Spannungsfeld Talentidentifikation und ‑management
Ein Projekt der Hochschule und der Universität Luzern untersucht, wie Organisationen Talente identifizieren und managen. In einer ersten Teilstudie wurden HR-Verantwortliche zu aktuellen Herausforderungen und ihrem Umgang damit befragt.
Unternehmen erachten es als zunehmend schwieriger, Talente bzw. hochqualifizierte Mitarbeitende anzuziehen und im Unternehmen zu halten. Talentmanagement (TM) ist daher zu einem Hauptanliegen von Vorgesetzten und CEOs geworden und wird als wichtiger Faktor für den Unternehmenserfolg angesehen. Im Rahmen einer Teilstudie wurden 47 Schweizer HR-Verantwortliche befragt. Dabei zeigte sich insbesondere die Kommunikation von TM als eine der grössten Herausforderungen. Zudem ergaben die Interviews, dass die Rollen von HR und Führungsebene in TM-Prozessen sehr vielfältig sein können.
Flexible Rollengestaltung entscheidend
HR-Verantwortliche, Vorgesetzte und Mitarbeitende nehmen unterschiedliche Rollen ein, je nach Gestaltung des TM-Prozesses. HR-Verantwortliche können von einer unterstützenden oder moderierenden Funktion bis hin zur Einnahme einer strategischen Führungsrolle reichen. Unterstützend kann z.B. heissen, nur grobe Richtlinien zur Talentidentifizierung vorzugeben, während Vorgesetzte und Mitarbeitende die Hauptrolle im TM-Prozess übernehmen. Wie die Interviewten berichteten, gibt dies direkten Vorgesetzten unter Umständen die nötige Flexibilität, um den vielfältigen Herausforderungen im TM zu begegnen.
Eine aktivere Rolle, etwa in der Prozessgestaltung oder bei der Umsetzung von Entwicklungsplänen für Talente, ermöglicht es HR-Verantwortlichen, ihre Expertise und Erfahrung stärker miteinzubringen. Dies bedingt allerdings, dass die entsprechenden Prozesse einfach gestaltet sind. Ansonsten besteht die Gefahr, dass direkte Vorgesetzte ihre Gesamtverantwortung für den TM-Prozess nicht oder weniger wahrnehmen möchten. Man müsse bedenken, erklärt eine der interviewten HR-Verantwortlichen, dass übermässig komplexe und überladene Prozessschritte dazu führen können, dass Vorgesetze letztlich aufgeben und den Prozess nicht weiterverfolgen.
Sarah Kost, die im Rahmen des Forschungsprojekts doktoriert, sagt: «Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Akteure in TM flexibel auf verschiedene Bedürfnisse reagieren und je nach Entwicklungsstand des TMs über die Zeit verschiedene Rollen einnehmen müssen.» Es sei aber entscheidend, «dass HR-Verantwortliche die Hauptverantwortung an die Vorgesetzten abgeben». Nur so gelinge es längerfristig, das Topmanagement für TM zu gewinnen und jenes zu einem strategischen Steuerungsprozess zu entwickeln, so die Doktorandin.
Transparenz: ein zweischneidiges Schwert?
Die Kommunikation im Bereich TM kann ein sensibles und komplexes Thema sein, weshalb HR-Verantwortliche ihrem Kommunikationsansatz besondere Beachtung schenken. Die Studie hat einen Trend hin zu mehr Transparenz gezeigt: Verschiedene Personalverantwortliche gaben an, sich mehr Transparenz zu wünschen, um Prozesse fair und nachvollziehbar zu gestalten und auch jüngere Generationen anzusprechen. Eine transparente Kommunikation im Bereich TM kann gemäss den Studienergebnissen sowohl positive als auch potenziell negative Auswirkungen haben.
Auf der positiven Seite kann eine offene TM-Kommunikation etwa bewirken, dass Prozesse, die als nachvollziehbar und fair erachtet werden, innerhalb einer Organisation eine höhere Akzeptanz geniessen, auch bei Angestellten, die nicht zum Talent-Pool gehören. Transparente Prozesse in Bezug auf Schulungs- und Entwicklungsprogramme können das Engagement und die Produktivität erhöhen, wenn Mitarbeitende einfacher verstehen, wie sie ihre Fähigkeiten verbessern können. Einen negativen Einfluss befürchten HR-Verantwortliche z.B. dadurch, dass Mitarbeitende, die nicht als Talente identifiziert werden, Gefühle wie Neid oder Eifersucht entwickeln, was zu vermindertem Engagement oder Kündigungsabsichten führt. Die Ergebnisse der Interviews zeigen jedoch, dass es sich dabei oftmals nur um Befürchtungen anstelle von echten Bedrohungen handelt.
Angesichts der möglichen Vor- und Nachteile drücken HR-Verantwortliche Spannungen oder Unsicherheiten in Bezug auf ihre Kommunikation aus, und Transparenz wird oft als paradox empfunden. Bei den befragten Unternehmen bestehen denn auch viele verschiedene Abstufungen und Varianten von Transparenz und Offenheit in Bezug auf TM.
Wie Sarah Kost ausführt, stelle Transparenz im TM eine wichtige Grundlage dar, um Prozesse flexibel und inklusiv zu gestalten. Frühere Studien hätten zudem gezeigt, dass Intransparenz in der Praxis nur schwer umsetzbar sei: «In 90 Prozent der Fälle sickern Informationen über TM ohnehin zu den Mitarbeitenden durch.» Wichtig sei, dass die Kommunikation zur Organisation passt, und Führungskräfte auf dem Weg zu mehr Transparenz nicht zu überfordern. «Daher ist es notwendig, dass sich HR und Geschäftsleitung auf gewisse Kommunikationsrichtlinien einigen und somit Vorgesetzte bei der Kommunikation unterstützen.»
Kooperation mit der Hochschule Luzern
Das Forschungsprojekt «The Talent Recipe: Multi-Actor Perspective of Talent Identification in Organizations» wird von der Hochschule Luzern (Lead) in Kooperation mit der Universität durchgeführt und vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert. Geleitet wird das Projekt von Dr. Anna Sender, Professorin an der Hochschule Luzern – Wirtschaft, und Mitarbeiterin am Center für Human Resource Management der Universität Luzern (CEHRM). Projektmitarbeitende sind Sarah Kost, Doktorandin an der Universität Luzern unter der Betreuung von Prof. Dr. Bruno Staffelbach und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Luzern, Marina Pletscher, wissenschaftliche Assistentin am CEHRM, und Dr. Lea Rutishauser, Lehrbeauftragte am CEHRM. Die Ergebnisse der ersten Teilstudie wurden im Bericht «Managing Talent in Organizations – Insights and Trends» veröffentlicht. Das Forschungsprojekte läuft voraussichtlich noch bis Ende Februar 2026.