Adrian Loretan, Professor für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht fragt – Wirtschaftsrecht-Professor Karl Hofstetter, Mitglied des Universitätsrats der Universität Luzern, und Peter G. Kirchschläger, Ordinarius für Theologische Ethik, antworten.
Wir sollten gleich am Anfang zwei Dinge klar und deutlich unterscheiden: die Konzernverantwortung und die Konzernverantwortungsinitiative (KVI). Die Konzernverantwortung ist ein sinnvolles Konzept und verdient volle Unterstützung. Die KVI dagegen ist ein haftungsrechtliches Fehlkonstrukt, das sowohl aus nationaler wie globaler Perspektive abzulehnen ist. Zur Konzernverantwortung zählen nicht nur die Schaffung von Arbeitsplätzen oder die Ablieferung von Steuern – so wichtig diese für unseren Wohlstand auch sein mögen.
Förderung durch die Politik
Zur Konzernverantwortung zählt ebenso die «Legal Compliance». Das ist die unternehmensinterne Funktion, welche die Einhaltung der Gesetze in allen Ländern anstrebt, in denen das Unternehmen tätig ist. Viele Unternehmen – gerade solche aus der Schweiz – gehen in ihrem gesellschaftlichen Engagement aber über die gesetzlichen Minima hinaus. Sie erstatten zudem häufig Bericht darüber in sogenannten «Corporate Social Responsibility Reports». Derartige Bestrebungen der Unternehmen sind zu unterstützen. Auch die Politik kann sie fördern. Der Bundesrat hat bereits Vorschläge in dieser Richtung angekündigt, inklusive Transparenzvorschriften zur «Corporate Social Responsibility» sowie spezifische Sorgfaltspflichten für Unternehmen in den Bereichen Kinderarbeit und Konfliktmineralien. Dieser differenzierte Ansatz ist vernünftig. Er ermöglicht es auch, die spezifischen Herausforderungen der Rohstoffunternehmen anzugehen, ohne gleichzeitig alle anderen Unternehmen mit schädlichen Vorschriften zu bestrafen.
Die KVI wäre das Paradebeispiel einer solch schädlichen Vorschrift. Sie ist ein haftungsrechtlicher Rundumschlag und leidet an schwerwiegenden Konstruktionsfehlern. Ich habe diese in der «Schweizerischen Juristenzeitung» detailliert aufgezeigt (SJZ Nr. 115, Seite 271). Internationale Klageanwälte könnten Schweizer Konzerne zum Beispiel für behauptete Verletzungen von Menschenrechten durch Geschäftspartner und eventuell sogar Gastlandregierungen einklagen. Die Schweizer Konzernmutter müsste zudem beweisen, dass sie gar keine Verantwortung trifft. Darin liegt beträchtliches Erpressungspotenzial. Die Gefahr, dass Schweizer Konzerne infolge der ausufernden Haftungsregeln der KVI in rufschädigende Prozesse wegen Menschenrechtsverletzungen Dritter verwickelt werden könnten, müsste schliesslich dazu führen, dass Investitionen in politische Hochrisikoländer zurückhaltender getätigt würden. Konzerne würden sich zudem hüten, in solchen Ländern mit schwer kontrollierbaren lokalen Zulieferern zusammenzuarbeiten. Die schwächsten Entwicklungsländer und kleine Zulieferer wären damit besonders betroffen. Dies allein spricht schon gegen die KVI.
Die Menschenrechte sind ein Minimalstandard, kein Luxus. Sie schützen nur das Überleben und ein menschenwürdiges Leben. Menschenrechte sind – zum Beispiel mit dem Prinzip der Verletzbarkeit – ethisch begründbar. Primär sind die Staaten dazu verpflichtet, die Menschenrechte zu achten, zu schützen, durchzusetzen und zu realisieren. Dabei handelt es sich aber nicht um die alleinige Pflicht der Staaten. Denn Staaten müssen auch dafür sorgen, dass sich beispielsweise multinationale Konzerne als nichtstaatliche Akteure an die Menschenrechte halten. Diese Menschenrechtsverpflichtungen von Konzernen sind zudem darin ethisch begründet, dass alle Menschen Trägerinnen und Träger von Menschenrechten sind und dies auch im Kontakt mit Konzernen bleiben.
Selbstverständlichkeit gefordert
Die meisten Konzerne mit Hauptsitz in der Schweiz halten sich an die Menschenrechte. Aber einige wenige skrupellose Konzerne verletzen die Menschenrechte und ignorieren minimale Umweltstandards. Dies hat für die Konzerne keine Konsequenzen. Sie können heute dafür nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Die Konzernverantwortungsinitiative will dieses Unrecht beenden. Sie fordert eine Selbstverständlichkeit: Wenn Konzerne Menschen vergiften, auf Kinderarbeit setzen oder Flüsse verschmutzen, sollen sie dafür geradestehen. Wie schon erwähnt, sind es nur wenige multinationale Konzerne, die sich nicht an die Regeln halten. Unser Rechtsstaat hat jedoch meistens Gesetze nur für ein paar wenige, die Unrecht begehen. Beispielsweise begeht nur ein äusserst geringer Anteil der Gesamtbevölkerung in der Schweiz Mord und Totschlag. Es käme aber niemand auf die Idee, deswegen zu fordern, dass wir keine Gesetze brauchen, die dies verbieten.
Wie kann es sein, dass einige multinationale Konzerne mit Hauptsitz in der Schweiz im 21. Jahrhundert weiterhin ungestraft Menschenrechte verletzen und Sklaverei sowie sklavereiähnliche Bedingungen im Ausland einsetzen, um ihre Gewinne zu maximieren? Wie kann es sein, dass einige multinationale Konzerne mit Hauptsitz in der Schweiz die Umwelt zerstören, um ihre Gewinne zu maximieren? Wie kann es sein, dass einige multinationale Konzerne mit Hauptsitz in der Schweiz durch ihre Umweltzerstörung Menschen und insbesondere Kindern Schaden zufügen? Das muss sich ändern. Das – und nichts anderes – fordert die Konzernverantwortungsinitiative: Skrupellose Konzerne sollen in Zukunft für ihr verantwortungsloses Handeln geradestehen.
Aufgrund des kontroversen Gehalts und der politischen Dimension der Thematik kommen zu dieser Frage ausnahmsweise zwei Stimmen zu Wort.
Im Gefäss «Gefragt? Geantwortet!» stellen sich Forschende im Domino-System disziplinübergreifend Fragen und beantworten diese. Antwort des Fragestellers, Professor Adrian Loretan, auf die vorherige Frage