Markus Schreiber forscht und lehrt zum Energie- und Klimarecht. Der 33-jährige Hamburger ist überzeugt: Mit ihrem Nischenangebot trifft die Universität Luzern den Nerv der Zeit.
Eine Kaffeetasse und eine Müeslischale mit dem Logo des Hamburger SV. Mehr Hinweise auf seine Heimat gibt es in Markus Schreibers Büro nicht. «Die Fan-Liebe ist nicht mehr so gross wie auch schon», sagt er und lacht. Das liegt nicht nur, aber auch ein bisschen am Abstieg des Vereins vor zwei Jahren. Tempi passati. Genau wie Schreibers Zeit in der Hansestadt. Nach Luzern kam er vor sechs Jahren und eher zufällig. Nach seinem Jurastudium in Hamburg arbeitete Schreiber in seiner Heimatstadt in einer Kanzlei als Anwalt im Energierecht. Nach einiger Zeit entschied er sich, an eine Universität zurückzukehren, um zu diesem Thema zu promovieren.
«Ich war 2014 als Fan an der Fussball-WM in Brasilien, als ich im Internet auf eine Ausschreibung der Universität Luzern stiess.» Gesucht wurde ein Wissenschaftlicher Assistent für «Energy, Law and Federalism». Es handelt sich dabei um ein Teilprojekt des nationalen «Competence Center for Research in Energy, Society and Transition» (CREST), Teil einer grossangelegten Initiative des Bundes zur Förderung der Energieforschung im Hinblick auf die Energiewende. Schreiber bewarb sich noch von Porto Alegre aus und führte – kaum zurück in Hamburg – ein Job-Interview via Skype. «Einige Monate später packte ich meine Sachen und zog in die Innerschweiz, um im von Professor Sebastian Heselhaus geleiteten Forschungsprojekt mitzuarbeiten.»
Kulturelle Unterschiede
Den Umzug aus der Millionenstadt Hamburg in seine neue Wohnung in der 7000-Seelen-Gemeinde Rothenburg bedeutete für Schreiber nicht nur geografisch, sondern auch kulturell eine grosse Umstellung. «Die Norddeutschen sind sehr direkt, bisweilen sogar etwas ruppig im Umgang.» An die höfliche Art der Schweizerinnen und Schweizer musste er sich zuerst gewöhnen. «Kritik zum Beispiel wird hier viel behutsamer kundgetan als in meiner Heimat.» Ein Problem war die Umstellung für den Neuankömmling indes nicht. Im Gegenteil: «Die Schweizer Art passt mir gut.» Auch sonst habe er sich schnell eingelebt. Während er bei der ersten Wohnungsübergabe in Rothenburg noch kaum ein Wort verstand und stattdessen «immer nur freundlich nickte», bereitete ihm der Dialekt bald darauf keine Mühe mehr.
Nach den ersten zwei Jahren in Rothenburg und Sursee zog Schreiber gemeinsam mit seiner Partnerin, die in Rheinfelden als Anwältin tätig ist, nach Basel. Dass er seither regelmässig zwei Stunden pendelt, liegt an seiner Begeisterung für das Thema Energie. «Mich fasziniert die Vielschichtigkeit», sagt Schreiber. «Ohne Energie würde nichts funktionieren.» Das mache das Fachgebiet einerseits greifbar, andererseits aber auch komplex. Herausfordernd sei insbesondere die Tatsache, dass sich der Bereich «wahnsinnig schnell und dynamisch» entwickelt. «Ähnlich wie bei der Digitalisierung schreitet der Fortschritt auch bei Energiethemen rasant voran. Mit dieser Entwicklung muss auch das Recht Schritt halten, ansonsten kommt es zu Gesetzeslücken.» Zwar gebe es auch in anderen Rechtsgebieten wie etwa dem Strafrecht oder dem Privatrecht Veränderungen – «jedoch sind diese Bereiche nicht annähernd so im Fluss wie das Energierecht». Als Beispiel nennt Schreiber die (Teil-)Liberalisierung des europäischen respektive des schweizerischen Energiemarktes. «Die Marktöffnung führte dazu, dass es heute einen grösseren Konkurrenzkampf unter den Energieversorgern gibt – und das wiederum hat tendenziell mehr Rechtsstreitigkeiten zur Folge.» Zudem hätten auch Bewegungen wie «Fridays for Future» einen Einfluss auf die Gesellschaft und letztlich auch auf die Entwicklung des Energierechts.
Das Recht kann sogar der hauptsächliche Treiber von Innovation sein.
Innovationsförderndes Recht
In seiner 2019 in Luzern angenommenen und jüngst mit dem «Professor Walther Hug-Preis» ausgezeichneten Dissertation befasste sich Schreiber unter anderem mit der Frage, ob und inwiefern das Energierecht innovationsverträglich oder gar innovationsfördernd ausgestaltet werden kann. Schreiber ist überzeugt: «Das Recht kann sogar der hauptsächliche Treiber von Innovation sein.» Das sei zum Beispiel in Deutschland zu sehen, wo das Gesetz wesentlich dazu beitrage, dass erneuerbare Energien massiv gefördert werden. Ein Problem bestehe jedoch, wenn der Gesetzgeber die Regeln so detailliert definiert, dass es keinen Spielraum mehr für andere Lösungen gibt. «Dadurch werden potenzielle Innovationen im Keim erstickt – und es besteht die Gefahr, dass der Gesetzgeber auf das falsche Pferd setzt.»
Markus Schreiber weiss, dass es bei den Energiefragen natürlich nicht die perfekte Lösung gibt, mit der sich alle zukünftigen Herausforderungen lösen lassen. Jede Technologie bringe eigene Vor- und Nachteile mit sich. «Während bei Wasserkraftwerken darauf geachtet werden muss, dass Fische ungehindert wandern können, stellen Windkraftanlagen unter Umständen eine Gefahr für Vögel dar.» Auch bei Solaranlagen gebe es ähnliche Diskussionen. «Diese werden zwar vom Bund gefördert, gleichzeitig wollen die Gemeinden nicht ihren historischen Ortskern mit Fotovoltaik-Modulen vollpflastern.» Und was, wenn Hauseigentümer mit solchen Anlagen auf dem Dach plötzlich zu Stromhändlern werden? Auch das bringe wieder neue rechtliche Fragen mit sich. Trotz vieler Herausforderungen glaubt Schreiber an die Zukunft der erneuerbaren Energien. Er ist überzeugt: «Die Solarenergie gehört spätestens in einigen Jahrzehnten zum Baustandard.»
Interessierte Studierende
Schreiber, der seit dem Herbst 2019 die Assistenzprofessur für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Energie- und Klimarecht vertritt, würde sich freuen, auch in Zukunft an der Universität Luzern forschen und lehren zu können. «Der Schwerpunkt beim Thema Energierecht ist ein Alleinstellungsmerkmal der Uni Luzern. Ausserdem handelt es sich um ein sehr aktuelles Thema, das auch unsere Studierenden stark interessiert. Das Angebot passt zum Zeitgeist.» Das merkt der Dozent bei jeder Vorlesung, die er zum Thema gibt. «Die Lehrverpflichtungen, welche die Assistenzprofessur mit sich bringt, machen mir grossen Spass. Von der konstanten Auseinandersetzung mit dem Thema und den Fragen der Studierenden profitiere ich sowohl persönlich wie auch bei meinen Forschungen.» Beim Austausch mit den Studierenden zeige sich auch immer wieder die Komplexität des Themas. «Häufig werden im Zusammenhang mit Energie und Klimafragen simple Lösungen propagiert – doch die Wahrheit ist, dass es diese nicht gibt. Dafür ist das Energie- und Klimarecht einfach zu vielschichtig.»