Zwei neue "Ambizione"-Projekte

Personalisierung der Politik und Gesundheitskompetenz: Zu diesen Themen können Dr. Nicola Diviani und Dr. Diego Garzia dank eines SNF-Förderbeitrags eigene Forschungsprojekte durchführen. Sie haben dafür die Universität Luzern ausgewählt.

Nicola Diviani (l.) und Diego Garzia.

Ein selbstständig geplantes Projekt an einer Schweizer Hochschule eigener Wahl durchführen, verwalten und leiten: Das ist mit einem Ambizione-Beitrag des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) möglich. Nicola Diviani und Diego Garzia gehören im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften zu denjenigen 19 Forschenden, die 2016 einen solche Beitrag zugunsten der Nachwuchsförderung erhalten und die Universität Luzern als Gastinstitution ausgesucht haben.

Sie konnten sich in einem Feld von 110 Bewerberinnen und Bewerber durchsetzen und führen ihre Projekte am Seminar für Gesundheitswissenschaften und Gesundheitspolitik und am Politikwissenschaftlichen Seminar durch. Die bewilligte Fördersumme beträgt insgesamt über 970'000 Franken.

Informationen angemessen beurteilen

"Soll ich meine Kinder impfen lassen?", "Muss ich weiterhin Antibiotika nehmen, auch wenn ich mich besser fühle?", "Wie oft soll ich mich auf Darmkrebs untersuchen lassen?": Das sind nur einige Beispiele zahlreicher gesundheitsbezogener Fragen, mit denen Menschen täglich konfrontiert sind. Durch das Voranschreiten neuer Medien (im Besonderen dem Internet) entstanden neue Möglichkeiten, Informationen zu Gesundheitsfragen zu beziehen. Vor diesem Hintergrund lässt sich das Projekt "New Insights into the Concept of Critical Health Literacy: Development and Validation of a Measure of Health Information Appraisal Skills" (Fördersumme: rund 480'000 Franken) unter der Leitung von Dr. Nicola Diviani verorten. Dieses läuft seit Oktober und hat eine Laufzeit von drei Jahren.

Diviani führt aus: "Der Zugang zu Gesundheitsinformationen ist heute einfacher denn je – allerdings bringt dies auch starke Qualitätsunterschiede mit sich. Das hat zur Folge, dass Menschen möglicherweise von falschen Angaben ausgehen und darauf basierend Entscheidungen treffen." Obwohl die kritische Beurteilung von Informationen rund um die Gesundheit eine entscheidende Komponente der "health literacy" – also der Gesundheitskompetenz – darstelle, sei unklar, welche Fähigkeiten genau erforderlich sind, um diese Aufgabe zu erfüllen, so Dr. Diviani, der zu diesem Thema bereits bis April dieses Jahres als Post-Doc an der Universität Amsterdam forschte.  

Erarbeitung eines Messinstruments

Die Identifizierung dieser Fähigkeiten ist eines von insgesamt drei Zielen des Projekts. Das zweite besteht in der Ausarbeitung des Konzepts der Gesundheitskompetenz. Drittens will Nicola Diviani ein praktisches Instrument zur Messung von Informationsbeurteilung entwickeln. "Es könnte routinemässig eingesetzt werden, um Personen zu identifizieren, die dem Risiko einer Fehlbeurteilung am stärksten ausgesetzt sind. In der Schweizer Bevölkerung ist die Gesundheitskompetenz zu grossen Teilen nach wie vor problematisch", gibt der Tessiner zu bedenken.

Diviani hat sich vor allem wegen der inhaltlichen und methodischen Ausrichtung des Seminars für Gesundheitswissenschaften und Gesundheitspolitik für die Universität Luzern als Gastinstitution entschieden. Dieses verfügt über breite Erfahrung in der Konzeptentwicklung sowie über ein grosses Netzwerk an Kontakten im Gesundheitssektor in der Schweiz und im Ausland. Im Gegenzug kann das Seminar vom spezifischen Fachwissen und von den zahlreichen internationalen und nationalen Kontakten des Gastforschers profitieren.

Personen- statt Parteiwahl

Dr. Diego Garzia konzentriert sich in seinem Projekt "Personalization of Politics between Television and the Internet" (Fördersumme: rund 490'000 Franken) auf die Rolle, die Leaderinnen und Leader in der Politik spielen. "Eine gebräuchliche Interpretation des Wahlverhaltens in modernen Demokratien gründet auf der Ansicht, dass die Wählerinnen und Wähler zunehmend dazu tendieren, für eine einzelne Person und nicht für eine Partei zu stimmen", so Garzia. "Manche Auffassungen gehen sogar noch weiter und behaupten, Wahlresultate seien heute, stärker als je zuvor, durch die Bewertung der Partei-Leader seitens der Stimmbürgerinnen und -bürger bestimmt." Die weitverbreitete Ansicht, dass populäre politische Leaderinnen und Leader einen wichtigen Vorzug für die eigene Partei darstellen, finde in der Literatur nur begrenzt Unterstützung. "Auch entscheidende Aspekte wie die Rolle des Fernsehens als Treiber der Personalisierung im Wahlverhalten und der Bezug zwischen Internet und dem Trend zur Personalisierung wurden wissenschaftlich nur spärlich behandelt", sagt Garzia, der im Januar 2017 die dreijährige Forschungsarbeit aufnehmen wird.

Zu seinen Zielsetzungen meint er: "Das Hauptziel dieses Projekts liegt in der empirischen Prüfung, zu welchem Grad politische Leader die Entscheidungen der Wählerinnen und Wähler beeinflussen sowie im Analysieren der Rolle der Medien in dieser Entwicklung."

Breite Datenbasis

Diego Garzia untersucht dazu mehr als 100 bereits vorhandene Datensets von über 20 westlichen Demokratien über eine Zeitspanne von 1960 bis heute. Das Projekt nimmt eine Vorreiterrolle ein, wenn es darum geht, die Beziehung zwischen dem Voranschreiten von neuen Kommunikationstechnologien und möglichen Veränderungen im Wahlverhalten zu erforschen. "Tatsächlich wurde die Rolle des Internets bezüglich des Wahlverhaltens noch nie aus einer vergleichenden Perspektive betrachtet. Ist das Internet imstande, den Personalisierungstrend zu beeinflussen? Falls ja, welche Konsequenzen hat das zur Folge?", fragt Garzia. In Zeiten von zunehmender Wahlinstabilität sei es äusserst wichtig, die Faktoren des Wandels dort zu suchen, wo er stattfindet: auf der Ebene der Stimmbürgerinnen und -bürger selber. "Eine solche Untersuchung dient als Schlüssel zum Verständnis von demokratischen Wahlen in Zeiten von abnehmender Parteiidentifikation, Unbeständigkeit und der verbreiteten Zunahme von populistischen Kräften."

Der Entscheid, das Projekt am Politikwissenschaftlichen Seminar der Universität Luzern durchzuführen, war für den Italiener, der vorherig am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz forschte, naheliegend: "Bereits in den vergangenen Jahren hatte ich die Möglichkeit, mit Prof. Dr. Joachim Blatter vom Politikwissenschaftlichen Seminar zu arbeiten. Dies an der modernen und kleinen Universität am Vierwaldstättersee zu tun, genoss ich sehr." Der Aufenthalt in Luzern erlaube es ihm zudem, die langjährige Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Alexander Trechsel, seit Herbst dieses Jahres ordentlicher Professor für Politikwissenschaft an der Universität Luzern, aufrechtzuerhalten. "Nicht zuletzt möchte ich erwähnen, dass ich grosse Teile meiner akademischen Karriere in schönen Städten wie Rom, Leiden, Oxford und Florenz verbracht habe – Luzern ist da keine Ausnahme!"


Quelle: Fokus Forschung, 20. Dezember 2016

Auch publiziert in: uniluAKTUELL, das Magazin der Universität Luzern, Ausgabe 58, Februar 2017, S. 4–5.
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