Mira Burri, ausserordentliche Professorin für Internationales Wirtschafts- und Internetrecht, antwortet.
Die Digitalisierung und insbesondere das jüngere Phänomen «Big Data» beeinflussen nicht nur unseren Alltag, sondern haben auch den globalen Handel radikal verändert. Daten gelten als das neue «Öl», und die moderne Wirtschaft, Wachstum und Innovation basieren zunehmend auf diesen Daten. Aktuelle Studien zeigen, dass grenzüberschreitende Datenflüsse als integraler Teil von Gütern und Dienstleistungen mehr ökonomischen Wert als traditioneller Warenhandel generieren. Dies ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass grenzüberschreitende Datenflüsse eine relativ neue Entwicklung sind. Die Datenwirtschaft erlaubt zudem die Beteiligung von kleinen und mittleren Unternehmen auch in Entwicklungsländern und hätte das Potenzial, einen wirklich globalen, nahtlosen Handel zu ermöglichen. Doch um diese Vorteile nutzen zu können, muss das regulatorische Rahmenwerk richtig gestaltet werden.
Die kritische Abhängigkeit von grenzüberschreitenden Datenflüssen verlangt insbesondere im Bereich des Handelsrechts adäquate Lösungen. Solche zu finden stellt jedoch eine grosse Herausforderung dar, da die Verwendung von Daten diverse Fragen aufwirft mit Blick auf das Gleichgewicht zwischen der Kontrolle von Daten sowie dem Schutz der Privatsphäre und der nationalen Sicherheit. Darüber hinaus ergeben sich Zuständigkeitsprobleme, sobald Daten das Land verlassen und Staaten sich nicht mehr in der Lage sehen, einen angemessenen Schutz ihrer Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten – etwa wenn Facebook Daten von EU-Bürgerinnen und -Bürgern in den USA speichert.
Trotz dieser regulatorischen Dilemmas haben sich Staaten auf neue Regeln für den digitalen Handel zubewegt, insbesondere durch das Aushandeln von Freihandelsabkommen. Seit dem Jahr 2000 wurden weltweit mehr als 360 Freihandelsabkommen bilateral und regional unterzeichnet, wobei sich immer mehr davon explizit mit dem digitalen Handel und insbesondere den grenzüberschreitenden Datenflüssen befassen. Es ist auch festzustellen, dass der Umfang der abgedeckten Fragen im Bereich der datengetriebenen Wirtschaft zugenommen hat. Zudem scheint ein breiter Konsens darüber zu bestehen, dass Themen wie papierloser Handel, elektronische Verträge und Zahlungen wichtig sind und den digitalen Handel fördern können. Im Gegensatz dazu sind einige Fragen, wie etwa zum Datenschutz, kontrovers und die Positionen der Staaten, insbesondere diejenigen der USA und der EU, können markant voneinander abweichen: Während in der EU der Datenschutz den Wert eines Menschenrechts hat, sind die Datenschutzstandards in den USA tief und nur fragmentarisch geregelt.
Besonders innovativ im regulatorischen Design ist die neue Generation von sogenannten «Digital Economy Agreements» zwischen beispielsweise Chile, Neuseeland und Singapur oder Grossbritannien und Singapur, die ein breites Spektrum von Themen der datengetriebenen Wirtschaft abdecken, beispielsweise digitale Identitäten oder künstliche Intelligenz. Diese Verträge zeigen deutlich, dass es bei der Regulierung der datengesteuerten Wirtschaft nicht um den blossen Abbau von Handelsbarrieren geht, sondern um die Interoperabilität nationaler Regelungen und die Zusammenarbeit in Schlüsselfragen. Dies deutet auch auf eine Innovation, wenn nicht gar Revolution des internationalen Handelsrechts hin. Die nächsten Jahre werden die Tiefe dieser innovativen Prozesse testen und es wird greifbar, inwieweit sie auf die multilaterale Ebene übertragen werden können, damit ein fairer und ausgewogener Regulierungsrahmen für den digitalen Handel entstehen kann.
Es handelt sich um die Beantwortung der im Rahmen des Jahresberichts 2021 der Universität Luzern gestellten Frage.
Plattform aktuelles Projekt «Trade Law 4.0»
Früheres Interview mit Professorin Burri im Magazin