«Starting Grant»: Forschung zu Haaren, einer Materie der Klassifizierung

Dr. Sarah-Maria Schober hat vom Schweizerischen Nationalfonds einen «SNSF Starting Grant» erhalten. Mit dieser Karriereförderung kann die Historikerin an der Universität Luzern ein grossangelegtes Projekt realisieren.

Dr. Sarah-Maria Schober

Ab dem Herbstsemester 2025 wird Sarah-Maria Schober das Forschungsprojekt «Matter of Distinction: Early Modern Hair, Race, Trade and Multispecies History, 1650–1820» am Historischen Seminar der Universität Luzern leiten. Das Fördervolumen beträgt 1,8 Mio. Franken. Zum Team werden ein/e Postdoc, eine Doktorandin oder ein Doktorand und zwei Hilfsassistierende gehören. Das Projekt hat eine Laufzeit von fünf Jahren.

Kategorisierung mit schwerwiegenden Folgen

Im Vordergrund der Studie von Sarah-Maria Schober steht die Frage danach, wie im Zeitraum zwischen 1650 und 1820 Haare zu einem Distinktionsmerkmal wurden. Wie also wurden Haare genutzt, um Menschen verschiedenen Kategorien zuzuteilen? Nicht nur Hautfarben und Schädelformen, sondern auch Farbe, Textur und Dichte von Kopf- und Körperbehaarung seien gesichtet, befühlt, sortiert, gesammelt und bewertet worden, so Schober. Dies, um Menschen zu differenzieren, zu kategorisieren und zu hierarchisieren. Besonders auffällig sei: Das Haar von Nicht-Europäerinnen und -europäern, insbesondere von Menschen aus Afrika, wurde immer häufiger mit tierischer «Wolle» verglichen und entmenschlicht. Das Forschungsteam geht den Hintergründen und Folgen nach.

Weiter wird das Team die Prozesse, die zur «Rassifizierung» von Haaren beitrugen, analysieren, wie Schober darlegt: «Einerseits setzen wir an bei dem in dieser Zeit schnell anwachsenden Handel mit Menschen- und Tierhaaren. Es gilt zu verstehen, wie Haare im ‹Zeitalter der Perücke› als Ware klassifiziert, bewertet und zum materiellen Objekt wurden.» Gehandelt in ganz Europa und Übersee, seien Haare – von Menschen und von Tieren – zu einer bedeutsamen Ressource geworden, auch in der Schweiz, wo die Perückenmacherei für rund hundert Jahre aufblühte. Folglich stelle sich dem Forschungsteam die Frage, welches Haar besonders wertvoll war, welches nicht – und wieso.

«Andererseits arbeiten wir mit den Instrumentarien der sogenannten ‹Multispecies History›.» Diese erlauben eine Perspektive, so Schober weiter, die über den Menschen hinausreicht und die Beziehungen zwischen Lebewesen in den Blick nimmt. Dass Haare zu einer Materie der Distinktion wurden, betreffe nicht nur, auch wenn es hier besonders markant sei, den frühen Rassendiskurs: Eng verknüpft verstärkte sich auch der sogenannte Speziesismus, also die Diskriminierung, Ausbeutung und Separierung nichtmenschlicher Akteurinnen und Akteure. Schober resümiert: «Ineinander verknotet und verstrickt, können Haare und ihre Geschichte schliesslich gerade aufzeigen, wie eng unsere Verflechtungen und wie künstlich ihre Trennungen tatsächlich sind.»

Kurze Wege zwischen Disziplinen und Epochen

Sie freue sich, das Projekt an der Universität Luzern zu realisieren, hält Sarah-Maria Schober fest, denn das Historische Seminar biete exzellente Möglichkeiten zum Austausch. Dies etwa zur Geschichte vormoderner Körper und ihrer Kommerzialisierung, der Wissens- und Globalgeschichte oder der Geschichte der Sklaverei. Das Projekt setze an ganz verschiedenen intellektuellen Knotenpunkten an und verbinde die Vormoderne und die Moderne, wie Schober ergänzt. Die kurzen Wege in Luzern zwischen den Disziplinen und Epochen seien daher ein zentraler Grund dafür, das Projekt hier anzusiedeln. «Die ausserordentlich freundliche Atmosphäre und die wunderbare Lage am See haben die Entscheidung zusätzlich sehr einfach gemacht», begründet Schober ihre Wahl für Luzern.

Hochkompetitiv

Bei den SNSF Starting Grants handelt es sich zurzeit um die höchste Stufe der Karriereförderung durch den Schweizerischen Nationalfonds (SNF) – die Position der Forschenden ist diejenige einer Assistenzprofessorin, eines Assistenzprofessors auf Zeit. Dem SNF zufolge richten sich die Grants an Forschende, «die in der Schweiz ein eigenes Forschungsprojekt und Forschungsteam leiten wollen». Von insgesamt 499 Gesuchen bei dieser Ausschreibung wurde 61 Gesuchen entsprochen, davon 23 in den Sozial- und Humanwissenschaften, wo Dr. Sarah-Maria Schobers Projekt verortet ist und die den Fokus der Universität Luzern darstellen.