Wie informiert eine Behörde im Falle einer Gesundheitskrise? In einer Phase, in der Angst, Verunsicherung und ungesichertes Wissen kursieren? Professorin Sara Rubinelli untersucht, wie beim Covid-19-Ausbruch kommuniziert wurde.
Sara Rubinelli, nicht nur eine Epidemie, sondern vor allem eine Infodemie gilt es zu bekämpfen: So hiess es Anfang der Krise seitens der Weltgesundheitsorganisation WHO. Was passiert, wenn zu viele Informationen zirkulieren?
Sara Rubinelli: Wir hatten von Anfang an die Situation, dass fast jeder und jede sich befähigt fühlte, seine Meinung kundzutun – via Social Media. Die Behörden reagierten zwar sofort, das Problem aber war, dass es keinerlei wissenschaftliche Daten zum Virus gab. Hinzu kam die Herkunft China, was für viele Vorurteile sorgte. Auch reagierte jedes Land unterschiedlich rasch. Die Medien überschlugen sich mit Berichten, ob nun diese oder jene Massnahme richtig oder falsch sei, und so weiter. Das führte zu einem grossen Chaos.
Wie wichtig ist in einer solchen Situation die Kommunikation der Gesundheitsbehörde?
Sie ist entscheidend. In der Schweiz gab es im öffentlichen Fernsehen jeden Tag Informationen vom Bundesamt für Gesundheit (BAG), die relativ klar und verständlich waren. Im Gegensatz dazu Italien: Da war Ministerpräsident Giuseppe Conte, der kommunizierte, und daneben die zahlreichen Fernsehsender, die zehn verschiedene Epidemiologen mit zehn verschiedenen Theorien zeigten.
Nun untersuchen Sie, wie die Schweizer Behörden kommunizierten. Was können Sie bereits sagen?
In der Schweiz war Covid-19 zu Beginn nicht stark spürbar. Es gab tiefere Zahlen und weniger Opfer als in anderen Ländern. Wir möchten herausfinden, ob dies einen Einfluss hat auf die Art, wie die Menschen das Risiko wahrnehmen. Dies macht auch die Kommunikation schwieriger.
Weil viele die Gefahr unterschätzen?
Genau. Wenn es viele Opfer gibt, ist es einfacher, die Menschen davon zu überzeugen, eine Maske zu tragen. Nun untersuchen wir, wie die offizielle Kommunikation war und wie sie sich veränderte. Zudem wollen wir erforschen, wie die Medien berichteten und wie zufrieden die Bevölkerung mit der Kommunikation der Behörden war. Schliesslich möchten wir verschiedene Richtlinien geben, etwa wie Behörden durch ihre Kommunikation die Ausbreitung von Falschmeldungen eindämmen können.
Wie soll dies geschehen?
Es braucht in den Gesundheitsinstitutionen Expertinnen und Experten, die genau beobachten, was für Diskussionen auf den diversen Kanälen stattfinden. Und dann realisieren diese Fachleute Antworten und einordnende Kommentare dazu. Die Gesundheitsbehörden müssen reagieren, wenn Falschmeldungen verbreitet werden. Sonst kann es sein, dass Menschen tatsächlich glauben, dass wir Desinfektionsmittel trinken sollen, wie dies Trump behauptet hat. Viele Leute folgen solchen Ratschlägen nicht, weil sie die Idee überzeugend finden, sondern weil sie die Person als glaubhaft betrachten.
Die Behörden müssen lernen, wie Influencer zu kommunizieren und zu funktionieren.
Sind solche Einordnungen oder Richtigstellungen nicht schon vorhanden?
Doch, teilweise geschieht das bereits. Aber es sollte systematischer gemacht werden und auch in den sozialen Medien. Um sich dort Gehör zu verschaffen, muss man gewissermassen zu einem Influencer werden. Heute reicht es nicht mehr, die Wahrheit zu wissen. Wir müssen auch dafür sorgen, dass sie gehört wird. Die Behörden müssen lernen, wie Influencerinnen und Influencer zu kommunizieren und zu funktionieren. Die Frage sollte sein, wie man es erreicht, attraktiv und interessant zu sein für die Community. Wir müssen aufhören zu denken, dass wir schlecht kommunizieren, wenn wir Überzeugungsarbeit leisten. Niemand hört zu, nur weil es das BAG ist, das etwas kommuniziert. Diese Zeiten sind vorbei.
Müssen sich die Behörden besser verkaufen?
Die Menschen hören zu, wenn es sie überzeugt – und wenn sie die Botschaft erreicht. Viele Forschende sind auf Social Media nicht präsent. Die Wissenschaft befindet sich generell in einer Krise der Glaubwürdigkeit. Nur weil ich die Fakten und das Wissen habe, bedeutet das noch lange nicht, dass man mir zuhört. Ich denke, dass wir sogar von der Werbung lernen können.
Werbung? Schadet das nicht der Glaubwürdigkeit?
Es geht nicht darum, zu beschönigen. Aber es geht darum, sich Zeit zu nehmen für ein Statement auf Facebook, wo wir erklären, warum etwas nicht stimmt oder weshalb das Nichttragen von Masken zu Todesfällen führen kann. Denn auf der anderen Seite haben wir all die Menschen, die Unwahrheiten verbreiten – sie posten ihre Meinungen im Minutentakt und sind dauerpräsent. Wichtig ist, dass wir uns einmischen und dort unsere Stimme erheben, wo etwas klar nicht den Fakten entspricht.
Welche Hilfe möchte man mit dieser Untersuchung den Behörden geben?
In der Studie möchten wir zeigen, wie die Behörden diese aktive Rolle in der Kommunikation einnehmen können – nicht nur das BAG, auch die Gesundheitsinstitutionen, die einzelnen Spitäler. Wichtig dabei ist, dass die Kommunikation konsistent ist. Es ist verwirrend, wenn ein Experte dies und ein anderer etwas völlig anderes behauptet.
Das Problem ist, dass manche Medien einzig unterhalten wollen.
Ist es nicht positiv, wenn unterschiedliche Sichtweisen Platz haben dürfen?
Natürlich, aber hierbei ist es wichtig, genau hinzuschauen. Etwa, wenn ein Arzt etwas behauptet aufgrund einer Studie, die keinerlei Aussagekraft hat, weil nur ein paar wenige Probanden untersucht worden sind. Hier stehen auch die Medien in der Verantwortung. Wenn man einen solchen Experten auf die gleiche Ebene stellt wie einen Epidemiologen, der sich auf anerkannte und breit abgestützte Untersuchungen beruft, ist das verheerend. Das Problem ist, dass manche Medien einzig unterhalten wollen.
Der Bundesrat informierte am Anfang fast täglich am Fernsehen. Wie beurteilen Sie das?
Das war sehr gut, es geht darum, ganz genau zu erklären, warum man etwas tut, weshalb ein Lockdown stattfindet. Mein Eindruck war, dass danach die Öffnung viel zu rasch passierte. Aus zwei Gründen war dies verständlich: Erstens lebt der Mensch nicht gerne in steter Ungewissheit, darum gingen viele so schnell wie möglich wieder in die Normalität zurück. Und zweitens gab es wenige, welche die Pandemie im eigenen Umfeld erlebt haben. Darum haben sie viele rasch vergessen.
Was hätte die Gesundheitskommunikation besser machen können?
Ich glaube, man hätte stärker darauf aufmerksam machen sollen, dass tiefe Zahlen nicht bedeuten, die Probleme seien nun vorbei. Es verhält sich ähnlich wie damals mit Aids: Nach einer gewissen Zeit verloren die Menschen die Angst vor der Krankheit, also lancierten die Behörden neue Kampagnen mit neuen Inhalten. Nun, bei Covid-19, haben wir die erste Phase gehabt mit den dringendsten Informationen, wie sich die Menschen verhalten sollen. In der zweiten Phase geht es um die Kontinuität und in einer dritten darum, die Leute wieder neu zu motivieren. Dafür braucht es je eine andere Art der Kommunikation. In Italien dachten alle Anfang Sommer, die Pandemie sei vorbei, alles öffnete, alle vergassen, was passiert ist. Nun kommt sie zurück und die Regierung hat ein Problem: Wie soll sie nun erklären, dass sie Massnahmen wieder verschärft? Darum ist es entscheidend, dass die Regierung nur etwas Neues beschliesst, wenn sie wirklich sicher ist. Unsicherheit zu kommunizieren, ist sehr problematisch. Wenn die Entscheide einmal in die eine und dann wieder in die andere Richtung gehen, verlieren die Menschen das Vertrauen. Und ohne Vertrauen geht gar nichts.
Seit Beginn der Pandemie gibt es verschiedene Verschwörungstheorien. Wie kann eine Behörde dem wirksam begegnen?
Es braucht Expertinnen und Experten, die wissen, wie die Technik der Manipulation funktioniert. Falschmeldungen sind einfach zu widerlegen, aber Verschwörungstheorien sind schwieriger anzugehen. Solche Theorien sind attraktiv, weil sie die komplexe Realität vereinfachen. Zudem sind ihre konstruierten Zusammenhänge für Laien oft schwer zu widerlegen. Es braucht Kommunikationsexpertinnen und -experten, die Behauptungen entlarven können. Man könnte beispielsweise eine Fernsehsendung produzieren, in der das BAG die bekanntesten Theorien unter die Lupe nimmt und beschreibt, was daran nicht stimmt. Das braucht Mut, weil man sich damit angreifbar macht. Dazu möchten wir die Behörden ermuntern.
Corona im Fokus
Corona – einzig ein Forschungsgegenstand für die Naturwissenschaften? Diese Sichtweise ist verkürzt, wirkt die Pandemie sich doch auf sämtliche Bereiche der Gesellschaft aus und wirft Fragen auf, für deren Beantwortung es die Human und Sozialwissenschaften benötigt. Entsprechend beschäftigen sich an der Universität Luzern neben Professorin Sara Rubinelli (siehe Hauptinterview) diverse Forschende mit Covid-19: So haben sich etwa Zora Föhn, Doktorandin der Gesundheitswissenschaften und Medizin, und Dr. Cornel Kaufmann, Lehrbeauftragter in Gesundheitsökonomie, in einer im Juni vorgestellten Studie ebenfalls mit Kommunikationsaspekten auseinandergesetzt. Sie wollten in Erfahrung bringen, wie Junge und Personen mit niedrigem Vertrauen in Medien am besten zu erreichen sind. Unter anderem empfehlen sie, möglichst direkte Kommunikationsmittel zwischen der Regierung/Forschung und der Bevölkerung zu nutzen.
Stefan Boes, Professor für Gesundheitsökonomie, wurde im Oktober zum Mitglied der Expertengruppe «Economics» der «Swiss National COVID19 Science Task Force» ernannt, welche die Behörden im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie berät. Regina E. Aebi-Müller, Professorin für Privatrecht und Privatrechtsvergleichung, hielt am Dies Academicus ihren Festvortrag zur Triage auf Intensivstationen. Gisela Michel. Professorin für Gesundheits- und Sozialverhalten, möchte mit ihrem Team mithilfe einer im Frühling gestarteten grossangelegten Umfrage herausfinden, wie sich die Pandemie auf Gesundheit, Lebensqualität, Wohlbefinden und das soziale Leben in der Schweiz auswirkt. Reto M. Wegmann und Laura Schärrer, Doktorierende am Center für Human Resource Management, haben eine Befragung dazu durchgeführt, was den Erfolg von zur Eindämmung von Corona gebildeten Task Forces ausmacht. Auch in den Medien kommen immer wieder Forschende der Universität Luzern als Expertinnen und Experten zur Thematik zu Wort – beispielsweise aus politikwissenschaftlicher, rechtlicher, historischer oder ethischer Perspektive.