Naturschutz und die Rechte von Indigenen – ein Widerspruch?

Am 23. April 2024 sprach Prof. Dr. Patrick Kupper im Forschungskolloquium des Historischen Seminars über den Konflikt zwischen den Rechten von Indigenen und der Naturschutzbewegung. Ein Problem, das viel mit dem europäischen Zivilisationsbegriff zu tun hat.

Partick Kupper, Professor für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte an der Universität Innsbruck

Treffen sich zwei Wissenschaftler zu Beginn des 20. Jahrhunderts an einem Streitgespräch über die Gründung eines Schweizerischen Nationalparks. Meint der eine: «Das ist eine tolle Idee, da können wir zwei naturbelassene Schweizer, einen Mann und eine Frau, reinstellen und so unseren Ursprung zeigen.» Daraufhin der andere: «Das ist gar nicht nötig. Wir überlassen das Ganze der Evolution, dann entwickeln sich diese ursprünglichen Schweizer von selbst.»

 

Unterschiedliche Vorstellungen von Natur

Dieser Aprilscherz aus dem Jahr 1910 illustriert ein Konfliktfeld zwischen der Naturschutzbewegung und den Rechten von Indigenen: Sind Natur und Mensch strikt zu trennen und die Pflanzen- und Tierwelt in Naturschutzpärken folglich sich selbst zu überlassen? Oder sind der Mensch und seine Lebensweise Teil der Natur und deshalb ebenfalls schützenswert? In der Forschungsliteratur werden diese unterschiedlichen Vorstellungen als zentrale Ursache für den Gegensatz zwischen Naturschutz und dem Schutz indigener Völker angesehen.

 

Der europäische Zivilisationsbegriff

Patrick Kupper, Professor für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte an der Universität Innsbruck, vertritt eine andere These. Nicht die sich widersprechenden Konzeptionen von Natur hätten die beiden Bewegungen auseinandergetrieben, sondern vor allem die europäische Idee der Zivilisation und des Fortschritts.

Im Rahmen des Forschungskolloquiums «Neue Ansätze der Umweltgeschichte» des Historischen Seminars präsentierte Kupper seine Forschung. Anhand von verschiedenen Forschern  illustrierte er die Entstehung des europäischen Zivilisationsbegriffs im 19. und 20. Jahrhundert anschaulich und unterhaltsam.

 

Von Sir Charles Lyell…

Der bekannte britische Geologe Sir Charles Lyell beispielsweise war ein Verfechter der Pfahlbauertheorie des Schweizers Dr. Ferdinand Keller. In seinem Buch «Geological Evidence of the Antiquity of Man» von 1863 bildete Lyell die Illustration eines Pfahlbauerdorfs am Zürichsee ab. Vorlage für das Bild war das Dorf Kouaoui in Neuguinea von 1833.

Lyell nahm an, dass es am Zürichsee einige tausend Jahre vor Christus so ausgesehen haben musste – und die Bevölkerung in Neuguinea in ihrem evolutionären Prozess folglich über Jahrtausende stillgestanden ist. Dass solche Annahmen in der Forschung zum Überlegenheitsgefühl der Europäer:innen gegenüber Indigenen beigetragen haben, erklärt sich von selbst.

 

… bis zu Paul Sarasin

Aber auch ein Schweizer prägte die Vorstellung, die europäische Zivilisation sei dem Rest der Welt überlegen, entscheidend mit: Paul Sarasin, Naturforscher und Mitgründer des Schweizerischen Nationalparks. Er war der Überzeugung, dass Indigene in Reservaten untergebracht werden sollten. Aber nicht etwa wegen de Rechts der Ureinwohner:innen auf ihre ursprüngliche Lebensweise. Aus seiner Sicht waren diese Menschen am wenigsten weit entwickelt und deshalb für die Forschung sehr interessant. Durch Beobachtung ihrer Lebensweise sollten die Europäer:innen nachvollziehen können, wie ihre eigene Zivilisation entstanden war.

Gemäss Sarasins Idee eines Nationalparks sollten Forscher:innen die einzigen sein, die die Grenze der Reservate übertreten dürfen. Andere Personen hätten keinen Zutritt zu den Reservaten, die «Eingeborenen» selbst dürfen diese aber auch nicht verlassen. So wurden indigene Völker in Sarasins Überlegungen nicht als Subjekte, sondern als Objekte des Naturschutzes behandelt, genauso wie heute Pflanzen und Tiere.

 

Es geht auch anders

Anhand dieser und weiterer stringenter Beispiele konnte Patrick Kupper seine These des europäischen Zivilisationsbegriffs und seine Auswirkung auf die Rechte der Indigenen nachvollziehbar begründen. Im anschliessenden Austausch mit dem Publikum ergaben sich viele interessante Diskussionen. Unter anderem berichtete der Referent über Beispiele von Naturschutzgebieten, die von Naturschützer:innen und Indigenen gemeinsam gemanagt werden. Eine Entwicklung der letzten Jahrzehnte, die hoffen lässt.

 

Dieser Artikel wurde von Corinne Huwyler, Master-Studentin in Geschichte und Politikwissenschaft, verfasst.