Politik, Wirtschaft, Recht: Eine Professorin und zwei Professoren zeigen den Nutzen ihrer Disziplinen auf, um den mit dem Klimawandel einhergehenden Herausforderungen zu begegnen – und betonen das Potenzial im Verbund.
Lena Maria Schaffer, Klimafragen werden teilweise stark mit Natur- und Ingenieurwissenschaften in Verbindung gebracht – warum schlägt nun die Stunde der Humanwissenschaften?
Lena Maria Schaffer: Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem klar wird: Klimawandel kann nur mit der Bevölkerung bekämpft werden und nicht über sie hinweg. Das Verständnis dafür, wie Individuen, privatwirtschaftliche Akteure und Gesellschaften wahrnehmen, entscheiden und handeln, ist Hauptanliegen der Humanwissenschaften. Deshalb braucht es jetzt eine Bündelung humanwissenschaftlicher Kompetenzen. Die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, wie sich Extremwetterereignisse, Alpengletscher oder Meeresspiegel aufgrund des menschengemachten Klimawandels verändern, sind natürlich extrem wichtig. Diese über Jahrzehnte akkumulierte, wissenschaftlich gesicherte Evidenz dient als Entscheidungsgrundlage für die Politik. Zudem haben Ingenieurinnen und Ingenieure technische Lösungen entwickelt, wie man z. B. aus Sonnenlicht Strom erzeugt oder wie man Verbrenner durch E-Autos ersetzt.
Aber?
Die Umsetzung, wie man also internationale Verträge zur Lösung des globalen Problems gestaltet, welche technischen Lösungen effizient und effektiv eingesetzt werden können und wie man Bürgerinnen und Bürger von der Umstellung überzeugt, betrifft Fragen, welche die humanwissenschaftlichen Disziplinen besser beantworten können – und es handelt sich hierbei um die derzeit dringlichen Fragen.
Was kann hier die Politikwissenschaft, wo Sie beheimatet sind, leisten?
Sie setzt an zentralen Punkten an. Erstens wird analysiert, wie Nationalstaaten im Kontext von internationalen Organisationen (IO) über Lösungsansätze für solche globalen Probleme entscheiden und diese umsetzen. Hier untersucht dann zweitens die vergleichende Politikwissenschaft, wie es unterschiedlichen politischen Systemen bzw. Akteuren und Institutionen im Nationalstaat gelingt, international verabredete Verpflichtungen auch tatsächlich umzusetzen, und welche Akteure oder Institutionen Erfolg bringen oder verzögern. Hier geht es auch um die Frage, wer Entscheidungsfindung im Politikfeld Klima konkret beeinflusst: die öffentliche Meinung und/oder Interessengruppen. Drittens wird – beispielsweise auf der Ebene des Individuums – untersucht, welchen Einfluss Klimapolitik sowie deren Politisierung und Polarisierung auf politisches Verhalten, insbesondere bei Wahlen und Abstimmungsentscheidungen, hat.
Woran forschen Sie in diesem Bereich momentan?
Meine Forschung setzt derzeit in diesem dritten Bereich an. Einerseits interessiere ich mich dafür, wie Klimapolitik den politischen Wettbewerb unter Parteien in den letzten Jahren verändert hat. Andererseits versuche ich herauszufinden, welche Instrumente der Klimapolitik bei den Bürgerinnen und Bürgern (eher) akzeptiert werden und warum. Ich arbeite empirisch und verwende beispielsweise Umfrageexperimente, um etwaige Effekte möglichst klar identifizieren zu können.
Ökonomie analysiert unter anderem die besonderen Herausforderungen, die sich daraus ergeben, dass wir es beim Klimawandel mit einem globalen Problem zu tun haben.
Simon Lüchinger: Die Ökonomie liefert in mindestens drei Bereichen zentrale Beiträge. Erstens schätzt sie die Kosten des Klimawandels. Sie erfasst umfassend alle Auswirkungen auf die gesellschaftliche Wohlfahrt und deren Verteilung auf verschiedene Bereiche und geografische Regionen. Sie befasst sich mit der Vergleichbarkeit von Wohlfahrtseffekten, die zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten auftreten und oft unterschiedliche Generationen betreffen. Zweitens analysiert sie Vor- und Nachteile verschiedener klimapolitischer Massnahmen und entwickelt den entsprechenden Instrumentenkasten weiter. In Europa ist das weitaus wichtigste klimapolitische Instrument das EU-Emissionshandelssystem. Das Instrument handelbarer Emissionszertifikate entstand auf der Basis theoretischer ökonomischer Überlegungen. Drittens analysiert die Ökonomie die besonderen Herausforderungen, die sich daraus ergeben, dass wir es beim Klimawandel mit einem globalen Problem zu tun haben. Sie untersucht die Möglichkeiten und Hürden, das Problem mittels internationaler Abkommen anzugehen.
Woran forschen Sie in diesem Bereich und was zeigt sich hier?
Ich arbeite empirisch und interessiere mich einerseits für die Wirksamkeit umweltpolitischer Massnahmen und anderseits für die Wohlfahrtseffekte von Umweltproblemen. Bei Letzterem stehen vor allem traditionelle Umweltprobleme wie Luftverschmutzung im Vordergrund. Hier zeigt sich, dass in der Vergangenheit wichtige Kosten der Umweltverschmutzung vernachlässigt wurden.
Die Rechtswissenschaft ist für die erfolgreiche Bekämpfung des Klimawandels nahezu unverzichtbar.
Sebastian Heselhaus: Sie ist für die erfolgreiche Bekämpfung des Klimawandels nahezu unverzichtbar. Dazu drei Beispiele: Der Klimawandel beruht auf einem zu hohen Ausstoss von Treibhausgasemissionen, insbesondere wegen des Verbrauchs fossiler Energieträger und des Gebrauchs von Produkten wie Fahrzeugen, die diese Energieträger benötigen. Die Marktkräfte sorgen nicht ausreichend dafür, dass die gesellschaftlichen Kosten des Klimawandels in den Preisen für diese Energie und Produkte einbezogen werden. Diese Lücke können rechtliche Regelungen schliessen, etwa über CO2-Abgaben oder Vergünstigungen für alternative Energieträger, und so Verhaltensänderungen auch entgegen den Marktkräften bewirken.
Auch braucht es Änderungen im Bereich der Energiepolitik. Da es aber eine Hauptaufgabe aller Staaten ist, die ausreichende Versorgung mit Energie sicherzustellen, ist dieser Bereich sehr stark reglementiert. Jede Etablierung anderer Energieträger in diesem Versorgungssystem kann nur durch Änderung der bestehenden Rechtsregeln herbeigeführt werden, wie in einem Mobile jede Veränderung eines Elements nach einer neuen Ausbalancierung verlangt. Nicht zuletzt hat die Bekämpfung des Klimawandels nur Erfolg, wenn sie weltweit erfolgt. Es braucht internationale Solidarität. Diese kann durch internationale Verträge wie das Pariser Abkommen gesichert werden oder durch internationale Koordination und Kooperation. Für beides kann das Recht einen verlässlichen Rahmen bereitstellen.
Woran forschen Sie in diesem Bereich zurzeit?
Ich arbeite an Themen der Kreislaufwirtschaft und des Klimaschutzrechts: Due Diligence, also Sorgfaltspflichten für Unternehmen, Bekämpfung des Greenwashing sowie von Food Waste und Recht auf Reparatur.
Es müssen (weitere) Regeln für die Gesellschaft und Industrie gefunden und umgesetzt werden – und zwar mit einer ganzheitlichen Herangehensweise.
Sie drei leiten den ab diesem Herbst angebotenen Master (siehe Box unten) gemeinsam. Mit diesem wird eine interdisziplinäre Perspektive angestrebt. Weshalb ist dies so nutzbringend?
Schaffer: Wie bereits gesagt, obliegt die Bekämpfung des Klimawandels den Menschen selbst. Die naturwissenschaftliche Evidenz darüber, was bei einem «weiter so» passiert, ist relativ klar, d. h., wir kennen die Restbudgets an Treibhausgasen für einen Verbleib innerhalb einer um 2° Celsius erwärmten Welt ziemlich genau. Damit und mit dem Pariser Abkommen kommt den Nationalstaaten eine gewichtige Rolle beim Klimaschutz zu. Es müssen (weitere) Regeln für die Gesellschaft und Industrie gefunden und umgesetzt werden, die einerseits klimaschädliche Emissionen minimieren, andererseits möglichst nicht zu einer Erhöhung der sozialen Ungleichheit oder einer Verringerung des Wirtschaftswachstums führen. Hier ist eine ganzheitliche Herangehensweise gefragt.
Können Sie ein Beispiel machen?
Nehmen wir etwa die CO2-Bepreisung, die als eines der ökonomisch effizientesten Instrumente im Kampf gegen den Klimawandel gilt. Allerdings variiert die Akzeptanz in der Bevölkerung erheblich – viele Menschen befürchten Wohlfahrtsverluste. Dies führt oft zu zögerlichem Handeln seitens der Politik, da das Risiko von Stimmenverlusten bei Wahlen besteht. Dies kann zu einem Stillstand bei der Umsetzung von Klimapolitik führen und wiederum Gruppen zu Klagen gegen die Untätigkeit der Regierung motivieren. Insgesamt genügt es daher nicht, effiziente und effektive Massnahmen zu definieren, sondern es bedarf auch eines fundierten Verständnisses der ökonomischen, politischen und rechtlichen Zusammenhänge und Folgen. Ganz allgemein gibt es unzählige Beispiele im Klimabereich, in denen entweder durch Marktversagen, Politikversagen oder eine Überregulierung nicht das optimale Ergebnis erzielt werden kann. Diese Beispiele näher zu erörtern und mögliche Lösungsvorschläge mit einer interdisziplinären Sicht zu erarbeiten, ist eines der Kernanliegen des neuen Masterprogramms.
Mensch und Klima: neuer Master
Mit dem «Master in Climate Politics, Economics, and Law» (CPEL) schafft die Universität Luzern das erste interdisziplinäre Studienangebot im Bereich Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit mit einem dezidiert humanwissenschaftlichen Fokus in der Schweiz. Der Masterstudiengang startet im kommenden Herbstsemester. Er kombiniert Wissen aus Politik, Wirtschaft und Recht, um den Studierenden ein profundes Verständnis der vielschichtigen Aspekte des Klimawandels zu vermitteln.
Fächerübergreifender Zugang
Neben den natur- und sozialwissenschaftlichen Grundlagen vertiefen die Studierenden ihr Wissen als Schwerpunkt in einem der drei am Master beteiligten Fächer Politikwissenschaft, Wirtschaftswissenschaften und Rechtswissenschaft. Im Rahmen dieses fächerübergreifenden Zugangs wird die Rolle von Menschen und ihren Institutionen in sozialen, wirtschaftlichen und politischen Interaktionen im Kontext des Klimawandels beleuchtet.
Durch den ganzheitlichen Ansatz stehen Absolvierenden Tätigkeiten aus verschiedenen Berufsfeldern, beispielsweise Politik- und Unternehmensberatung, Kaderpositionen in der öffentlichen Verwaltung, im Privatsektor oder in der internationalen Zusammenarbeit, offen. Der Master richtet sich an Studierende mit interdisziplinärem Interesse, insbesondere an Absolvierende von Politikwissenschaft, Ökonomie und Rechtswissenschaft, aber auch aus anderen sozialwissenschaftlichen Kontexten.