Bis 2050 will die Schweiz die Energiewende schaffen – dazu braucht es in der Gesellschaft die Bereitschaft zu einem tiefgreifenden Wandel. Professor Andreas Balthasar, Präsident des Nationalen Forschungsprogramms «Steuerung des Energieverbrauchs», hat sich intensiv mit dieser Frage beschäftigt.
Andreas Balthasar, ein wichtiger Faktor, um die Energiewende umzusetzen, also ohne CO2 auszukommen, sind die Menschen. Wie können diese dazu gebracht werden, mitzuziehen?
Andreas Balthasar: Die Hauptbotschaft des Nationalen Forschungsprogramms (NFP) lautet, dass die Umstellung auf erneuerbare Energien technisch machbar, wirtschaftlich interessant und gesellschaftlich herausfordernd ist. Es ist wichtig, dass die Forschung aufzeigt, dass das technische Potenzial da ist. Für die Wirtschaft ist dieser Wandel interessant, da er neue Märkte eröffnet. Neben Technik und Wirtschaft ist der dritte Faktor die Gesellschaft, der Mensch – wir haben uns intensiv damit befasst, was hier die Herausforderungen sind.
Welche Rolle spielt dabei die Forschung?
Eine wichtige. Die nun abgeschlossenen NFP «Energiewende» und «Steuerung des Energieverbrauchs» – zusammengefasst als NFP «Energie» – liefern wissenschaftliche Erkenntnisse und innovative Lösungsansätze zur Unterstützung dieser Transformation hin zur Realisierung der Energiestrategie 2050.
Eine der Erkenntnisse: Unwissenheit und mangelnde Erfahrung bremsen die Umsetzung der Energiestrategie. Wie ist das zu verstehen?
Rund 20 Prozent der Bevölkerung weiss nicht, dass es den Klimawandel gibt. Eine sehr hohe Zahl. Die Forschung zeigte auch, dass etwa das Instrument der Lenkungsabgabe nicht oder zu wenig verstanden wird. Zudem sind viele der Ansicht, Energieeffizienz bedeute, dass weniger Energie verbraucht wird. Dabei geht es darum, die Energie, die wir haben, effizienter einzusetzen. Deshalb ist es so wichtig, gut zu informieren, neutral, unideologisch und mit Fakten. Man muss den Menschen helfen, die Zusammenhänge zu verstehen. Dabei spielen Verbände wie beispielsweise der Hauseigentümerverband als Vermittler eine wichtige Rolle. Seine Informationen etwa zum Thema Wärmedämmung von Gebäuden werden von der Zielgruppe, den Hausbesitzenden, verstanden und akzeptiert.
Dort, wo sich die Erderwärmung konkret auf unser Leben auswirkt, beschäftigt sie uns.
Fehlt es den Menschen auch an positiven Erfahrungen mit neuen, umweltfreundlichen Technologien?
Es gibt das bekannte Verhaltensmuster gemäss dem Sprichwort «Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht». Elektroautos zum Beispiel existieren schon lange, dennoch haben viele noch immer Berührungsängste, weil sie daran zweifeln, dass diese praktikabel sind, weil es zu wenig Tankstellen gebe, ein E-Auto nicht für Ferienreisen tauge und so weiter. Wenn aber ein Kollege ein solches Auto fährt, dann sieht man, dass es alltagstauglich ist. Ähnlich verhält es sich in der Politik: Wenn man Fotovoltaik nicht kennt, wollen sie viele Politikerinnen und Politiker nicht. Dort, wo bereits Erfahrungen gemacht wurden, ist auch die Akzeptanz grösser. Darum ist es wichtig, beispielsweise Projekte zur Förderung von Fotovoltaikanlagen sichtbar zu machen und gut darüber zu informieren. Das erhöht die Zustimmung.
Sie haben sich mit der Frage der Akzeptanz befasst, die etwa von politischen Grosswetterlagen oder von subjektiven Einschätzungen abhängt. Welche Einflussfaktoren sind wichtig, damit Menschen zu einer Massnahme wie etwa dem Bau von Windparks Ja sagen?
Zentral ist Partizipation, und zwar von Anfang an. Bei Windenergieprojekten zum Beispiel ist es wichtig, dass man nicht mit fertigen Projekten auf die Bevölkerung zugeht, sondern sich mit den Betroffenen von Beginn an gemeinsam an einen Tisch setzt und prüft, wo und wie eine solche Anlage realisierbar wäre, was die Bedenken sind etc. Ein weiterer Faktor sind sogenannte «Leading Figures», bekannte Persönlichkeiten, die sich für ein Projekt stark machen. Wie etwa beim KKL Luzern, als sich der damalige Stadtpräsident für den Bau des Konzerthauses einsetzte und damit viele Luzernerinnen und Luzerner überzeugte. Aber bleiben wir realistisch: Auch ein guter Partizipationsprozess garantiert keine Zustimmung zu einem Projekt.
Die Umstellung auf erneuerbare Energie erfordert also eine gesellschaftliche Bereitschaft. Dabei steht uns eine Eigenschaft im Weg: Routine. Wie kann man diese überlisten?
Am Beispiel Jeans haben wir gesehen, dass viele Menschen diese einfach routinemässig waschen, unabhängig davon, ob die Hosen tatsächlich schmutzig sind. Hier stellt sich die Frage, wie man jemanden dazu bringen kann, sein Verhalten und seine Gewohnheiten zu ändern. Da hat die Forschung gezeigt, dass es wichtig ist, die Leute im richtigen Moment abzuholen. Wenn im Leben einer Person Brüche passieren, ist sie eher bereit für eine Veränderung. Etwa, wenn jemand in eine neue Stadt zieht und sich neu einrichtet. Oder wenn ein Paar zusammenzieht. Dann stimmt man das Waschverhalten aufeinander ab. An diesen Punkten können wir helfen, Menschen zu einer Strategie zu bewegen, die ökologischer ist. In solchen Momenten können Veränderungen sehr schnell passieren.
Ist es nicht auch ein Problem, dass viele Menschen sich nicht für Energiefragen interessieren, weil Energie letztlich kein grosser Kostenfaktor ist?
Es ist tatsächlich so, dass Energiefragen nicht beschäftigen. Ein besserer Anknüpfungspunkt ist da die Lebensqualität. Wenn jemand im Sommer wegen einer neu eingebauten Wärmeisolation eine angenehm kühle Wohnung hat, schätzt er das. Wenn eine energieeffiziente Beleuchtung eine angenehme Wohnatmosphäre schafft, zieht man diese einer grellen Beleuchtung vor. Mit der Thematisierung der Lebensqualität kann man die Menschen abholen – viel besser als mit der Energiethematik. Auch beim Thema Klimawandel ist es sinnvoll, die Lebensqualität miteinzubeziehen. Dort, wo sich die Erderwärmung konkret auf unser Leben auswirkt, beschäftigt sie uns. Wenn wir beispielsweise einen Wanderweg nicht mehr beschreiten können, weil es wegen der aufgetauten Böden zu mehr Steinschlag kommt. Solche Erfahrungen können die Bereitschaft für eine Systemänderung erhöhen.
Die Forschung hat alle Aspekte zusammengetragen, die es für einen Wandel unseres Energiesystems braucht. Nun müssen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Entscheide fällen, damit es vorwärtsgeht. Wie spielen diese Kräfte zusammen?
Den Lead hat, so meine ich, die Gesellschaft. Sie wählt in unserem direktdemokratischen System die Politikerinnen und Politiker, diese führen im Auftrag der Bevölkerung. Die Wirtschaft bringt sich in diese Prozesse ein. Wir brauchen auch diese Kräfte, weil sie die Entscheide letztlich mittragen müssen. Über ihre Netzwerke helfen sie mit, dass Massnahmen in breiten Bevölkerungskreisen akzeptiert werden.
Ganz so rund klappt das leider nicht immer. Es werden politisch Entscheide gefällt, etwa eine Lenkungsabgabe, die dann später von Interessenverbänden aus der Wirtschaft bekämpft werden.
Unsere Demokratie funktioniert so, dass sich alle Interessenverbände am politischen Prozess beteiligen und damit Entscheide des Parlaments letztlich auch mittragen. Was mir Sorgen bereitet, ist, wenn sich in der nachparlamentarischen Phase einzelne Gruppierungen – aus Wirtschafts- oder Umweltkreisen – wiederum einschalten und demokratisch gefällte Entscheide wieder umstossen möchten. Das kann zu Demokratieverdrossenheit führen. Deshalb gilt es, da auch mal über den eigenen Schatten zu springen und Kompromisse tatsächlich umzusetzen. Nur so kommen wir voran, und nur so behält die Bevölkerung das Vertrauen in die Demokratie.
Welche Mängel gibt es aus Sicht der Forschung auf Gesetzesebene?
Die Gesetze aus dem Umwelt-, Energie- und Landwirtschaftsbereich sind noch nicht gut abgestimmt. Zum Teil behindern sich diese gegenseitig, deshalb braucht es ein Gesamtkonzept. Die staatlichen Vorgaben müssen zusammenpassen. Auch braucht es beispielsweise im Verkehrsbereich mehr Regulierung, weil die Realität zeigt, dass die klimapolitischen Ziele mit Freiwilligkeit alleine nicht erreicht werden können. Damit solche Regulierungen aber Mehrheiten finden, brauchen wir einen gesellschaftlichen Konsens.
Nicht der rational beste, sondern der gesellschaftlich machbare Weg wird uns zum Ziel führen.
Die Schweizerinnen und Schweizer haben einen sehr hohen Energieverbrauch, wir stossen viel CO2 aus. Wie kommen wir da zu einem veränderten Verhalten?
Ich zeichne hier das Bild vom Rüebli, vom Stock und vom Gebet. Das Rüebli ist der Anreiz, etwa Lenkungsabgaben oder Subventionen. Der Stock symbolisiert die oben erwähnten gesetzlichen Einschränkungen. Und mit Gebet sind Motivation, Information und Aufklärung gemeint. Es braucht einen Mix aus allem, gut kombiniert, damit wir die Energiewende auch tatsächlich schaffen. Es ist klar, dass es Kompromisse braucht. Die bringen zwar nicht immer die beste Lösung, sind aber trotzdem oft wirksam, auch wenn der Wandel weniger schnell vollzogen wird. Wir sehen das am Beispiel des Lötschberg- und Gotthardtunnels. Eine Achse hätte wohl gereicht, aber schliesslich haben wir beides gebaut, auch wenn es die viel teurere Lösung war. So sehe ich das auch bei der Energiestrategie: Nicht der rational beste, sondern der gesellschaftlich machbare Weg wird uns zum Ziel führen.
Trotzdem: Das Nationale Forschungsprogramm «Energie» liefert die Grundlage für die politische und gesellschaftliche Diskussion. Was die Wissenschaft vorschlägt, wird von der Politik erfahrungsgemäss nicht unbedingt umgesetzt. Ist das nicht auch ein wenig frustrierend?
Nein, mittelfristig stehen die Chancen nicht schlecht, dass einiges aus unseren Erkenntnissen umgesetzt wird. Unsere Rolle ist es, Grundlagen zur Verfügung zu stellen, Handlungsoptionen zu zeigen – entscheiden muss die Politik und letztlich die Gesellschaft. Uns war es wichtig, gehört zu werden. Darum haben wir eng mit Partnern aus der Praxis, sei das aus der Wirtschaft, aus Interessenverbänden oder aus der öffentlichen Verwaltung zusammengearbeitet. Und wir haben unsere Erkenntnisse und Ergebnisse konsequent online zur Verfügung gestellt. Wir haben bewusst stets die Öffentlichkeit gesucht, viele Gespräche mit Interessengruppen geführt, um aktuelle Fragen in die Forschungen zu integrieren und die Informationen möglichst rasch in der ganzen Gesellschaft zu verbreiten.
Andreas Balthasar ist Titularprofessor für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Schweizer Politik und Politikevaluation, und Präsident der Leitungsgruppe des Nationalen Forschungsprogramms «Steuerung des Energieverbrauchs».
Das Forschungsprogramm dauerte von 2014 bis Anfang 2020 und hatte ein Budget von acht Millionen Franken. Neben dem Präsidium durch Andreas Balthasar war die Universität Luzern mit Simon Lüchinger, Professor für Ökonomie, vertreten, der das darin enthaltene Forschungsprojekt «Steueranreize für eine Senkung des Energieverbrauchs» geleitet hat. www.nfp-energie.ch
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Klimaerwärmung, Schonung der Umwelt: Auch andere Forschende der Universität Luzern befassen sich mit diesem Themenkreis, unter anderem auf kultur- und rechtswissenschaftlichem Terrain.
«Die Zeit der ständigen Appelle ist vorbei. Wir können nur noch handeln»: Zu diesem Schluss kommt Boris Previšić, SNF-Förderprofessor für Literatur- und Kulturwissenschaften, in seiner Neuerscheinung «CO2: Fünf nach Zwölf. Wie wir den Klimakollaps verhindern können» (Wien). Im Buch analysiert er zum einen die verschiedenen Erzählungen, Narrative und Muster, die mit der globalen Erwärmung einhergehen. Unter anderem seien drei Reaktionen darauf erkennbar: Ignoranz und Leugnung; zwar prinzipielles Bewusstsein für die Problematik, aber doch nur halbherziges, symbolisches Handeln – und totale Erkenntnis des Ernsts der Lage mit dem Versuch, möglichst angemessen darauf zu reagieren.
Zum anderen verlässt Previšić die rein kulturwissenschaftliche Warte und eine einzig beobachtende Position, indem er die entsprechenden naturwissenschaftlichen Fakten zusammenfassend darstellt und konkrete Lösungen aufzeigt. Gleichzeitig zum möglichst raschen Ausstieg aus der fossilen Energie müsse die CO2-Rückbindung massiv erhöht werden. Grosses Potenzial hierfür ortet Boris Previšić in der Land- und Forstwirtschaft; dies durch Rückführung von Biomasse in den Boden. «Die Landwirtschaft hat sich vom CO2-Emittenten zum CO2-Immittenten zu wandeln.»
Kreislaufwirtschaft anregen
Sebastian Heselhaus, Ordinarius für Europarecht, Völkerrecht, Öffentliches Recht und Rechtsvergleichung, nimmt mit seinem Team derzeit am Nationalen Forschungsprogramm «Nachhaltige Wirtschaft» teil. Sein Projekt befasst sich mit der Frage, mit welchen rechtlichen Instrumenten man im Sinne einer Kreislaufwirtschaft die Industrie und die Konsumenten anregen und beeinflussen kann, die Langlebigkeit von Produkten zu fördern und Lebensmittel so wenig wie möglich wegzuwerfen. Im Rahmen der Studie «Combating Food Waste and Promoting Repair» entstehen zwei Doktorarbeiten. (Dave Schläpfer)