Wie wird Richard Wagners Leben und Wirken in Luzern im Museum vor Ort inszeniert? Idyllisch, wie Beobachtungen zeigen. Wagner war allerdings nicht nur Opernkomponist, sondern auch ein Antisemit.
Rund zwei Kilometer vom Stadtzentrum entfernt befindet sich das «Landhaus Tribschen», wo Wagner (1813–1883) einst wohnte. Heute dient das Haus als Museum, betrieben von der Stadt Luzern. Während seiner Zeit in Luzern, 1866 bis 1872, verbreitete Wagner seine judenfeindliche Ideologie in einem Pamphlet mit dem Titel «Das Judenthum in der Musik» (1869; zweite und erweiterte Ausgabe nach der Ersterscheinung 1850). Er beschimpft darin unter anderem das «jüdische Erscheinungsbild», spricht Menschen jüdischen Glaubens künstlerische Schaffenskraft ab und heroisiert gleichzeitig die «deutsche Kultur». Hinzu kommt: Zahlreiche Verbindungslinien führen von Wagners Schriften über seine Nachkommen direkt zum Nationalsozialismus und zum mörderischen Antisemitismus des 20. Jahrhunderts.
In meiner abgeschlossenen Masterarbeit zur Thematik (siehe Box) beleuchte ich folgende Fragen: Wie geht das städtische Museum mit diesem zweigesichtigen Erbe um? Wie wird Wagners Antisemitismus (nicht) thematisiert und wie zeigt sich dies in den Rückmeldungen der Museumsbesuchenden? Wie genau ist Wagners antisemitisches Pamphlet ausgestellt, wie spricht der Audioguide und die Museum-Website über Wagners Antisemitismus, und wie wird sein Leben und Wirken insgesamt inszeniert? Auch warf ich einen Blick auf das Landhaus als architektonisches Gebilde und auf die unmittelbare Umgebung, wie diese geprägt wurden und wie sie «zurückprägen», wie sie etwa Wagners ideale Vorstellung eines «Idylls» und eines «Naturparadieses» bis heute repräsentieren und wie vor Ort eine bestimmte Erinnerung konstruiert wird.
Örtlich fokussiert die soziologisch ausgerichtete Studie primär auf den Raum Luzern und auf die im Frühjahr 2023 neueröffnete Dauerausstellung «Wagners Idyll: Die Villa Tribschen 1866–1872». Das Thema hingegen bewegt sich im Kontext einer international zunehmenden Debatte über den Umgang mit antisemitischem, rassistischem und kolonialem Erbe.
Kritische Stimmen beinahe inexistent
Auf der Suche nach Antworten sammelte ich im Feld vorgefundene Schrift- und Bilddokumente, Fotos, Plakate, Zeitungsartikel und Website-Texte, nahm an Rundgängen und Konzerten des Museums teil und protokollierte meine Beobachtungen in ethnografischer Manier. Ein besonderes Augenmerk galt der Analyse von kleinen Post-it-Zettelchen, auf denen Museumsbesuchende ihren Eindruck der letztjährigen Ausstellung im Richard Wagner Museum Luzern festhielten. Zum Beispiel hat jemand geschrieben: «Gerade unten hat man das Gefühl, dass Wagner gleich mit seinem Hund reinspaziert kommt und einen rausschmeisst um zu komponieren. Herrlich!». Eine andere Person meldete zurück: «Ein echtes Bijou, sehr schöne Ausstellung, sorgfältig gestaltet!» Die überwiegende Mehrheit der 56 Rückmeldungen – über den Zeitraum von drei Monaten beobachtet – war lobend. Kritische Stimmen hingegen waren rar.
Inszenierung als «heile Welt»
Aus all den Beobachtungen heraus ergibt sich: Wagners Antisemitismus wird in der neuen Dauerausstellung zwar nicht verschwiegen, aber in einer Art und Weise erzählt, die auf ein flüchtiges Problembewusstsein zurückzuführen ist. Die Inszenierung «Wagners Welt» als «Idyll» suggeriert Vorbeigehenden und Museumsbesuchenden, dass es sich bei Wagner und seiner Zeit auf der Halbinsel Tribschen um eine «heile Welt» handelt, in der alle willkommen waren. Dass dem nicht so ist, sind sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen seit Jahrzehnten einig.
Ein weiterer Befund: Die Inszenierung Wagners im Museum fokussiert auf Angenehmes. Ausstellungsgegenstände, die allen Besuchenden durch ihre Platzierung geradezu auffallen müssen, weisen auf angenehme Inhalte hin, wie zum Beispiel auf seine Liebe zu Haustieren oder seine Vorliebe für opulente Möbel. Anders verhält es sich mit Artefakten wie Wagners antisemitisches Pamphlet, die zwischen anderen Ausstellungsobjekten optisch beinahe zu verschwinden drohen. Vorausgesetzt wird eine bereits existierende Sensibilität der Besuchenden, um Wagners ambivalentes Erbe als solches wahrnehmen zu können.
Alternative Handlungsmöglichkeiten
In der Arbeit wird die Verantwortung hervorgehoben, die Institutionen wie öffentlichen Museen innewohnt, sich ihrer Vergangenheit zu stellen, gerade auch in der Schweiz. Das Potenzial wäre da, so das Fazit, statt einen Ort der Verehrung eines grossen Komponisten einen Raum der kritischen Auseinandersetzung zu schaffen, indem Wagners Person, sein Werk und seine Wirkung ganzheitlich reflektiert werden. Und somit auch einen Ort der Sensibilisierungsarbeit, dahingehend, Luzerns antisemitisches Erbe und Antisemitismus generell als Bedrohung demokratischer Werte ernst zu nehmen, zu reflektieren und offen zu diskutieren.
In diesem Zusammenhang hat der Grosse Stadtrat Luzern Ende 2023 ein Postulat angenommen, das eine wissenschaftliche Aufarbeitung von Wagners Zeit in Luzern fordert. Entsprechend dürfte auf das Ausstellungsjahr 2025 hin eine Veränderung zu erwarten sein.
Ausgezeichnete Abschlussarbeit
Enya Wolf hat sich im Rahmen ihrer Masterarbeit «Umgang mit antisemitischem Erbe. Eine soziologische Untersuchung am Beispiel des Richard Wagner Museums Luzern» mit der Thematik befasst. Betreut wurde die Studie von Andrea Glauser, Privatdozentin am Soziologischen Seminar Luzern und Professorin für Kulturwissenschaft an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Wolfs Abschlussarbeit wurde von der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät als beste Masterarbeit des Frühjahrssemesters 2024 ausgezeichnet. Glauser konkludiert in ihrer Laudatio: «Enya Wolf reflektiert die Institution des Museums als Ort, dem erhebliche Deutungsmacht zukommt und wo in grundlegender Weise gesellschaftliche Verhältnisse thematisiert werden.» Ihre interdisziplinär abgestützte Untersuchung habe «zu höchst interessanten und wichtigen Ergebnissen geführt». (red.)