"Who is Who" im Transportrecht? – Über die Identifizierung von Rechtsansprüchen aus Transportabläufen
Welchem Akteur kommt während des Transports von Waren welche Rolle zu? Welche Funktion kommt den einzelnen Beteiligten eines Transportvorgangs gegenüber staatlichen Institutionen (Zoll und Finanzbehörden) zu? Liegt im jeweiligen Einzelfall ein Auftragsverhältnis vor? Welches Frachtpapier wurde ausgestellt? Welche Informationen liefern die Frachtdokumente?
Eben diese Fragen eröffneten ein spannendes Themenfeld für die „6. Luzerner Transportrechtstage“ am 17. März 2016 im Hotel Astoria. Bei herrlichstem Sonnenschein konnten die Ausrichter, die Kompetenzstelle für Logistik- und Transportrecht (KOLT) der Universität Luzern und die Swiss Shippers´ Council (SSC), rund 70 Vertreter der Wissenschaft und Praxis aus der Schweiz sowie dem nahen Ausland begrüssen. Die Anwesenheit von Teilnehmern aus verschiedenen Transportbranchen (Strasse, Schiene, Schiff und Flugzeug) sowie dem Banken- und Versicherungssektor versprach die interdisziplinäre Veranstaltung interessant und abwechslungsreich zu gestalten.
Megatrends im Strassengütertransport – Mehr als alter Wein in neuen Schläuchen?
Das Einführungsreferat von Prof. Dr. Wolfgang Stölzle (Lehrstuhl für Logistikmanagement, Universität St. Gallen) verschaffte den Teilnehmenden einen umfassenden Überblick über die Herausforderungen, welchen die Schweiz in den nächsten Jahrzehnten im Strassengüterverkehr begegnen wird. Mit der anschliessenden Visualisierung der anstehenden Trends im Strassentransport lieferte der Referent mögliche Lösungsansätze, um die steigende Belastung der Strassenverkehrsinfrastruktur und dessen Folgen zu mindern. Der Schweizer Gütertransport verläuft, ähnlich wie in den umliegenden Nachbarländern, überwiegend über die Strasse (58% in 2014; Bundesamt für Statistik 2015), gefolgt vom Schienenverkehr (41% in 2014; Bundesamt für Statistik 2015).
Trotz Einbruch nach der Wirtschaftskrise lässt sich eine tendenzielle Zunahme der Nutzung der Strassengüterinfrastruktur erkennen (Bundesamt für Statistik 2015). Eine Prognose des Bundesamtes für Raumentwicklung geht von einem künftigen z.T. starken Wachstum, sowohl im Strassen- als auch im Schienengüterverkehr aus. Erste Auswirkungen der hohen und steigenden Belastung der Strasseninfrastruktur äussern sich durch zunehmende Staustunden auf Schweizer Strassen (21.509 Stunden in 2014; Bundesamt für Statistik 2016, ASTRA 2015), welche meist auf Nationalstrassen, d.h. den Personenverkehr, Auswirkung haben. Ebenso wird auch eine erhöhte CO2-Emission, verursacht durch das vermehrte Verkehrsaufkommen, prognostiziert.
Als Grund für die Veränderungen im Modalsplit, d.h. die Verlagerung auf den Strassengütertransport, nannte Prof. Dr. Stölzle die hohen Anforderungen an Transportleistungen (anspruchsvolle Logistikkonzepte mit abnehmenden Sendungsgrössen und steigender Frequenz). Die vorgestellten Trends im Strassengüterverkehr stammen aus ähnlichen Quellen, wie sie auch in anderen Bereichen der Gesellschaft zu beobachten sind: Digitalisierung (autonomes Fahren, Verkehrstelematik), Nachhaltigkeit (Alternative Antriebe, Eco-Performance, Lang-LKWs) und Standardisierung (Industrialisierung von Transportnetzwerken). Nicht zuletzt aber auch der Aufbau neuer Infrastrukturnetze („cargo sous terrain“ – Tunnelsystem). Im Hinblick auf die bevorstehende „Milchkuh“-Initiative hat das Referat den Handlungsbedarf im Strasseninfrastruktursystem aufgezeigt, jedoch auch hervorgehoben, dass neben Neu- und Ausbau des Verkehrsnetzes alternative Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.
Frachtpapiere – Lesen und Verstehen
Der Frachtbrief, das meist entscheidende Instrument zur Bestimmung des „Who is Who“ im Gütertransport, stand im ersten Panel am Vormittag im Vordergrund. Geleitet wurden die Referenten von Dr. Christian Benz (Benz Rechtsanwälte AG). Nachdem er die verschiedenen Funktionen des Frachtbriefes (Informationsquelle, Beweismittel, Quittung, Vertrag zugunsten Dritter, ggf. Übertragbarkeit, Business Enabler) erläuterte, referierte Stephan Erbe (ThomannFischer Advokatur und Notariat) über die verschiedenen Arten von Frachtbriefen, abhängig von der Transportmodalität. Insbesondere konnte er anhand eines Beispiels aufzeigen, wie anspruchsvoll es sein kann, die tatsächlichen Parteien eines Transportvorgangs festzustellen. Dies hängt nicht zuletzt von der Vielzahl von Parteien ab, welche das Dokument lesen und interpretieren, sondern auch von anderen Dokumenten wie beispielsweise dem zugrunde liegenden Kaufvertrag, Auftragsverhältnissen oder gar Unternehmens-/Konzernstrukturen. Ein und dasselbe Konnossement (Bill of Lading) kann demnach in mehrfacher Hinsicht ausgelegt werden, was unter Umständen erheblichen Einfluss auf die Rechtsansprüche und Prozessvoraussetzungen der verschiedenen Parteien hat.
Dr. Michael Hochstrasser (Schiller Rechtsanwälte AG) erläuterte anschliessend einzelne Positionen auf einem Frachtbrief im Detail. Von Bedeutung für den Frachtführer sind insbesondere die Angaben über das Frachtgut und allfällige Vorbehalte, denn nicht nur nach Art. 9 des Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Strassengüterverkehr (CMR) dient der Frachtbrief als Beweismittel par excellence. Nur ein Beweis des Gegenteils kann die Vermutung der Richtigkeit des Frachtbriefes umstossen, weshalb der Frachtführer gut daran tut, sein Frachtgut auf Vollständigkeit, richtige Deklaration, Verpackung etc. genau zu untersuchen und allfällige Vorbehalte detailliert zu dokumentieren.
Analyse der Doppelfunktionen
In einem zweiten Panel am Vormittag unter der Leitung von Prof. Dr. Alexander von Ziegler (Schellenberg Wittmer AG; Vorstandsmitglied SSC) ging es um die Doppelfunktionen, die Beteiligte im Verlauf eines Warentransports einnehmen können, insbesondere im Bereich des Speditionswesens oder als Zollanmelder. Diskutiert wurde ferner die Frage, wie die Akteure vor Betrug geschützt werden können und sich selbst vor Betrug schützen sollten.
Prof. Dr. Ziegler führte in das Thema ein, indem er die grundlegenden Fragen aufwarf. Wer hat Anspruch auf die Ware? Wer haftet für die Nicht-, Spät- und Schlechtleistung der Ware? Wer ist berechtigt bzw. muss Instruktionen zum weiteren Verlauf des Transports erteilen? Wer muss die Ware beim Zoll anmelden? Diese Fragen könnten wie so oft in der Rechtswissenschaft nicht mit einer einzigen Möglichkeit beantwortet werden. So ist es beispielsweise abhängig von vereinbarten INCOTERMs, zwischengeschalteten Intermediären, wie bspw. Banken bei einem „Letter of Credit“-Geschäft („to order“ – Konnossement) oder „string sales“.
Für das allgemeine Verständnis sei es jedoch wichtig zu beachten, dass es sich bei einem Frachtvertrag grundsätzlich um einen Vertrag zugunsten Dritter handelt, welcher auf dieser Ebene bereits gesonderte Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen festlegt. Des Weiteren dürfe nicht vergessen werden, dass sich die Funktionen der einzelnen Beteiligten im Laufe eines Transportes verändern können, je nachdem, in welchem Stadium man sich gerade befinde.
Anschliessend gab Werner Hochstrasser (Rhenus Freight Logistics AG) einen Einblick in die Doppelfunktionen von Spediteuren. Aufgrund des wirtschaftlichen Drucks seien Spediteure meist dazu gezwungen, weitergehende Leistungen zu erbringen, als der Speditionsvertrag mit sich bringt. Spediteure, welche grundsätzlich mit dem Speditionsvertrag und seinen Haftungsrisiken und Aufgaben vertraut sind, begeben sich durch den Abschluss weiterer Verträge in unbekannte Gewässer, welche zum Teil grosse oder gar grössere Risiken mit sich bringen. So können sie neben ihrer Stellung als Spediteur als Frachtführer, als Lagerist oder gar als Partei eines Werkvertrages auftreten. Sie geraten somit teilweise in Haftungsverhältnisse, welche ihnen nicht bewusst sind.
Einen detaillierten Einblick über die Funktionen und Haftungsverhältnisse am Zoll gab im weiteren Verlauf Marc Bernitt (DHL Management [Switzerland] Ltd.). Er vermochte den Teilnehmenden eindrücklich zu schildern, dass es neben den offiziellen Vertragsparteien oder einen begünstigten Dritten noch einen weiteren nicht zu verachtenden „Player“ im Transportrecht gibt: den Staat. In diesem Bereich ist es insbesondere wichtig zu klären, ob der Zollanmelder auch Zollschuldner ist. Hat ein Spediteur, der als Zollschuldner auftritt, einen allfälligen Regressanspruch gegenüber seinem Vertragspartner oder Dritten? Insbesondere die europäischen Bestimmungen sind hierfür eine wegleitende Lektüre, da der Kreis der Zollschuldner im massgebenden Zollkodex relativ breit angelegt wird und somit auch solvente „Dritte“ zur Rechenschaft gezogen werden könnten.
Zum Abschluss des zweiten Penals sprach Captain Pottengal Murkundan (Direktor des Commercial Crime Services [ICC]). Anhand ausgewählter Beispiele aus seiner Praxis verdeutlicht er, wie wichtig ein aufmerksames und verantwortungsbewusstes Handeln im Gütertransportgeschäft ist. Durch seine Arbeit am ICC musste er feststellen, dass es Betrügern immer wieder gelingt, neue Wege zu finden, sich in einen Transportvorgang einzuschleusen, sei es bei einem Letter of Credit, beim E-Mail Verkehr oder beim Empfangen/Ausstellen von Frachtpapieren.
Anwendung, Durchführung und Legitimation
In einem dritten Penal unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Furrer (Direktor KOLT; MME Legal Tax Compliance) wurde durch Dr. Mónika Molnár (MME Legal Tax Compliance) anhand eines Beispiels des Transportes zwischen einem Produzenten in Deutschland und einem Grossverteiler in der Schweiz (und weitergehenden Einzelhändlern) nochmals die Komplexität eines grenzüberschreitenden Gütertransports erläutert. Ihr gelang es, die Grundfragen rund um den Zoll („Wer erbringt wem und wo was für eine Leistung zu welchen Konditionen?“) herauszustellen. Die Zuhörer gewannen hierdurch einen Einblick, wer welche Steuern (Mehrwertsteuer oder Zollumsatzsteuer) zu tragen hat.
Schliesslich haben die Panelisten, neben Furrer und Molnar zählten noch Christiane Schumann (Marsh GmbH) und Barbara Klett, LL.M (Eversheds AG) dazu, praxistaugliche Listen zur Prävention vor Abschluss eines Gütertransportvertrages sowie unmittelbar nach Schadenseintritt vorgestellt, welche grundsätzlich von allen an einem Transport beteiligten Parteien genutzt werden können.
Das Penal wurde abgerundet mit einer Diskussion der Durchsetzbarkeit der allfälligen Rechtsansprüche. Bereits im Verlauf der Tagung war dieses Thema mehrfach zu Sprache gekommen. Es wurde mit Bedauern festgestellt, dass insbesondere die hohen Kosten seit Einführung der neuen Zivilprozessordnung (ZPO) vor allem für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) eine fast unüberwindbare Hürde darstellen, in der Schweiz vor einem staatlichen Gericht zu klagen. Als denkbare Lösungsansätze wiesen die Referenten darauf hin, dass neben der gerichtlichen Auseinandersetzung auch aussergerichtliche Möglichkeiten zur Streitbeilegung offenstehen, wie bspw. die Mediation, Moderation oder Schiedsgutachten.
Abschliessende Diskussionsrunde
Die von Christian Benz, Andreas Furrer und Alexander von Ziegler geführte Diskussionsrunde zum Abschluss der Veranstaltung griff zunächst die Thematik der Schadensfeststellung durch eine Versicherung im Ausland auf. In diesem Zusammenhang kam unter anderem auch die Funktion des Havariekommissars und von Güterschadensachverständigen zur Sprache.
Ein abschliessendes gemeinsames Getränk „over the rooftops of Lucerne“ lud dazu ein, die im Laufe des Tages geknüpften Kontakte zu vertiefen oder neue zu knüpfen. Eine gelungene Veranstaltung, die ein tolles Ambiente, hervorragende Referenten und praxisrelevante Themen bot. Dieses Konzept liess einige Teilnehmer dazu hinreissen, sich sogleich nach der nächsten Austragung der „Luzerner Transportrechtstage“ im kommenden Jahr zu erkundigen.
Theresa Ruppel, BLAW Wissenschaftliche Hilfsassistentin am IFU | BLI Institut für Unternehmensrecht der Universität Luzern