Wie wird die Welt beobachtet?
Wie hat sich die an UN-Weltkonferenzen und in UN-Statistiken artikulierte Sicht auf die Welt während sechs Jahrzehnten verändert? Dies wird im Rahmen eines wissenssoziologischen Forschungsprojekts untersucht.
Die Pariser Klimakonferenz gliedert sich in eine lange Reihe von UN-Weltkonferenzen und Weltgipfeln ein, die in den 1950er-Jahren ihren Anfang nahmen. Insgesamt haben bis heute mehr als 50 Weltkonferenzen zu ganz unterschiedlichen Themen stattgefunden, auf denen nach oft langjährigen zähen Verhandlungen "Weltprobleme" definiert, Aktionsprogramme verabschiedet und Indikatoren zur Messung der Zielerreichung festgelegt wurden. UN-Weltkonferenzen sind Foren, in denen eine verbindliche Weltsicht formuliert und mit Legitimation versehen wird, und es sind gleichzeitig weltöffentliche Bühnen, auf denen die Existenz einer "Weltgesellschaft" dargestellt und damit auf einer symbolischen Ebene auch hergestellt wird. Das Forschungsprojekt "Die Beobachtung der Welt" unter der Leitung von Prof. Dr. Bettina Heintz, Professorin für soziologische Theorie und allgemeine Soziologie an der Universität Luzern, und Prof. Dr. Marion Müller von der Universität Tübingen (DE) untersucht aus wissenssoziologischer Perspektive, wie sich die an UN-Weltkonferenzen und in UN-Statistiken artikulierte Sicht auf die Welt verändert hat. Der Untersuchungszeitraum des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Projekts, das sich in der Abschlussphase befindet, umfasst rund 60 Jahre und reicht von 1949 bis 2010.
Metamorphose des Rassenbegriffs
Statistiken als kulturelle Dokumente
Einen anderen Zugang zur Leitfrage des Projekts bietet die Analyse des Wandels statistischer Klassifikationssysteme und Indikatoren. Das von Sophia Cramer bearbeitete Teilprojekt "Internationale Statistiken" geht dieser Frage einerseits am Beispiel der Länderklassifikation in der Bevölkerungsstatistik und andererseits anhand der "National Accounts"-Statistik nach, die seit 1949 im "UN Statistical Yearbook" jährlich publiziert werden. Die Statistiken werden als kulturelle Dokumente interpretiert, die sich aus einer wissenssoziologischen Perspektive untersuchen lassen. Der Analysefokus liegt auf der Frage, welches Weltbild internationale Statistiken erzeugen und wie sie es mit Glaubwürdigkeit versehen. Es geht also nicht darum, ob die Zahlen valide sind, sondern darum, was die Statistik kommuniziert – oder eben auch nicht kommuniziert.
Ein Beispiel dafür ist die Länderklassifikation, die exemplarisch am Beispiel der Bevölkerungsstatistik untersucht wird. Letztere unterstellte zwar von Anfang an internationale Vergleichbarkeit, es blieb aber lange unbestimmt, was mit "country" gemeint ist und ob die aufgeführten Einheiten tatsächlich vergleichbar sind. Faktisch kombinierte das Klassifikationssystem zwei unvereinbare Ordnungsprinzipien: die Einteilung der Welt in Kolonialmächte und abhängige Gebiete und die Einteilung in gleichberechtigte Nationalstaaten. Zu einer konsistenten Länderklassifikation kam es erst Ende der 1960er-Jahre, als sich das Prinzip einer Gleichheit aller Menschen und aller Völker gegen den kolonialen Differenzdiskurs durchgesetzt hatte. In der Bevölkerungsstatistik äusserte sich diese Entwicklung in einem Sortierungsprinzip, das sich nicht mehr am Kolonialstatus orientiert, sondern "nur noch Nationalstaaten kennt". Erst von diesem Zeitpunkt an wurde die internationale Statistik tatsächlich zu einem weltweiten Vergleichsinstrument.
Quelle: Jahresbericht der Universität Luzern 2015, Juni 2016, S. 24–26.
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