Verknüpfung von Wissenschaft und Kunst
Wie verbindet man historische Wissenschaftsfilme mit zeitgenössischer Forschung und Kunst? Im Rahmen eines Nationalfonds-Forschungsprojektes haben Dr. Sarine Waltenspül und Dr. Mario Schulze die nun startende Ausstellung «Fadenspiele» kuratiert.
Im von Sarine Waltenspül geleiteten Forschungsprojekt werden Wissenschaft und Visualität miteinander verknüpft. Die entstehende Studie umfasst zwei Teilprojekte: Zunächst wurde eine historisch-kritische Untersuchung einer riesigen Sammlung von wissenschaftlichen Filmen aus früheren Jahrzehnten, der «Encyclopaedia Cinematographica» (EC), vorgenommen. Darauf aufbauend ist nun ein praxisorientiertes Teilprojekt am Laufen, das die Sammlung der Öffentlichkeit und der Forschung zugänglich macht. Unter anderem haben Mario Schulze und Sarine Waltenspül «Fadenspiele / String Figures. Eine forschende Ausstellung» im Museum Tinguely in Basel kuratiert, die vom 20. November bis zum 9. März 2025 zu sehen ist. Die am Seminar für Kulturwissenschaften und Wissenschaftsforschung angesiedelte Studie erstreckt sich gesamthaft über vier Jahre und läuft noch bis im August 2026.
«Enzyklopädie» mit über 3000 Videos
Die EC war Teil des Instituts für den wissenschaftlichen Film (IWF) in Göttingen und spezialisierte sich auf die Produktion, Sammlung und Verbreitung von Filmen für die wissenschaftliche Nutzung. Ihr Ziel bestand darin, eine umfassende filmische Enzyklopädie in den Bereichen Biologie, Ethnologie und technische Wissenschaften zu schaffen. Zwischen 1952 und 1990 wurden diese Filme erstellt. Am Ende umfasste die EC-Sammlung über dreitausend Filme, die von Hunderten von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen produziert und weltweit verliehen oder verkauft wurden. Bis heute finden die EC-Filme als «Found Footage»-Material in Wissenschaft und Kunst Verwendung. Nach der Auflösung des IWF im Jahr 2010 wurde die Sammlung an die Technische Informationsbibliothek in Hannover übergeben, welche die Filme digitalisiert und grösstenteils online zugänglich gemacht hat. Diese Veröffentlichung bringt jedoch neue Herausforderungen mit sich, insbesondere im Hinblick auf die Herkunft der Filme, ihre Inhalte sowie ihre Urheberinnen und Urheber. Fragen wie «Wem gehören die Filme und wer darf Zugang zu diesen erhalten?» spielen dabei eine zentrale Rolle.
Waltenspüls Projekt «Visualpedia» (Untertitel: «‹Atlas Encyclopaedia Cinematographica› und die Visual Science and Technology Studies») widmet sich der historischen Aufarbeitung der EC und untersucht die aktuelle Präsenz der Sammlung im Internet. Die zentrale Forschungsfrage zielt darauf ab, wie man dem «atlas fever» – also der Faszination für umfangreiche Bildsammlungen und deren Systematisierung – am Beispiel der EC begegnen kann, wobei wissens- und medienhistorische sowie politische Aspekte berücksichtigt werden.
Fokus auf filmisch festgehaltene Fadenspiele
Aufbauend auf der Frage, wie eine teilweise sensible Sammlung für Forschung und Öffentlichkeit umsichtig zugänglich gemacht werden kann, wurde nun die «Fadenspiele»-Ausstellung in Basel konzipiert. Darin sind auch die im Projekt durch Moritz Greiner-Petter entwickelten Interfaces mit dem Titel «E-EC» zu sehen. Zu Fadenspielen waren von Ethnologen und Ethnologinnen immer wieder Filme gedreht worden, die teils in der EC archiviert sind. Beim Fadenspiel handelt es sich um ein Geschicklichkeitsspiel, bei dem durch das Knüpfen einer geschlossenen Schnur verschiedene Figuren entstehen. In der Ethnologie galten solche Fadenfiguren lange als universelles Spiel. Sie speisten daher die Vorstellung, aus ihrer Verbreitung Rückschlüsse auf Migration oder gemeinsame menschliche Eigenschaften zu ziehen. Aus diesem Grund sammelten europäisch-amerikanische Ethnologen und Ethnologinnen Fadenfiguren, befestigten diese auf Karton oder erstellten Zeichnungen und Fotografien. Schulze sagt: «Die gesammelten Figuren zeugen von den Logiken des Besitzes, der Entwurzelung und der Systematisierung entlang geografischer und manchmal rassischer Kategorien, die in ethnologischen Sammlungen noch immer dominieren.»
Fertige Fadenspiele lassen keine Rückschlüsse auf die Entstehungsweise der Figuren zu, was zur Entwicklung komplexer Notationssysteme führte. Um die Dynamik, Performativität und Körperlichkeit des Fadenspiels festzuhalten, filmten Ethnologen und Ethnologinnen diese Körperpraxis. Waltenspül: «Die Ausstellung kombiniert historische und zeitgenössische Kunstwerke mit Objekten aus ethnografischen Sammlungen und Filmen aus der Encyclopaedia Cinematographica, um die Möglichkeiten des Spielens auf den Ruinen der Geschichte zu erproben.»
HINWEIS
Museum Tinguely in Basel, 20. November – 9. März 2025. Vernissage heute Dienstag, 19. November, 18.30 Uhr. Erster von mehreren Begleitanlässen: Führung mit dem Kurator und der Kuratorin am 24. November, 11:30 Uhr. Mehr Infos