Der «Schweizer Human-Relations-Barometer» (HR-Barometer) ist kürzlich zum zehnten Mal erschienen. Anja Feierabend, Co-Autorin der Studie, spricht über Trends, Arbeitszufriedenheit und das diesjährige Schwerpunktthema «Integration und Diskriminierung».
Anja Feierabend, den HR-Barometer (Details dazu siehe unten) gibt es seit 2006. Welche Veränderungen lassen sich über diesen Zeitraum aus den Erhebungen ablesen?
Anja Feierabend: Insbesondere fällt auf, dass die erlebte Arbeitsplatzunsicherheit in diesem Jahr nochmals angestiegen ist. Die Bewältigung von Unsicherheit scheint ein wichtiges Handlungsfeld. Das wichtigste Mittel im Kampf dagegen ist die eigene Arbeitsmarktfähigkeit, also die Fähigkeit, auf dem Arbeitsmarkt schnell wieder eine neue Anstellung zu finden. Leider wird diese von den Beschäftigten seit Erhebungsbeginn nur als mittelmässig eingestuft. Hier sollten sowohl Arbeitgebende als auch Arbeitnehmende ansetzen. Ansonsten lässt sich über die Jahre relativ viel Stabilität beobachten, viele Faktoren, welche wir seit Messbeginn regelmässig erheben, verbleiben also ungefähr auf demselben Niveau. Einzig die vom Arbeitgeber erhaltene Autonomie wird seit 2011 schlechter bewertet.
Wie sieht es mit der Zufriedenheit aus? Sind Angestellte noch so zufrieden wie vor zwölf Jahren?
Seit Erhebungsbeginn befindet sich die allgemeine Zufriedenheit der Beschäftigten auf konstant hohem Level. Betrachtet man jedoch die verschiedenen Arten der Arbeitszufriedenheiten, kann beobachtet werden, dass der Anteil an Personen mit einer stabilisierten Arbeitszufriedenheit (positiver Soll-Ist-Vergleich, Aufrechterhaltung des Anspruchsniveaus) seit 2006 immer mehr abnimmt. Der Anteil an Personen mit resignativer Arbeitszufriedenheit nimmt hingegen seit Messbeginn tendenziell immer mehr zu. Aktuell ist aber die Zunahme der resignativen Arbeitszufriedenheit erstmals wieder etwas rückläufig.
Die Ergebnisse der generellen Erhebung zeigen, dass die grösste Diskrepanz innerhalb des sogenannten psychologischen Vertrages bei den Vorstellungen über einen angemessenen Lohn besteht. Mehr Transparenz soll hier Abhilfe schaffen. Was können Arbeitgebende tun, um die Situation zu verbessern?
Der psychologische Vertrag ist umso tragfähiger, je expliziter gegenseitige Erwartungen gemacht werden. Sowohl Arbeitgebende als auch -nehmende sollten somit regelmässig und offen miteinander über das bestehende Lohnsystem und die damit verbundenen Erwartungen sprechen. So können bei den Arbeitnehmenden unrealistische Lohnerwartungen und Ungerechtigkeitsempfindungen vermieden werden.
Im HR-Barometer wird die individuell wahrgenommene Integration von Mitarbeitenden erfasst. Welche Faktoren haben einen Einfluss auf die wahrgenommene Integration im Arbeitsumfeld?
Bei den ausländischen Beschäftigten spielt ins besondere die Sprache eine entscheidende Rolle: Je grösser die Sprachbarrieren sind, umso schlechter fühlt sich eine Person in ihrem Arbeitsumfeld in der Schweiz integriert. Und je internationaler ein Unternehmen ausgerichtet ist, umso besser fühlen sich ausländische Beschäftigte integriert. Besteht zudem ein gutes Arbeitsverhältnis zu den Vorgesetzten und den Arbeitskolleginnen und -kollegen und wird das Unternehmensklima als offen und fair wahrgenommen, berichten ausländische Beschäftigte vermehrt über eine positiv wahrgenommene Integration.
Ein interessanter Befund der Erhebung ist, dass das Angebot von Sprachkursen in Firmen keinen Einfluss auf das erlebte Integrationsklima hat. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?
Sprachkurse stellen die zweithäufigste Integrationsmassnahme dar. Wir konnten aber keinen direkten positiven Effekt von Sprachkursen auf das erlebte Integrationsklima feststellen. Die Resultate zeigen, dass sich Massnahmen wie Kennenlernveranstaltungen positiv auf das erlebte Integrationsklima auswirken. Soziale Interaktionen, bei denen die Sprache direkt im Kontext angewendet wird, scheinen somit förderlicher für die Integration von ausländischen Beschäftigten zu sein als kontextfremde Sprachkurse.
Dass fast jeder fünfte ausländische Beschäftigte von Kundinnen oder Kunden gelegentlich diskriminiert wird, hat uns sehr überrascht.
19 Prozent der Befragten gaben an, gelegentlich von Kundinnen oder Kunden diskriminiert zu werden. Oftmals liegt dies ausserhalb des Einflussbereichs von Arbeitnehmenden und -gebenden. Wo sehen Sie Möglichkeiten, diese Situation zu verbessern?
Dieses Resultat hat uns sehr überrascht. Arbeitgebende sollten Massnahmen zum Schutz ihrer Belegschaft ergreifen. Wenn sich Kundinnen oder Kunden beispielsweise nicht von Angestellten mit ausländisch klingendem Namen bedienen lassen möchten, sollten Arbeitgebende eingreifen und die diskriminierungsfreie Haltung des Unternehmens klar gegen aussen kommunizieren.
Aus der Studie geht hervor, dass ein Drittel der ausländischen Beschäftigten das Integrationsklima in ihrem Betrieb als mittelmässig erachtet. Kann man ausgehend von diesem Bericht Empfehlungen abgeben, wie das Klima verbessert werden kann?
Ja, wie gesagt, kann beispielsweise die Organisation von Kennenlernveranstaltungen und die Förderung einer offenen Kommunikationskultur dazu beitragen. Welche Massnahme aber am besten geeignet ist, hängt immer auch vom spezifischen Unternehmenskontext ab. Zudem ist es entscheidend, dass die Unternehmensleitung hinter der Idee steht und sich auch persönlich für die Integration von ausländischen Beschäftigten einsetzt.
1947 Angestellte befragt
Der HR-Barometer misst regelmässig die Einstellungen, Wahrnehmungen, Stimmungen und Absichten von Beschäftigten in der Schweiz. Eine Befragung von 1947 Angestellten bildete die Grundlage 2018. Für das diesjährige Schwerpunktthema «Integration und Diskriminierung» wurden zusätzlich 1325 Antworten von ausländischen Beschäftigten in der Schweiz ausgewertet. Die Studie wird von Gudela Grote, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie der ETH Zürich, und Bruno Staffelbach, Leiter des Centers für Human Resource Management an der Universität Luzern, in Kooperation mit der Universität Zürich herausgegeben und finanziell vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert.
Temporärarbeit: Zufriedenheit und Arbeitsmarktfähigkeit erhöhen
«Proaktivität fördern nützt allen»: Dies, formuliert als Ratschlag an Personalvermittlerinnen und -vermittler, ist eine der Schlüsselerkenntnisse aus dem kürzlich abgeschlossenen Forschungsprojekt «Arbeitszufriedenheit und Arbeitsmarktfähigkeit in der Temporärarbeit». Indem Personalvermittler temporäre Angestellte dazu motivieren, sich an ihrem Einsatzort proaktiv Informationen, Feedback und Unterstützung zu suchen, kann ihnen dort gezielter geholfen werden. Dies führt zu mehr Zufriedenheit mit und Loyalität gegenüber Personalvermittlern, so die Studie. Wenn die temporären Angestellten den Rat, im Betrieb proaktiv zu sein, beherzigen, werden ausserdem sie selbst zufriedener, ihre Eingliederung beim Einsatz verläuft schneller und ihr Stress reduziert sich.
Unsichere Beschäftigungsaussichten
Wie der HR-Barometer (siehe Haupttext) wurde die Studie am Center for Human Resource Management (CEHRM) unter der Federführung von dessen Leiter, Betriebswirtschafts-Professor Bruno Staffelbach, realisiert. Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass Temporärarbeit weltweit zunehmend an wirtschaftlicher Relevanz gewinnt. Und dies obwohl Temporärarbeit oft mit unsicheren Beschäftigungsaussichten und dem Stempel von unattraktiven Arbeitsbedingungen einhergeht. Daher ist es das Ziel, so die Studienleiterinnen Manuela Morf und Anna Sender, «die Arbeitszufriedenheit von temporären Angestellten zu steigern und der Beschäftigungsunsicherheit entgegenzuwirken».
Um wirksame Massnahmen zu eruieren, wurden in dem vom Schweizerischen Nationalfonds mit 110'000 Franken geförderten Forschungsprojekt drei aufeinander aufbauende Studien realisiert, unter anderem eine Interventionsstudie bei einer Personalvermittlungsfirma. Daraus destillierte das Team Schlüsselerkenntnisse für drei involvierte Personengruppen: temporäre Angestellte, Personalvermittlerinnen und -vermittler sowie HR-Verantwortliche.
Bei Bewerbung Loyalität hervorheben
HR-Verantwortliche, so einer der Befunde, beurteilen Kandidatinnen und Kandidaten, die sich von einer temporären Anstellung auf eine Stelle bewerben, als weniger loyal und kompetent als solche, die sich aus einer Festanstellung heraus bewerben – wobei diese Wahrnehmung bei erfahrenen HR-Verantwortlichen geringer ausfällt. Bewerberinnen und Bewerbern mit einer Temporäranstellung im Lebenslauf kann also geraten werden, ein Gegengewicht zu setzen und ihre Kompetenzen und Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber bspw. im Motivationsschreiben verstärkt positiv hervorzuheben.