Klimapolitik: «CO₂-Entnahme als Gamechanger»

Ottmar Edenhofer hat an der «Presidential Lecture» einen Paradigmenwechsel in der Klimapolitik vorgeschlagen. Dazu brauche es eine starke Regulierung durch eine Europäische Kohlenstoff-Zentralbank.

Ottmar Edenhofer ist Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK)

Zu Gast an der öffentlichen Veranstaltungsreihe der Universität Luzern, die am 1. April zusammen mit der Eröffnung des Center for Climate Politics, Economics and Law (siehe Box unten) durchgeführt wurde, war Ottmar Edenhofer. Der Professor an der Technischen Universität Berlin sowie Direktor und Chefökonom: Mit dem bewusst provokant gewählten Titel «Die (fehlende) dritte Säule – Klimapolitik im Lichte der planetarischen Abfallwirtschaft» spreche er nicht über eine planetarische Müllabfuhr, sondern über einen grundlegenden Wandel in der Klimapolitik. Dieser sei gerade in Zeiten entscheidend, in denen das Thema aufgrund geopolitischer Herausforderungen auf vielen politischen Agenden nach unten gerutscht sei. Denn: Den Luxus, weiterhin auf ausgetretenen Pfaden zu wandeln, könne sich die Menschheit nicht mehr leisten. Steigen die Temperaturen zu stark, führe das weltweit zu einer Erosion der Arbeits- und Kapitalproduktion – und zu einem Verlust beim Bruttosozialprodukts von bis zu 20 Prozent im Vergleich zu einem Szenario ohne Klimawandel.

Massnahmen nicht ausreichend

Die bisherigen Bemühungen zur Emissionsminderung und zur -anpassung – etwa durch die Umstellung auf nachhaltige Energien – genügten nicht, um bis 2050 die «Nulllinie» zu erreichen, so Edenhofer. Die im Referatstitel genannte dritte «Säule», die CO₂-Entnahme aus der Atmosphäre, werde sträflich vernachlässigt. Dabei befänden wir uns bereits auf einem sogenannten Overshoot-Pfad, da die Emissionen weiterhin steigen. Das Ziel, die Erwärmung bis 2050 auf 1,5 Grad zu begrenzen, werde um etwa 0,35 Grad verfehlt. Deshalb schlug Ottmar Edenhofer an seinem gut besuchten Vortrag in Luzern ein Overshoot-Management vor, mit dem die nötigen Netto-Negativ-Emissionen nach 2050 erreicht werden könnten. Zur Veranschaulichung verwendete er das Bild einer Badewanne: Da noch genügend «Wasser» vorhanden sei, um die Wanne weiter zu befüllen, müsse gleichzeitig auch der Abfluss kontrolliert werden.

Vielfältige Methoden zur Entnahme

Es gehe also darum, mittels «Carbon Dioxide Removal» (CDR) CO₂ einzulagern – durch technische Filter, geologische Speicherung, die Wiederherstellung von Mooren und anderer Massnahmen. Abgesehen davon, dass CDR Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre entfernt, biete die Methode einen entscheidenden Vorteil gegenüber der reinen Reduktion fossiler Brennstoffe: Der Effekt des «Carbon Leakage» entfalle. Wenn einzig die EU weniger Öl importiere, sinke der Preis – was andernorts den Verbrauch ankurble. Dieser Effekt trete bei CDR nicht auf. Im Gegenteil: Europa würde dadurch weniger abhängig von Exportländern.

Die CO₂-Entnahme allein reicht laut Edenhofer jedoch nicht aus. Sie biete keinen Anreiz für andere Länder, sich an den Massnahmen der EU zu beteiligen – was aber nötig sei, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Deshalb brachte er eine Idee ins Spiel, die in der EU bereits diskutiert wird: Ein Klimaklub mit Grenzausgleichsmechanismen, genannt «Carbon Border Adjustment Mechanism» (CBAM). Innerhalb dieses «Klubs» würden gewisse Klima-Mindeststandards gelten, während nach aussen Zölle für Länder erhoben würden, die diese Standards nicht einhalten. Die EU, die CO2 über den europäischen Emissionshandel bepreist, hat einen CBAM bereits beschlossen, er soll ab dem kommenden Jahr stufenweise wirksam werden.

Clean-up-Zertifikate zur Finanzierung

Ottmar Edenhofer räumte ein, dass CBAM «furchtbar» bürokratisch klinge, politisch aber bereits Wirkung gezeigt habe. Andere Länder – etwa die Türkei oder Brasilien – diskutierten über die Einführung eigener Systeme zur CO2-Bepreisung. Damit könne CBAM als Sprungbrett dienen, um eine globale CO₂-Bepreisung und damit eine effektive Klimapolitik durchzusetzen.

Mit CDR lasse sich bereits angerichteter Klimaschaden zumindest teilweise rückgängig machen, so Edenhofer. Die Kosten seien jedoch enorm – bis zu zwei Prozent des globalen Bruttosozialprodukts. Daher brachte der Klimaexperte die Idee eines Clean-up-Zertifikats ins Spiel: Eine Ölraffinerie solle bereits heute zum Zeitpunkt des Förderbeginns eine Sicherheitszahlung leisten – als Rücklage für die künftige CO₂-Entnahme. Damit dieses System funktioniere, brauche es eine starke Regulierung, die durch eine Europäische Kohlenstoff-Zentralbank, so die Idee, gewährleistet werden könnte. So könnte die CO₂-Entnahme tatsächlich zum «Gamechanger in der Klimapolitik» werden, zeigte sich Ottmar Edenhofer überzeugt.

Impressionen

Bilder: Vanessa Lutz

Neues Zentrum für interdisziplinäre Klimaforschung

Im Rahmen der nunmehr achten «Presidential Lecture» wurde auch das «Center for Climate Politics, Economics and Law» eröffnet. Das neue Zentrum unterstützt und vernetzt die Forschung und Lehre in den Bereichen Klimarecht, Klimaökonomie und Klimapolitik. Getragen wird es gemeinsam von der Rechtswissenschaftlichen, von der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen sowie von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Die Lehrtätigkeit wurde im vergangenen Herbst mit dem Master in Climate Politics, Economics and Law (CPEL) erfolgreich gestartet. Prof. Dr. Lena Maria Schaffer, Co-Direktorin des CPEL und Professorin für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Inter- und Transnationale Beziehungen, erläuterte an der Eröffnungsrede, dass mit diesem neuen Zentrum an langfristigen Lösungsansätzen für die gesellschaftlichen Herausforderungen durch den Klimawandel geforscht werde.

Schaffer führte aus, weshalb sich Luzern auf den gesellschaftlichen Ansatz fokussiert: So hätten die Natur- und Ingenieurswissenschaften über die letzten 30 Jahre mit dem Aufdecken der geophysischen Prozesse und dem Finden technischer Lösungen eine grosse Leistung erbracht. Aber in den letzten Jahren seien sozialwissenschaftliche Problemstellungen immer stärker in den Mittelpunkt gerückt. Klimawandel und Massnahmen, die dagegen ergriffen werden, politisierten und polarisierten Wählerinnen und Wähler, sie würden für privatwirtschaftliche Akteure und Prozesse wichtiger und beschäftigten auch zunehmend die Gerichte. Sozialwissenschaftliche Erkenntnisse können zur Lösung durch Regeln, Vermittlung und Institutionalisierung beitragen, so die Professorin.

Der Masterstudiengang kombiniert Wissen aus Wirtschaft, Politik und Recht, um den Studierenden ein profundes Verständnis der vielschichtigen Aspekte des Klimawandels zu vermitteln. Die Studierenden sollen darauf vorbereitet werden, nachhaltige und innovative Lösungen für dieses wichtige Thema unserer Zivilisation zu entwickeln.

Die Zentrumsleitung setzt sich neben Lena Maria Schaffer aus Prof. Dr. Simon Lüchinger, Professor für Ökonomie, Dr. Sebastian Heselhaus, Professor für Europarecht, Völkerrecht, Öffentliches Recht und Rechtsvergleichung, zusammen.

Zentrum-Website (im Aufbau)
Früheres Interview im Uni-Magazin mit der Zentrumsleitung