Nationalfondsprojekt zu Metaphysik und Ontologie
Im Herbst 2016 startete unter der Leitung von Prof. Dr. Giovanni Ventimiglia die Untersuchung "Metaphysik und Ontologie in der Schweiz im Zeitalter der Reformation (1519–1648)". Diese geht der Geburt der Ontologie anhand von Fallstudien zu vier Schweizer Städten nach.
"Gott ist tot. Marx ist tot, und ich fühle mich auch nicht so gut", sagte einmal der amerikanische Regisseur Woody Allen. Die philosophische Version des bekannten Wortes von Nietzsche, "Gott ist tot", lautet: "Auch die Metaphysik ist tot." Wenn das zutrifft: Wieso dann eine Forschung über die Metaphysik nachdem Tod der Metaphysik? Wird da archäologische, vielleicht sogar nekrophile Forschung betrieben?
Nun zuerst die clarificatio terminorum: Womit beschäftigt bzw. beschäftigte sich die Metaphysik? Ihr Gegenstand war zunächst alles, was existiert. In diesem Sinne ist die Rede seit der frühen Neuzeit auch von der Metaphysik als Ontologie. Sie beschäftigte sich auch mit der Ursache all dessen, was existiert: Gott. So war die Metaphysik "natürliche" oder "philosophische" Theologie.
Ist nun die Metaphysik tatsächlich tot? Viele moderne und zeitgenössische Philosophinnen und Philosophen haben diese Ansicht lange vertreten, manche tun es immer noch. Man denke nur an Kant, Marx, Nietzsche, Carnap, Heidegger oder Vattimo. Habermas spricht vom "nachmetaphysischen Denken". Das mag auf den ersten Blick für die kontinentaleuropäische Perspektive zutreffen. Wenn man aber eine globale Perspektive einnimmt, das heisst, wenn wir auch englischsprachige Philosophie betrachten, zeigt sich das Gegenteil: Die Totgesagte ist in der philosophischen Diskussion präsenter denn je, ja, man spricht heute von einer regelrechten Renaissance der Metaphysik.
Wenn man zum Beispiel auf dem aktuellen Buchmarkt nach Titeln über "Metaphysics" (auf Englisch) sucht, findet man 18 804 lieferbare Werke. Fast alle der weltweit renommiertesten Zeitschriften für Philosophie beschäftigen sich mit Metaphysik.Von "Mind" bis "The Monist", von "Nous" bis "Analysis" – die behandelten Themen sind identisch mit denen der "Metaphysik" des Aristoteles. Interessant ist die Tatsache, dass diese Renaissance der Metaphysik vor allem die Metaphysik als Ontologie betrifft.
Wurzeln in der Schweiz
Nun, wie und wo ist die Metaphysik als Ontologie geboren? Mit der Rückbesinnung auf die Antike, das heisst mit der Renaissance und dem Humanismus, verdrängt die ontologische Fragestellung die Frage nach Gott, die in der mittelalterlichen Scholastik im Zentrum des metaphysischen Diskurses stand. Mit der Entstehung der Ontologie als eigenständiger Disziplin innerhalb der Metaphysik löst sich die Philosophie im 16. Jahrhundert aus dem theologischen Kontext, in dem sie seit dem Mittelalter stand.
Das Wort "Ontologia" taucht, wie Raul Corazzon und Marco Lamanna entdeckt haben, erstmals 1606 in der Schweiz auf, und zwar in einem Lehrbuch von Jacob Lorhard, Rektor des reformierten Gymnasiums in St. Gallen – ein zureichender Grund, das "Biotop" Schweiz mit Blick auf die Genese und Entwicklung der Ontologie näher zu erforschen. Bei der "Ontologia" handelte es sich allerdings nicht nur um die Entstehung eines neuen Ausdrucks. Es war vielmehr der Beginn einer wichtigen Unterscheidung: zwischen Metaphysik als Wissenschaft von allem, was existiert – Ontologie –, und der Wissenschaft von der ersten Ursache des Seienden. Mit anderen Worten: Die Metaphysik hat in der Schweiz Abschied von ihrem theologischen Zusammenhang genommen.
Metaphysik als Universalwissenschaft
In St. Gallen war der erwähnte Jacob Lorhard einer der ersten, die nicht nur eine Rückkehr zur Metaphysik vorschlugen, sondern sich vielmehr für ein ganz bestimmtes Modell der Metaphysik aussprachen. Die Metaphysik avancierte damit zu einer Universalwissenschaft, wobei die rationale Theologie zu einer Einzelwissenschaft "degradiert" wurde. Mit der "ontologischen Wende" der Metaphysik wurden offenkundig die Modelle von al-Farabi, Avicenna und Duns Scotus wiederbelebt und in jene Form gebracht, die als allgemein anerkannte Vorstellung von scholastischer Metaphysik bis in die Zeit Kants erhalten blieb.
Im vom Schweizerischen Nationalfonds mit rund 460'000 Franken geförderten und von Prof. Dr. Giovanni Ventimiglia geleiteten Projekt soll der Vergleich mit Thomas von Aquins Modell auf das Thema der transzendentalen Begriffe ausgeweitet werden. Dabei sollen insbesondere die Lösungsversuche der frühneuzeitlichen Ontologie in Bezug auf die Supertranszendentalien kritisch hinterfragt werden. Bei Jacob Lorhard findet sich beispielsweise einer der frühesten Belege für eine Auseinandersetzung mit supertranszendentalen Begriffen (etwa dem des intelligibile), die mit dem Geltungsanspruch verbunden wurden, den Gegenstand der Ontologie festzulegen. Diesem Gedankengang folgend sollte die philosophische Debatte sich später mit Kants "Gegenstand überhaupt" befassen, um dann in Meinongs programmatische Erklärung zu münden, dass der Gegenstandsbereich der Philosophie auf Gebiete und Themen auszuweiten sei, die klassischerweise hiervon ausgeschlossen waren, darunter etwa Begriffe wie Privation, Negation und Nichts.
Grosses Interesse in Luzern
Im Zentrum des auf drei Jahre angelegten Projekts stehen "Case Studies" zu Basel, Chur, Genf, Luzern, St. Gallen und Zürich. Das Kollegium von Luzern wurde 1574–1579 von den Jesuiten auf Veranlassung Gregors XIII. gegründet. Seit 1600 wurde dort auch ein philosophisches Curriculum angeboten. Die Metaphysik der Jesuiten war vor allem durch die Werke von Paulo Fonseca und Francisco Suárez vertreten. Das Luzerner Interesse an protestantischer Metaphysik und Ontologie ist durch bibliothekarische Quellen belegbar. Die Verfügbarkeit der Werke von Autoren wie Clemens Timpler, Johann Heinrich Alsted und Christoph Scheibler bezeugt, dass damals ein grosses Interesse an Ontologie bestand. Während die jesuitische Theologie Luzerns eine kontroverstheologische Auseinandersetzung mit den Protestanten schon gegen Ende des 16. Jahrhunderts pflegte, lässt sich die erste Publikation zur Metaphysik erst 1641 nachweisen. Die Forschungsarbeit gilt zunächst der Auswertung der metaphysischen Debatten zwischen Godefridus Pfister, Jodocus Suter, Conradus Calmelet und Antonius Balduin – Letzterer war ein Schüler von Benedictus Pereira am Collegium Romanum, der seinen Lehrer Pererius gegen den Vorwurf des Averroismus verteidigte.
Mit dem Luzerner Forschungsprojekt kehrt die Ontologie, die in lateinischer Sprache auf den Plan trat und über die heute vielfach auf Englisch reflektiert wird, gewissermassen wieder zu ihrem Ursprung zurück: mit einem schweizerdeutschen Zungenschlag und – warum nicht? – einem italienischen Akzent.
Quelle: Jahresbericht der Universität Luzern 2016, Mai 2017, S. 20–22.
Artikel (pdf)
Siehe auch News vom 8. Februar 2017