Gesellschaftlicher Zusammenhalt in der Schweiz unter Druck
Die Schweizer Bevölkerung bewertet den heutigen Zusammenhalt in der Gesellschaft mehrheitlich als indifferent oder negativ. Dies ergab eine repräsentative Umfrage des Zentrums für Religion, Wirtschaft und Politik (ZRWP) der Universität Luzern.
Demokratische Gesellschaften stehen zunehmend unter Druck: Rascher sozialer Wandel und multiple Krisen im Inneren treffen auf eine autoritärer werdende Weltpolitik. In diesem Spannungsfeld wird der gesellschaftliche Zusammenhalt zu einem zentralen Thema. Eine aktuelle Pilotbefragung der Universität Luzern liefert nun erstmals einen bevölkerungsrepräsentativen Einblick in die Wahrnehmung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in der Schweiz. Die Befragung haben Prof. Dr. Antonius Liedhegener, Professor für Politik und Religion am ZRWP, und Dr. Anastas Odermatt, Religionssoziologe und Forschungsmitarbeiter am ZRWP, durch DemoSCOPE mit 1104 Befragten durchgeführt. Im Fokus stand die subjektive Bewertung des gegenwärtigen Zusammenhalts im Vergleich zu früheren Zeiten.
Überwiegend kritische Bewertung des Zusammenhalts
Die Ergebnisse zeigen: Nur knapp 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung bewerten den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Schweiz als positiv (vgl. rote Balken in der Abbildung). Ein Viertel der Bevölkerung nimmt den Zusammenhalt als «weder schlecht noch gut» wahr, und ein Drittel der Befragten schätzt ihn negativ ein. Im Vergleich dazu liegt die Bewertung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in der eigenen Jugendzeit insgesamt deutlich im positiven Bereich (vgl. blaue Balken). Das Schwergewicht der Antworten liegt hier auf den Kategorien «eher gut» und «gut». Die wahrgenommene Verschlechterung ist also eine beachtliche: Während der gesellschaftliche Zusammenhalt für die Vergangenheit überwiegend als «gut» bewertet wird, überwiegen für die Gegenwart indifferente und schlechte Bewertungen. «Die Ergebnisse unserer Pilotbefragung sprechen dafür, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt in der Schweiz unter Druck steht», merkt Antonius Liedhegener dazu an.
Quer durch die Gesellschaft gleich bewertet
Bemerkenswert ist, dass diese Wahrnehmungen weitestgehend unabhängig von klassischen sozio-demografischen Faktoren wie Alter, Geschlecht oder Bildungsstand sind. Der Zusammenhalt heute und in früherer Zeit wird quer durch alle Bevölkerungskreise stets sehr ähnlich bewertet. Es handelt sich also um eine «Public opinion», eine allgemein verbreitete öffentliche Meinung zur Qualität des gesellschaftlichen Zusammenhalts in der Schweiz.
Grösserer Forschungszusammenhang
Die Pilotbefragung markiert einen wichtigen Schritt hin zu einer geplanten grösseren Untersuchung dieses komplexen Themas durch das ZRWP der Universität Luzern (vgl. Newsmeldung vom 22. August 2024 zur Anschubfinanzierung). Ziel ist es, durch weitere Forschung mittelfristig die Ursachen- und Wirkungszusammenhänge des gesellschaftlichen Zusammenhalts und mögliche Strategien zu dessen Förderung in der Schweiz zu ermitteln. Damit soll eine zentrale Herausforderung demokratischer Gesellschaften angegangen und insbesondere der Wissenstransfer zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik gefördert werden.
Websitebereich zum Forschungsprojekt
Antonius Liedhegener, Anastas Odermatt
Gefährdeter gesellschaftlicher Zusammenhalt in der Schweiz? Pilotbefragung zur subjektiven Bewertung des gesellschaftlichen Zusammenhalts
Luzern, 2024
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