodex noch mehr, den Status als AEO zu beantragen. Denn eine Vielzahl von Zollvereinfachungen ist daran geknüpft, dass die formellen Voraussetzungen zur AEO-Bewilligung bestehen oder eine Zulassung als AEO tatsächlich vorliegt.
Derartige Vereinfachungen sind beispielsweise: Anspruch auf (reduzierte) Gesamtsicherheit bei mehreren Zollverfahren, Befreiung von der Sicherheitsleistung bei bestimmten Zollverfahren, Selbstveranlagung/Eigenbewertung oder eine reduzierte Sicherheit bei Zahlungsaufschub. Gerade letzterer Punkt ist für Speditionen und Logistikdienstleister wichtig.
Ob sich eine Beantragung für Unternehmen aus der Schweiz lohnt, ist unklar. Denn abgesehen von der grenznahen Verzollung können Schweizer Unternehmen in der Europäischen Union keine Zollanmeldungen abgeben, wenn sie dort nicht ansässig sind. Vielmehr muss in diesen Fällen grundsätzlich ein Zolldienstleister aus der Union als indirekter Vertreter und damit im eigenen Namen aber für fremde Rechnung auftreten. Dann kommt es aber vordergründig darauf an, ob der indirekte Vertreter AEO ist und nicht der schweizerische Exporteur.
Sinnvoller ist es, den Status als AEO vor dem Hintergrund eines Wettbewerbsvorteils zu beantragen und gegenüber den Abnehmern mit einer insgesamt sicheren Lieferkette zu werben. Insofern war das allerdings auch schon im alten Zollrecht die einzig massgebliche Motivation. Auch wenn der AEO für Wirtschaftsbeteiligte aus Europa erheblich aufgewertet wurde, haben in der Schweiz ansässige Unternehmen hiervon keinen direkten Vorteil. Wenn allerdings im Rahmen eines schweizerischen Konzerns eine eigene Zollabwicklungsgesellschaft in der Europäischen Union gegründet wurde, die die Waren dort einführt, kann sich für diese eine Zertifizierung als AEO sehr wohl lohnen.
Sollte doch eine Zertifizierung als AEO für ein Schweizer Unternehmen angedacht sein, so gilt es zu bedenken, dass Schweizer Unternehmen den Status als AEO grundsätzlich nicht in der Europäischen Union beantragen können. Denn Bewilligungsvoraussetzung ist gemäss Art. 38 Abs. 1 UZK die Ansässigkeit im Zollgebiet der Union. Bei juristischen Personen kommt es auf den satzungsmässigen Sitz oder die Hauptverwaltung an. Allerdings erlauben Art. 5 Nr. 31 lit. b und Art. 5 Nr. 32 UZK auch eine ständige Niederlassung innerhalb der Union zur Sitzbegründung. Insofern ist nicht völlig ausgeschlossen, dass auch Schweizer Unternehmen einen Status als AEO nach europäischem Recht erwerben können.
Sinnvoller dürfte es allerdings sein, den Status als AEO direkt in der Schweiz zu beantragen. Durch eine Änderung der Zollverordnung (Art. 112a ff. Zollverordnung) wurde in der Schweiz ein AEO-Status geschaffen. Der Status des Schweizer AEO wird in der Europäischen Union seither anerkannt.[4] Die Zahl der in der Schweiz als AEO zertifizierten Firmen ist derzeit aber immer noch gering.
2.5 Zollpräferenzen
Auch im Hinblick auf Zollpräferenzen hat es keine erheblichen Änderungen gegeben. Zwischen der Schweiz und Europäischen Union besteht weitestgehend Zollfreiheit. Da sich diese aus den entsprechenden Regeln des Freihandelsabkommens zwischen der Schweiz und der EU ergibt und dieses als Völkerrecht durch den Unionszollkodex nicht geändert wurde, gibt es keine wesentlichen Änderungen zu beachten.
Redaktionelle Änderungen hat es ansonsten nur bei den Lieferantenerklärungen gegeben. Mit diesen werden vom Lieferanten Angaben über den Warenursprung bestätigt, damit förmliche Präferenznachweise beantragt werden können. Langzeit-Lieferantenerklärungen können nun für maximal zwei Jahre statt einem Jahr ausgestellt werden. Detailregelungen finden sich nun in Art. 62 UZK-DVO und nicht mehr in einer separaten Verordnung[5], wie es nach altem Recht der Fall war. Der Text der Lieferantenerklärungen ist nun in den Anhängen 22-15 und 22-16 zur UZK-DVO enthalten.
2.6 Käufe EXW in der Europäischen Union
Ein derzeit noch ungelöstes Problem für Schweizer Unternehmen ergibt sich dann, wenn Ware von einem deutschen Unternehmen „ab Werk“ (EXW) gekauft und anschliessend in die Schweiz oder ein anderes Drittland verbracht wird. Zolltechnisch handelt sich hierbei um eine Ausfuhr. Für diese muss eine so genannte Ausfuhranmeldung durch den „Ausführer“ abgegeben werden. Ausführer ist gemäss Art. 1 Nr. 19 UZK-DelVO grundsätzlich derjenige, der über die Ausfuhr bestimmt. Dabei kann Ausführer aber nur derjenige sein, der auch innerhalb der Europäischen Union ansässig ist.
Das führt bei Verkäufen ab Werk zu folgendem Problem: Der Verkäufer bestimmt nicht über den Ausfuhrvorgang, da der Käufer die Ware am deutschen Werk selber abholt und in die Schweiz verbringt. Der Verkäufer kann daher nach dieser Definition nicht Ausführer sein. Der schweizerische Käufer, der über die Ausfuhr bestimmt, ist hingegen nicht in der Europäischen Union ansässig und kann dementsprechend auch nicht der Ausführer sein. Dementsprechend gäbe es nach der Definition für diese Fälle gar keinen Ausführer. Das kann allerdings nicht richtig sein. Die Europäische Kommission löst den Fall in den von ihr herausgegebenen Richtlinien so, dass das Schweizer Unternehmen als Ausführer gilt und für die Ausfuhranmeldung einen indirekten Vertreter für die Abgabe der Ausfuhranmeldung bestellen muss.[6] Die deutsche Zollverwaltung ist allerdings derzeit anderer Rechtsauffassung und fühlt sich an die Sichtweise der Kommission nicht gebunden. Sie wendet Art. 2 Nr. 3 S. 2 der EU-Dual-Use-Verordnung[7] entsprechend an.
Die Vorschrift bestimmt folgendes: Stehen bei einem Ausfuhrvertrag die Verfügungsrechte über die Güter einer ausserhalb der Europäischen Union niedergelassenen Person zu, so gilt als Ausführer die in der Europäischen Union niedergelassene Vertragspartei. Zwar gilt diese Verordnung nur für die Ausfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck. Da der Unionszollkodex für diese Fälle lückenhaft ist, sei eine entsprechende Anwendung angezeigt, zumal es sich bei den Richtlinien der Kommission um nicht rechtsverbindliche Leitlinien handele, die zudem nur von einem kleinen Teil der Mitgliedsstaaten der Union ausgearbeitet worden seien.
Wird Ware „ab Werk“ in Deutschland gekauft sollte daher mit dem Verkäufer und den Behörden in jedem Fall Klarheit hinsichtlich der Frage der Ausführereigenschaft geschaffen werden, damit keine Bussgelder verhängt werden. Auch sollte die weitere Entwicklung in diesem Bereich aufmerksam verfolgt werden.
2.7 Veredelungsverkehr
Praktisch relevant ist für viele Schweizer Unternehmen auch der Veredelungsverkehr. So werden teilweise Waren aus der Schweiz nach Deutschland oder in andere Mitgliedstaaten Europäischen Union gebracht. Dort werden diese dann bearbeitet und die Schweiz zurücktransportiert. Im Rahmen der aktiven Veredelung fallen dann in der Europäischen Union keine Einfuhrabgaben an. Bislang gab es im Rahmen der aktiven Veredelung sowohl das Zollrückvergütungsverfahren, als auch das Nichterhebungsverfahren.
Ersteres ist nunmehr weggefallen. Dementsprechend wird auf die Erhebung von Einfuhrabgaben während der Veredelung grundsätzlich verzichtet. Dementsprechend fallen auch bislang erhobene Ausgleichszinsen weg. Diese wurden erhoben, um die Zinsdifferenz zwischen den beiden unterschiedlichen Verfahren auszugleichen.
2.8 Neue Haftungsrisiken
Eine ganz erhebliche und oft übersehene Änderung ist die Ausweitung der Zollschuldnerstellung für (mittelbare) Falschangaben gegenüber den Zollbehörden.
Normalerweise wird Zollschuldner gemäss Art. 77 Abs. 3 UZK nur der Anmelder. Exportiert das Schweizer Unternehmen zur Lieferbedingung DAP, also unverzollt, so wird der Importeur in der Europäischen Union die Zollanmeldung abgeben und damit Zollschuldner sein. Das Schweizer Unternehmen kann vom Zoll grundsätzlich nicht in Anspruch genommen werden. Hatte der Verkäufer aus der Schweiz dem Importeur falsche Angaben geliefert, die zu einer Mehrverzollung führten, so gab es allenfalls zivilrechtliche Rückgriffsansprüche zwischen den Vertragsparteien.
Dieses ändert sich mit dem Unionszollkodex jetzt ganz entscheidend. Nach Art. 77 Abs. 3 UA 2 UZK wird auch die Person zum Zollschuldner, die die für die Zollanmeldung erforderlichen Angaben geliefert hat, wenn diese unzutreffend sind und die unzutreffenden Angaben dazu führen, dass die Einfuhrabgaben ganz oder teilweise nicht erhoben werden. Das gilt für alle Fälle, in denen die Ware zum zollrechtlich freien Verkehr oder zur vorübergehenden Verwendung unter teilweiser Befreiung von Einfuhrabgaben abgefertigt wird. Voraussetzung ist nur, dass derjenige, der die Angaben lieferte gewusst hat oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass die Angaben unrichtig waren. Insofern reichen Fälle einfachster Fahrlässigkeit aus, um auch den Schweizer Exporteur gegenüber den europäischen Zollbehörden haften zu lassen.
Das wäre beispielsweise dann denkbar, wenn der Schweizer Exporteur zusichert, dass es sich bei den Gütern um Ware mit Ursprung in der Schweiz handelt und entsprechende Zollpräferenzen bei der Einfuhr in die Union in Anspruch genommen werden. Stellt sich später heraus, dass dieses unzutreffend war (weil die Waren z.B. aus China stammten) und der Schweizer Exporteur dieses wusste, so wird er auch zum Zollschuldner. Die Haftung betrifft nicht nur den Exporteur, sondern auch jeden Dienstleister, der an der Lieferkette beteiligt war, sofern er den Fehler erkennen konnte.
Exporteure und Logistikdienstleister aus der Schweiz sollten dementsprechend mehr denn je Vorkehrungen dafür treffen, damit gegenüber ihren Kunden und den Zollbehörden keine falschen Angaben getätigt werden, die zu Zollnachzahlungen führen können.
[1] Vgl. Delegierte Verordnung (EU) 2015/2446 (DA) und Delegierte Verordnung (EU) 2016/651 zur Berichtigung des DA.
[2] Durchführungsverordnung (EU) 2015/2447 (IA).
[3] So wurde das EFTA-Übereinkommen über das gemeinsame Versandverfahren mit Beschluss vom 28. April 2016 vom gemischten Ausschuss EU-EFTA angepasst, vgl. Beschluss Nr. 1/2016, Abl. Nr. L 142/25 vom 31. Mai 2016.
[4] Grundlage für die gegenseitige Anerkennung mit der Schweiz ist das Abkommen vom 29. Juni 2009 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über die Erleichterung der Kontrollen und Formalitäten im Güterverkehr und über zollrechtliche Sicherheitsmaßnahmen, vgl. ABl. L 199 vom 31. Juli 2009, S. 22.
[5] Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1207/2001.
[6] Vgl. Export and Exit Out of the European Union – Title VIII UCC – Guidance for MSs Annex A, Ref. Ares(2016)2418814, S. 6.
[7] Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates vom 5. Mai 2009 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr von Gütern und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck, ABl. L 134, 29. Mai 2009.
Dr. Tristan Wegner, O&W Rechtsanwälte, ABC-Straße 21, 20354 Hamburg, Deutschland, www.owlaw.de/anwalt-zollrecht-hamburg