Forschung über "Glück" im Fadenkreuz der Macht
Wie wurde Glück zur Zeit des Nationalsozialismus konstruiert und wahrgenommen? Dieser Frage geht Isabelle Haffter in ihrem Dissertationsprojekt nach. Ein Doc.Mobility-Stipendium ermöglicht ihr, Forschung in Berlin zu betreiben.
"Was ist Glück?", "Was macht uns glücklich?": Mit diesen universalen Fragen beschäftigen sich Menschen in der Wissenschaft, in der Politik und in den Künsten weltweit – und dies nicht erst heute, sondern mindestens schon seit der Antike. Dessen ungeachtet ist "Glück" ein neuer Forschungsgegenstand für die Wissens- und Gefühlsgeschichte. Isabelle Haffter, Doktorandin der Kulturwissenschaften an der Universität Luzern, möchte mit ihrer historisch angelegten Doktorarbeit einen ersten Grundstein legen. Für ihr von Prof. Dr. Marianne Sommer betreutes Projekt "'Glückskulturen' in NS-Deutschland und in der Schweiz, 1930–1945" erhielt sie vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) für die Dauer von 12 Monaten ein Doc.Mobility-Stipendium zugesprochen.
Wandel im Jahr 1933
Krise, Propaganda, Krieg, Holocaust: Für ihre historische Studie hat Isabelle Haffter einen Zeitraum ausgewählt, der im ersten Moment kaum an "Glück" denken lässt. Das Interessante an dieser Ära: Während sich das Wissen darüber, was Glück ist, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs bspw. vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Individualisierung konstituierte, erfolgte 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten, so die Arbeitshypothese der Untersuchung, neben Kontinuitäten auch ein wissenshistorischer Wandel: Glück – als ein Gefühl und Wissensbestand begriffen – wurde im NS-Regime mit Hilfe totalitärer Steuerungsmechanismen ("Gleichschaltung", Propaganda etc.) seitens der Politik, aber auch in den Wissenschaften und Künsten wechselseitig transformiert. So indem zum Beispiel im Rahmen von akribisch inszenierten (und entsprechend fotografisch festgehaltenen) Propagandaveranstaltungen darauf hingearbeitet wurde, Glück als ein im Kollektiv erlebbares Gefühl zu konstruieren.
Um Ambivalenzen, Kontinuitäten und Differenzen der Diskurse und Praktiken von Wissens- und Gefühlskulturen des Glücks herauszuschälen, wird eine transnationale Analyse von historischen Quellen aus zwei politisch unterschiedlichen Staatsformen – der NS-Diktatur und der Schweizer Demokratie, mit Fokus auf die Städte Berlin und Zürich – vorgenommen. Dies mit Schwerpunkt auf Text- und Bilddokumente aus Politik, Wissenschaft und darstellender Kunst.
Seit dem vergangenen November ist Isabelle Haffter, die Mitte 2014 mit ihrer Dissertation begonnen hat, Gastwissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (MPIB) in Berlin. Hier im Forschungsbereich "Geschichte der Gefühle" arbeitet sie – finanziell unterstützt durch das Doc.Mobility-Stipendium – bis Mitte 2017 an ihrer Dissertation (ausser im kommenden Herbstsemester, wo sie an der Universität Luzern als Assistentin tätig sein wird). Zum MPIB sagt Haffter: "Für die erfolgreiche Weiterentwicklung und Fertigstellung meiner Doktorarbeit und für die weitere akademische Karriere handelt es sich beim international renommierten Forschungsbereich 'Geschichte der Gefühle' um das mit Abstand beste Umfeld." Durch die Einbindung ins Doktorandenprogramm am MPIB und den Austausch mit Expertinnen und Experten vor Ort werde nicht nur die Qualität der eigenen Forschung verbessert, auch könne so die akademische Vernetzung intensiviert werden. Nicht zuletzt ermöglicht und erleichtert der Aufenthalt die Recherche in Berliner Archiven.
Für den Start ihres Dissertationsvorhabens erhielt Isabelle Haffter 2014/15 eine 12-monatige Anschubfinanzierung der Graduate School of Humanities and Social Sciences, dem Doktorandenprogramm an der Universität Luzern. In ihrer ebenfalls in Luzern verfassten Masterarbeit hatte sie sich mit dem Thema "Der moderne Tanz und das Medium Fotografie" auseinandergesetzt und war 2009 für ihre Bachelorarbeit über das fotojournalistische Schaffen von Marianne Breslauer und Annemarie Schwarzenbach von der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät ausgezeichnet worden. Während ihres Studiums sammelte Isabelle Haffter zudem selber praktische Erfahrungen im Kulturbereich, u.a. als Regiehospitantin am Luzerner Theater.
Bericht über frühere Mobilitätsstipendien-Empfänger (März 2016)