Hindutempel Basel
Hindutempel Basel / Arulmiku Hindu Aalayam
Mailand-Strasse 30
4053 Basel
Gebäudetyp: | Hindutempel |
Fläche der Anlage: | 1000 m2 (inkl. UG und OG) |
Gebäudehöhe: | ca. 10 m |
Kosten: | 1-2 Mio. SFr. (inkl. Grundstück) |
Einsprachen: | ja |
Eigentümer: | Stiftung Hindugemeinde |
Architekt: | Paul Leis |
Kaufdatum: | 2004 |
Bauzeit: | fünf Jahre |
Einweihung: | 2014 |
Religiöse Tradition: | Shivaismus und Shaktismus |
Erste Idee bis Einweihung: | ca. zehn Jahre |
Vom Bahnhof Basel SBB gelangt man mit dem Tram oder der S-Bahn in wenigen Minuten aus dem Stadtzentrum heraus zum Dreispitzareal, dem ehemaligen Zollfreilager, wo die Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft aufeinandertreffen. Seit einigen Jahren entsteht auf dem Areal ein neues, urbanes Quartier mit gemischter Nutzung. Von der Haltestelle Dreispitz geht es zu Fuss, den S-Bahnhof im Rücken, über die vielbefahrene Münchensteinerstrasse, vorbei an Fitnesszentren und Autohäusern, bis zwischen Tankstelle und Parkhaus die Frankfurt-Strasse links in den Gewerbepark im nördlichen Teil des Dreispitzareals abzweigt. Die Strassennamen und die ausgedienten Schienen am Boden erinnern an den Handel und den Güterumschlag im ehemaligen Zollfreilager. Statt Personenwagen überholen einen nun vermehrt Lastwagen, links und rechts säumen Gewerbe- und Industriegebäude den Weg.
Nach ungefähr 300 Metern, dort wo die Mailand-Strasse die Frankfurt-Strasse kreuzt, fällt einem der Eingang eines hellen, vergleichsweise kleinen Hauses sofort ins Auge: flankiert von zwei Statuen ragt über dem Eingang, leicht zurückversetzt unter einem kleinen Dach, der mit Figuren bestückte, reich verzierte und in kräftigen Farben bemalte Gopuram (Turm) auf. Hier steht unverkennbar der Hindutempel Basel neben einem Bürogebäude und gegenüber dem Abhollager einer Baufirma.
Die Geschichte des Basler Hindutempels beginnt im Dezember Mitte der 1980er-Jahre im Keller eines Privathauses. Damals wurde der erste von drei Tempeln in Basel und einer der ersten Hindutempel in der Schweiz überhaupt gegründet. Bis 2004 bestanden drei tamilische Hindutempel in Basel, die sich in ebendem Jahr zu einer Gemeinschaft zusammenschlossen und einen gemeinsamen Tempel in Muttenz einrichteten. Kurz darauf wurde jedoch das Land mit dem Gebäude, in dem der Tempel eingemietet war, verkauft, und der Tempel musste ausziehen. Seither festigte sich der Wunsch nach einem eigenen Gebäude. Bis dahin sollte es jedoch noch zehn Jahre und mehrere Umzüge dauern.
Der Verein suchte ab 2004 Land und wurde schliesslich im Dreispitzareal, wo einer der Tempel früher schon einmal bestanden hatte, fündig. Für den Erwerb des heutigen Tempelgebäudes an der Mailand-Strasse gründete sich aus dem Verein heraus die Stiftung Hindugemeinde, welche 2009 das Gebäude erwarb. In fünfjähriger Bauzeit wurde das Haus etappenweise und mehrheitlich in Eigenregie zum Tempel um- und ausgebaut. Einen Grossteil des Innenausbaus wie das Bodenlegen und den Einbau der Gastroküche im Untergeschoss besorgten die Vereinsmitglieder selbst. Nur für einige Sanierungsarbeiten wie die Anpassung der Stromleitungen und die Brandschutzmassnahmen wurden Fachleute beauftragt. Die Ausgestaltung der Schreine und Malereien im Tempelraum sowie des Eingangs mit seinem Aufbau übernahmen Tempelbauer, die eigens aus Indien eingeflogen wurden. Finanziert wurde der Umbau zu grossen Teilen mit Eigenmitteln und Privatkrediten aus dem Kreis der Mitglieder. 2014 konnte der Tempel schliesslich eingeweiht und ein Priester aus Sri Lanka angestellt werden.
Der Tempel an der Mailand-Strasse bietet nun auch genügend Platz für Feierlichkeiten und Versammlungen. Im grossen Saal im Untergeschoss des Tempels finden beispielsweise die Hochzeitszeremonien statt oder die Gemeinschaft versammelt sich dort nach der Puja (Gottesdienst) für das gemeinsame Essen (Prasadam).
Wer den Tempel in Basel besucht, wird auf jeden Fall Vignarajah Kulasingam begegnen. Er bezeichnet sich als Allrounder, wenn es um den Tempel geht. «Meine Rolle geht von A bis Z durch alle Bereiche». Damals, im Jahr 2004, als sich die drei Basler Tempel zusammenschlossen, sei eine neutrale Person für das Präsidium des gemeinsamen Tempelvereins gesucht worden, und er habe dies übernommen. Mit dem Gebäudekauf und der Gründung der Stiftung Hindugemeinde kam das Präsidium für den Stiftungsrat hinzu. Als Präsident beider Organisationen übernimmt Kulasingam Führungen, beantwortet Anfragen von Behörden und Interessierten, kümmert sich um die Koordination der anfallenden Arbeiten im und am Tempel und legt auch selbst Hand an, wenn alle Stricke reissen. Er übernimmt – neben dem Priester – seelsorgerische Tätigkeiten, besonders wenn es um Anliegen rund um Integration und das Leben in der Schweiz geht, und vermittelt bei Bedarf an die richtige Stelle.
Zusammenarbeit nach allen Seiten ist Kulasingam ein Anliegen, weshalb er sich neben seinem Einsatz für den Tempel auch als Mitglied beim Runden Tisch der Religionen beider Basel und als Co-Präsident des Interreligiösen Forums Basel (IRF) engagiert – ehrenamtlich versteht sich.
Das Verhältnis mit der direkten Nachbarschaft sei unproblematisch und es kämen auch immer mal wieder interessierte Personen oder Touristen und Touristinnen zum Tempel, sagt Kulasingam.
Der Umbau des Gebäudes zum Tempel habe kaum Aufsehen erregt, jedenfalls nicht im negativen Sinne. Dementsprechend gab es auch keine grösseren Einsprachen gegen das Bauvorhaben. Einzig eine rollstuhlgängige Rampe für den direkten, barrierefreien Zugang zum Tempelraum musste auf der linken Seite des Gebäudes zusätzlich gebaut werden. Dafür musste Land hinzugekauft und eingetragen werden, was den Umbau vor allem finanziell belastete.
Dass die Göttinnenfiguren am Eingang bereits mehrmals mutwillig beschädigt wurden, verbucht Kulasingam unter Vandalismus und nicht als zielgerichtete Beschädigung am Tempel.
‹Hinduismus› ist der etablierte Oberbegriff für eine Reihe sehr unterschiedlicher Religionen des indischen Subkontinents. Die Religionswissenschaft zieht daher oft die Bezeichnung ‹Hindu-Religionen› oder ‹Hindu-Traditionen› vor. Ihre Anfänge reichen bis in die Induskultur im 3. Jahrtausend v. Chr. zurück. Die ältesten Hymnen an die Götter, der lange Zeit nur mündlich überlieferte Rigveda, entstanden Ende des 2. Jahrtausends v. Chr., gefolgt von weiteren Veden (veda = ‹Wissen›). Zu den Texten, die den Gläubigen als geoffenbart gelten, gehören auch die Lehrtexte der Upanischaden (800 - 500 v. Chr). Populär sind unter Hindus die Geschichten aus den zeitlich späteren Epen des Mahabharata – am bekanntesten ist im Westen die Bhagavadgita – und des Ramayana, entstanden zwischen 500 v. Chr. und 100 n. Chr., aber auch die mythologischen Erzählungen der Puranas (300 - 900 n. Chr.). Lehrsprüche, die Sutras, die auch im Tempeldienst verwendet werden, vervollständigen die breite Textbasis der Hindu-Traditionen.
Die Erzählungen schildern eine unüberschaubare Welt von Göttern (Vishnu, Shiva, Durga, Ganesha, Krishna usw.) und ihren sich wandelnden Erscheinungsformen, von Helden und Heldinnen, Fabelwesen und normalen Sterblichen. Zu den Gemeinsamkeiten der Hindureligionen gehören laut dem Indologen Heinrich von Stietencron «das Kastensystem, die Anerkennung der Veden als offenbarte heilige Schriften und der Glaube an die Wiedergeburtslehre» – allerdings nur begrenzt, denn «nichts davon ist für alle Religionen verbindlich, manches kann beliebig akzeptiert oder abgelehnt werden» (TRE, Abschnitt 4.1). Im Zentrum der religiösen Überlegungen stehen die kosmische und moralische Ordnung (dharma) und die Frage, wie sich der einzelne Mensch in sie einfügt. Die Seele wandert beim Tod in einen neuen Körper, wohin, das hängt von der Qualität seiner Handlungen (karma) in der vorhergehenden Existenz ab. Anders gesagt: Stimmt das Handeln mit dem dharma überein, resultiert ein gutes karma und eine günstige Wiedergeburt. Texte und die komplexen Hindu-Doktrinen sind oft jedoch nur den oberen Kasten ansatzweise bekannt. Für den Grossteil Hindus steht die gelebte Frömmigkeit und das Vertrauen in die Götter und deren Eingreifen ins persönliche Leben ganz im Vordergrund.
Das Handeln im Einklang mit der kosmischen und moralischen Ordnung umfasst neben dem kultischen Bereich auch den Alltag samt den sozialen Beziehungen. Ausdruck davon ist u.a. das ‹Kastensystem›, gemäss dem jeder Berufsgruppe bestimmte soziale Rollen und Kontakte zustehen, andere nicht. Obwohl offiziell in Indien für ungültig erklärt, prägen die Kastenregeln oft noch heute Arbeitswelt und soziale Kontakte, insbesondere die Partnerwahl, selbst in der Diaspora. Ähnliche Normen betreffen das schickliche Verhalten der Geschlechter oder in den verschiedenen Lebensabschnitten.
Die Traditionen des Shivaismus – die Verehrung des grossen Gottes Shiva – ist heute in Indien neben der des Vishnuismus – Verehrung von Vishnu und seinen Verkörperungen - die wichtigste Hindutradition. Hinzu kommt gerade in Südindien und Sri Lanka die Tradition des Shaktismus – die Verehrung von Shakti, in der Form unterschiedlicher kraftvoller Göttinnen. Die meisten tamilischen Hindus in der Schweiz sind den Traditionen des Shivaismus und Shaktismus zuzurechnen.
Der zentrale Schrein in der Mitte des Hindutempels Basel ist der Göttin Amman geweiht. Sie spielt in der tamilischen Tradition als ein Aspekt der Muttergöttin und der Gattin Shivas eine wichtige Rolle und wird als eigenständige Göttin verehrt.
Die Anwesenheit des Priesters ermöglicht es, dass in Basel täglich abends eine puja durchgeführt wird, am Freitag auch mittags. Ebenfalls werden im Tempel alle wichtigen Feste des hinduistischen Kalenders wie das Neujahrsfest oder das 15-tägige Jahresfest im Sommer, sowie Feiertage für die einzelnen Gottheiten ausgerichtet. Der Tempel ist offen für alle Hindus, egal ob tamilisch oder indisch. Anpassungen im Tempel für die indischen Hindus habe man aber keine vorgenommen, sagt Kulasingam. Die pujas führt der Priester nach tamilischer Tradition durch.
In der Schweiz lebten Anfang des Jahres 2013 rund 46’000 Personen mit tamilischen Wurzeln, rund ein Drittel von ihnen bereits als Schweizer Bürger. Die 21 Tempel sind bis auf denjenigen in Trimbach in umgebauten Gewerbehallen untergebracht. Die allermeisten von ihnen befinden sich in der Deutschschweiz, allein sechs im Kanton Bern, zwei liegen in der Romandie und einer im Tessin.
Schon nur, dass sich drei Tempel zu einem zusammenschliessen, ist eine Besonderheit. Meist läuft der Prozess umgekehrt ab, dass sich eine Gemeinschaft in mehrere Gemeinschaften aufspaltet. Der Fusion der drei Tempel ist es auch geschuldet, dass der Tempel in Basel nicht nur eine, sondern drei wichtige (Haupt-)Gottheiten beherbergt: Amman, Murugan und Ganesha. Bei der Zusammenführung habe es schon Diskussionen gegeben, wer der drei (ehemaligen) Hauptgottheiten im neuen Tempel im zentralen Schrein in der Mitte installiert werden solle. Schliesslich habe man sich als Kompromiss auf Amman geeinigt, die als Gattin von Shiva auch die Mutter von Shivas Söhnen Ganesha und Murugan darstellt. Die Söhne bewohnen nun die Schreine links und rechts des Hauptaltars.
Literatur
Baumann, Christoph Peter (2003): «Tamilische Hindus und Tempel in der Schweiz: Überblick und exemplarische Vertiefung anhand der Geschichte des Vinayakar-Tempels in Basel». In: Tempel und Tamilen in zweiter Heimat. Hindu aus Sri Lanka im deutschsprachigen und skandinavischen Raum, hg. von Martin Baumann, Brigitte Luchesi und Annette Wilke, Würzburg: Ergon, S. 275–294.
Eulberg, Rafaela (2022): Neue Orte für die Götter. Zu Lokalisierungsdynamiken von tamilischer Hindu-Praxis in der Schweiz, Zürich und Genf: Seismo Verlag. Online verfügbar. Darin besonders die Kapitel «Überblick über die Verehrungsformen der Göttinnen und Götter in Schweizer Tempeln» (S. 83–97) und «Von Asylunterkünften zu angemieteten Hallen: Aufbau und Entwicklungsphasen hindu-tamilischer Organisationsstrukturen in der Schweiz» (S. 225-240).