Ferdinand von Schirach ist ein Erzähler, der Abstand zu den Protagonistinnen und Protagonisten seiner Geschichten hält. Er beobachtet ihr Leben aus der Distanz und beschreibt präzise, was er sieht. Das macht er in so faszinierender Weise, dass sich die Leserin immer wieder ganz naiv beim Wunsch ertappt, unbedingt weiterlesen zu wollen, nur um zu erfahren, wie es denn weitergeht.
Mir jedenfalls ist es bisher mit allen Büchern von Schirachs so ergangen – sei es mit den Kurzgeschichten in «Verbrechen» und «Strafe», die Fälle aus seinem Leben als Strafverteidiger schildern, oder mit seinem Roman «Der Fall Colini», der den Umgang der Nachkriegsjustiz mit NS-Verbrechen zum Thema hat. Von Schirach schaut genau hin, obwohl oder gerade weil nicht schön ist, was dort zu sehen ist. Er verbindet theoretisch interessante Fragen des Rechts mit den grossen Themen Liebe, Gerechtigkeit, Freiheit und Hass. Dass es hier fast immer keine Eindeutigkeiten und Gewissheiten geben kann, bringt er auf eine sehr klare und mitreissende Art zum Ausdruck.
In seinem Erzählband «Kaffee und Zigaretten», den ich neulich auch deshalb gelesen habe, weil mir der Kaffee (weniger die Zigaretten) mit meinen Kollegen an der Uni fehlten, schaut von Schirach auf sein eigenes Leben. Die Texte erzählen von seiner Kindheit und Jugendzeit. Er berichtet von einer Freundin, die irgendwann wissen wollte, warum er so ist, wie er ist, was ihn zum Nachdenken darüber brachte, wie ein heller Mensch das Dunkle begreifen soll. Er erzählt von dem alten Trinker auf der Bank vor dem Supermarkt, an dem er jeden Morgen vorbeiläuft, bis ihm eines Tages auffällt, dass die Bank leer bleibt, oder er fungiert als unfreiwilliger Protokollant eines am Nebentisch im Kaffeehaus geführten Dialogs zweier alter Männer, die sehr laut sprechen, weil sie nicht mehr gut hören können.
Von Schirachs Texte erzählen vom Glanz und vom Elend des menschlichen Lebens in so prägnanter und mitunter knapper Weise, dass man schon beim Lesen versucht ist, seine Geschichten in Gedanken weiterzuspinnen. Das macht einfach Spass.
Hannah Mormann
Oberassistentin am Soziologischen Seminar
unilu.ch/hannah-mormann