Die 2023 erschienene Publikation ist eine Analyse der komplexen Struktur des öffentlichen Wirtschaftsrechts und des Zusammenspiels von Wettbewerbsrecht und Marktregulierung. Ihre Entstehung demonstriert die enge Verzahnung von Lehre und Forschung.

Nicolas Diebold (l.), Ordinarius für Öffentliches Recht und Wirtschaftsrecht, und Bernhard Rütsche, Ordinarius für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie (Bild: Silvan Bucher)

Die Grundidee für ein umfassendes Werk zum Thema «Wettbewerbsrecht und Marktregulierung» entstand bereits 2013 im Rahmen unserer gemeinsamen Mastervorlesung «Öffentliches Wirtschaftsrecht». Das öffentliche Wirtschaftsrecht befasst sich mit der Ordnung, Lenkung und Überwachung von Unternehmen und Märkten. Es zielt darauf ab, wirksamen und fairen Wettbewerb zu gewährleisten und darüber hinaus verschiedene gesellschaftliche Anliegen (öffentliche Interessen) zu verwirklichen, wie etwa soziale Gerechtigkeit, Konsumentenschutz, Grundversorgung, Nachhaltigkeit u.v.m. Letztlich besteht das einzige verbindende Element des öffentlichen Wirtschaftsrechts in der «Wirtschaft» als gemeinsamem Regelungsgegenstand.

Komplexer Gegenstand

Das öffentliche Wirtschaftsrecht bildet somit kein klar strukturiertes oder abgegrenztes Rechtsgebiet. Vielmehr umfasst es eine Vielzahl heterogener Teilrechtsgebiete. So haben sich in den letzten 30 Jahren das Wirtschaftsvölkerrecht, das Wirtschaftsverfassungsrecht, das Kartellrecht, das Lauterkeitsrecht oder das öffentliche Beschaffungsrecht als je eigenständige, in der Praxis kaum miteinander verknüpfte Teildisziplinen ausdifferenziert. Diese für alle Wirtschaftsbereiche («horizontal») geltenden Rechtsgebiete werden ergänzt durch eine kaum überschaubare Vielzahl von sektorspezifischen («vertikalen») Regulierungen, die vom kommunalen Taxirecht über das Finanzmarktrecht des Bundes bis hin zum Produkterecht sämtliche Teilgebiete der Wirtschaft erfassen. Die zunehmende Komplexität der Wirtschaftsabläufe, verschiedene Wirtschaftskrisen und der gesellschaftliche Wertewandel führen zu einer immer stärkeren Spezialisierung und Zersplitterung der Rechtsgrundlagen. Dies wiederum hat zur Folge, dass der Blick auf gemeinsame Grundsätze und eine übergreifende Systematik des öffentlichen Wirtschaftsrechts verloren gehen.

Gebiete zusammenführen

Mit Blick auf die didaktische Vermittelbarkeit dieses Rechtsthemas in der Mastervorlesung verfolgen wir mit unserer Publikation «Wettbewerbsrecht und Marktregulierung» das Ziel, die verschiedenen wirtschaftsrechtlichen Teilgebiete zusammenzuführen, miteinander zu vergleichen und daraus gemeinsame Begrifflichkeiten und Prinzipien zu gewinnen. Dies kann nur gelingen, wenn die ökonomischen Fundamente einbezogen werden, die den wettbewerbsrechtlichen Erlassen zugrunde liegen. Das Wettbewerbsrecht lässt sich nur sachgerecht anwenden, kritisch beurteilen und weiterentwickeln, wenn es als Antwort auf ökonomische Erkenntnisse wie solche zum Marktmechanismus, zu Voraussetzungen und Funktionen von Wettbewerb oder zu Marktversagen verstanden und daran gemessen wird.

Wettbewerbsrecht vs. Marktregulierung

Im Kern unserer Untersuchung treffen wir eine Unterscheidung zwischen Wettbewerbsrecht und Marktregulierung. Dem Wettbewerbsrecht ordnen wir sämtliche Rechtsnormen zu, welche der Abwehr staatlicher und privater Eingriffe in den Wettbewerb sowie dem Ausgleich negativer Folgen fehlenden Wettbewerbs dienen. Schutz von Wettbewerb ist nicht Selbstzweck, sondern fördert in den meisten Fällen den Wohlstand. Der wirtschaftliche Wettbewerb führt zu Wohlstand, wenn er ein effizienteres Preis-Leistungs-Verhältnis hervorbringt als andere Formen der Wirtschaftspolitik, wie etwa staatliche oder korporative Planung. Das Wettbewerbsrecht bezweckt somit die Maximierung von Wohlstand im Sinne der bestmöglichen Befriedigung individueller Bedürfnisse nach marktfähigen Gütern.

Dem Wettbewerbsrecht steht die Marktregulierung gegenüber. Diesem Begriff ordnen wir alle Rechtsnormen zu, die der Verwirklichung von Wohlfahrtzielen (öffentliche Interessen) dienen. Unter Wohlfahrt ist das umfassende – letztlich politisch zu definierende – Wohlergehen einer Gesellschaft zu verstehen. Dazu gehören die Gewährleistung von öffentlichen Gütern (wie der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder einer intakten Umwelt und Natur) sowie die gerechte Verteilung von an sich marktfähigen Gütern (wie der Gesundheit oder Bildung).

Mögliche Zielkonflikte

Die Maximierung von Wohlstand steht grundsätzlich zugleich im Dienst der gesellschaftlichen Wohlfahrt. Umgekehrt können aber staatliche Massnahmen zur Verwirklichung von Wohlfahrtszielen in den Wettbewerb eingreifen (z. B. Bewilligungspflichten, Vorgabe von Höchstpreisen, Qualitätsanforderungen oder Umweltschutzvorschriften bis hin zu Grundversorgungsmonopolen oder Subventionen) und damit den Wohlstand mindern; in solchen Fällen stehen Wohlstand und Wohlfahrt in einem Zielkonflikt. Wettbewerbsrecht und Marktregulierung stehen mithin in einem Spannungsverhältnis, das seinerseits im konkreten Fall anhand von rechtlichen Prinzipien wie dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz aufzulösen ist.

Lehre und Forschung im Dialog

Die Entstehung von «Wettbewerbsrecht und Marktregulierung» zeigt sehr anschaulich, wie sich Lehre und Forschung gegenseitig befruchten. Die in der Lehre erkannten Fragen und Unklarheiten bilden die Grundlage der Forschungsarbeit, und die in der Forschung gewonnenen Erkenntnisse fliessen direkt in die Lehre ein. Das Manuskript zu diesem Buch ist über die Jahre hinweg stetig angewachsen, bis aus dem ursprünglich angedachten Vorlesungsskript das Projekt eines dreibändigen Werks hervorgegangen ist. Im Verlaufe vieler Retraiten und unzähliger Diskussionen, mehrfacher Umstrukturierungen und immer wieder verworfener Textentwürfe haben wir uns langsam bis zu dem im vergangenen August erschienenen 500-seitigen ersten Band (Schulthess, Zürich) vorangetastet. Dieser behandelt die Grundlagen von Wettbewerbsrecht und Marktregulierung aus ökonomischer und rechtlicher Perspektive. Hinter uns liegt eine äusserst spannende Entdeckungsreise, die aber auch eine grosse Portion Geduld und Durchhaltevermögen beanspruchte.


Der Beitrag ist im Jahresbericht 2023 der Universität Luzern erschienen.

Nicolas Diebold

Ordinarius für Öffentliches Recht und Wirtschaftsrecht
unilu.ch/nicolas-diebold

Bernhard Rütsche

Ordinarius für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie
unilu.ch/bernhard-ruetsche