Macht Geld Organisationen glücklich?
Ja und Nein, sagt Dr. Sven Kette. Er erforscht, wie Organisationen sich Geld beschaffen – und welche Folgeprobleme sie sich damit einhandeln. Nun sind zwei Publikationen erschienen, die erste Ergebnisse zur Bedeutung von Geld für Organisationen präsentieren. Anlass genug, einmal genauer nachzufragen.
Warum sich mit dem Geldbedarf von Organisationen beschäftigen? Ist es nicht trivial, dass Organisationen Geld benötigen?
Ja, auf einer Seite ist das tatsächlich trivial. Jeder, der schon einmal in einer Organisation gearbeitet hat – egal, ob in einem Unternehmen, einer öffentlichen Verwaltung, einer Partei oder auch wie hier an einer Universität – weiss, dass alle Organisationen Geld benötigen. Ständig wird von Geld geredet, um Geld gestritten und mit Verweis auf "knappe Mittel" entschieden, dass dieses oder jenes zurzeit leider nicht machbar sei. Andererseits ist diesem empirisch evidenten Geldbedarf in der Organisationsforschung und vor allem in der Organisationstheorie bislang kaum Rechnung getragen worden.
Ist das denn ein Problem?
Nun, ich denke schon. Wenn man etwas so Zentrales wie den organisationalen Geldbedarf, theoretisch nicht zur Kenntnis nimmt, liegt es auch nicht besonders nahe, sich in der empirischen Forschung damit zu beschäftigen. Die Frage ist dann, ob man nicht ein realistischeres Bild der Funktionsweise von Organisationen bekommt, wenn man dieses Problem zum Gegenstand der Forschung macht.
Was heisst das genau, "den Geldbedarf zum Gegenstand der Forschung" zu machen?
Die Frage von der ich ausgehe ist: Wie beschaffen Organisationen sich Geld, und welche Folgeprobleme handeln sie sich dadurch ein, dass sie ‚ihr Geldproblem‘ auf genau die Weise bearbeiten, wie sie es bearbeiten. Am Anfang steht also die Feststellung, dass Organisationen sich auf ganz unterschiedliche Arten Geld beschaffen. Manche Organisationen verkaufen Produkte, die sie zuvor selbst hergestellt haben, andere werben um Spenden, ohne dafür eine konkrete Gegenleistung anzubieten und wieder andere beschaffen sich das Geld gleichsam von innen, also von ihren eigenen Mitgliedern. In einem zweiten Schritt kann man sich dann fragen, welche Probleme sich für Organisationen in Abhängigkeit davon ergeben, ob sie Produkte verkaufen oder Mitgliedsbeiträge erheben.
Und was heisst das jetzt konkret, kann man das an einem Beispiel etwas genauer fassen?
Gern. Nehmen wir eine Organisation, die sich aus Mitgliedschaftsbeiträgen finanziert. Eine solche Organisation hat vor allem das Problem, für ihre Mitglieder attraktiv zu sein. Sinken die Mitgliederzahlen, sinken auch die Einnahmen. Das ist ganz typisch für Vereine und in Teilen trifft es auch für die großen Kirchen zu – wobei dieser Fall viel komplexer gelagert ist. Unternehmen haben demgegenüber ein ganz anderes Problem. Sie bekommen nicht nur kein Geld von ihren Mitgliedern, sie müssen diesen sogar Geld bezahlen, damit überhaupt jemand kommt und Tag für Tag stundenlang monotone Bewegungen am Fließband macht, oder in einen Bildschirm starrt. Während Vereine also kaum von den Interessen ihrer Mitglieder absehen können, müssen sich Unternehmen stärker auf die Bedürfnisse und Wünsche ihrer Kunden einstellen, die einerseits nicht immer leicht zu erfüllen, oftmals aber auch gar nicht so leicht zu ermitteln sind. Das sind zwei völlig unterschiedliche Anschlussprobleme in Abhängigkeit von der jeweiligen Refinanzierungsform. Richtig interessant wird es dann natürlich bei noch komplexeren Fällen, wenn eine Organisation verschiedene Refinanzierungsformen miteinander kombiniert.
Was passiert dann?
Sagen wir ein Schwimmverein hat die grossartige Idee, das nächste Sommerfest nicht nur durch Mitgliedsbeiträge zu finanzieren, sondern auch noch T-Shirts oder ähnliches zu verkaufen, damit man ein großes Fest veranstalten kann. Dann hat man auf einmal das Problem, dass nun auch Tätigkeiten anfallen, die relativ wenig mit dem Schwimmen zu tun haben. Man muss T-Shirts designen, die Produktion organisieren, Leute müssen Zeit in den Verkauf und vielleicht auch in Werbung investieren usw. Wenn man Mitglieder hat, die daran ohnehin Spaß haben – sehr gut! Falls die aber umziehen sollten, krank werden oder im Winter ihre Zeit lieber mit Skifahren verbringen, hat der Verein kaum eine Chance, diese Aufgaben neu zu verteilen – oder allenfalls um den Preis von Frustration und Konflikten. Solche Dynamiken wird man auch auf die spezifische Kombination von wenig kompatiblen Refinanzierungsformen zurückführen müssen. Ähnliches lässt sich beobachten, wenn Unternehmen nicht mehr ausschließlich Produkte verkaufen, sondern zusätzlich noch Subventionen in Anspruch nehmen. Die von Seiten der Politik an die Zahlung von Subventionen geknüpften Bedingungen, sind bisweilen einer kostengünstigen Produktion eher abträglich. Und das ist nicht nur ein Problem der Optimierung von Gesamteinnahmen, sondern es schlägt auch auf die Organisationsstruktur und organisationsinterne Entscheidungsprozesse durch: Stellen wir Experten für politische Lobby-Arbeit oder für Produktentwicklung ein?
Aber kümmern sich um solche "Geldfragen" nicht schon die Wirtschaftswissenschaften, insbesondere die BWL?
Wirtschaftswissenschaften und BWL haben Geld sicher schon immer im Blick gehabt. Das Problem ist hier eher umgekehrt gelagert: Geldfragen sind nicht unter- sondern eher überbelichtet. Damit meine ich, dass der blinde Fleck von BWL oder dem Teilgebiet der Corporate Finance nicht der Geldbedarf, sondern die Organisation ist. Es fehlt an einer hinreichend komplexen Vorstellung davon, wie Organisationen als Sozialsysteme funktionieren, um organisationsinterne Effekte der Geldbeschaffung in den Blick zu bekommen. Hinzu kommt, dass die BWL sich natürlich primär auf Unternehmen konzentriert und Non-Profit-Organisationen, Schulen, öffentliche Verwaltungen, Parteien oder Universitäten – gerade in ihren Besonderheiten – weitestgehend vernachlässigt. Insofern sind die Wirtschaftswissenschaften kein Ersatz für den von mir vorgeschlagenen Ansatz einer geldsensitiven Organisationssoziologie. Aber es stimmt natürlich schon, dass man wenigstens die Dringlichkeit des organisationalen Problems der Geldbeschaffung von den Wirtschaftswissenschaften exzellent vorgeführt bekommt.
Dr. Sven Kette ist Oberassistent am Soziologischen Seminar der Universität Luzern und untersucht aktuell im Rahmen seines Habilitationsprojektes am empirischen Fall von Non-Profit-Organisationen das Verhältnis von Geld und Organisationen.
"Unternehmen. Eine sehr kurze Einführung": Information und eine Leseprobe auf der Website des Verlags
"Refinanzierung als Organisationsproblem": Zusammenfassung und Zugriff auf den Artikel