Die Sioux und ihre Schweizer Missionare

Ein Grossteil der Sioux in den USA ist katholisch. Im 19. Jahrhundert wurden sie vom Schweizer Missionar Martin Marty und seinen Helfern bekehrt. Während diese Ruhm und Ehre erhielten, wurde die Bekehrung für viele Indianer zum Trauma.

Der Schwyzer Missionar Martin Marty (1834–1896, aufgenommen zirka 1895; links) und Sitting Bull, Anführer der Sioux (1831–1890, Fotografie von 1885). (Bilder: Klosterarchiv Einsiedeln / Wikimedia Commons)

Am 25. Juni 1876 errangen die Sioux einen letzten denkwürdigen Sieg: Gemeinsam mit den Cheyenne und Arapaho schlugen sie die 7. US-Kavallerie vernichtend. Die Nachricht davon traf gut eine Woche später in Washington ein, als gerade das 100-Jahr-Jubiläum der Unabhängigkeitserklärung gefeiert wurde. Gedemütigt durch die blamable Niederlage, befahl die Regierung der Armee den unerbittlichen Gegenschlag. Als diese im November gegen die Indianer in den Winterkrieg zog, besetzte sie auch deren Jagdgebiete, um die Gegner auszuhungern. Etwa 2000 Sioux unter Sitting Bulls Führung gelang es jedoch, sich nach Kanada ins Exil zu begeben.

In den USA waren die für die Sioux-Kultur zentralen Büffel wegen der enormen Nachfrage nach Bisonleder akut vom Aussterben bedroht. Zudem schossen Rancher zahlreiche Tiere ab, um Platz für ihre Rinderherden zu schaffen. In Kanada sah es zunächst noch gut aus. Bald wurden die Bisons jedoch auch dort rar und es kam zur Hungersnot. Sitting Bull musste daher mit seinen Leuten in die USA zurückkehren. Er ergab sich am 19. Juli 1881 im heutigen Bundesstaat Norddakota und kam in Kriegsgefangenschaft.

"Export" des Schweizer Kulturkampfs

An dieser Stelle kommt – wie Dr. Manuel Menrath, Oberassistent im Bereich "Geschichte der Neuesten Zeit" am Historischen Seminar, in seinem ausgezeichneten Buch "Mission Sitting Bull" (siehe Kontextelement) schreibt – der als "Apostel der Sioux" in die Annalen eingegangene Schweizer Benediktiner Martin Marty ins Spiel: Dieser setzte sich erfolgreich für Sitting Bulls Überführung ins Reservat Standing Rock ein. Dort wollte er ihn zum katholischen Glauben bekehren. Marty war 1860 als 26-Jähriger vom Kloster Einsiedeln in die USA geschickt worden, um beim Aufbau der Niederlassung St. Meinrad in Indiana mitzuhelfen. Die Abtei war nämlich während der Kulturkämpfe zwischen Staat und Kirche in arge Bedrängnis geraten. Im Fall einer Klosterschliessung sollte St. Meinrad als Refugium dienen. 1870 erhob Papst Pius IX. die Niederlassung zum Kloster; Marty wurde zum ersten Abt ernannt.

Präsident Ulysses Grant hatte 1869 die sogenannte "Friedenspolitik" eingeführt. Dabei sollten christliche Missionare in den Reservaten die Indianer "zivilisieren". Die katholische Kirche erhielt u.a. das Sioux-Reservat Standing Rock zugesprochen. Sie fand jedoch nicht genügend Missionare, denn die in den USA geborenen Priester erachteten die Arbeit in der "Wildnis" als unattraktiv. 1876 wandte sich der katholische Missionsbeauftragte daher an Marty. Dieser begab sich sofort nach Standing Rock. Er liess Mönche aus St. Meinrad und aus der Zentralschweiz stammende Benediktinerinnen nachreisen. Später konnte er zudem aus Deutschland ausgewiesene Jesuiten und Franziskanerinnen für die "Heidenmission" gewinnen.

Zwangsassimilation in Internaten

Es sollte Marty zwar nicht gelingen, Sitting Bull zu bekehren. Doch die Sioux-Kinder wurden in katholischen Internaten zwangsassimiliert. Mit der Losung "Töte den Indianer, aber rette den Menschen" wollten die Missionare den Schulkindern alles Indianische austreiben – und begingen einen kulturellen Völkermord. Beim Eintritt in die sogenannten Boarding Schools schnitt man ihnen die langen Haare ab und zwängte sie in westliche Kleider. Dann wurden sie getauft und erhielten christliche Namen. Bei Ungehorsam drohten harte Strafen und körperliche Züchtigung. Damit sie nicht mehr "rückfällig" wurden, behielten sie die Missionare bis zum Erwachsenenalter in ihrer Obhut und arrangierten katholische Ehen.

Viele Sioux konvertierten zum Katholizismus. Die von Marty angestrebte totale Missionierung scheiterte jedoch. Zwar passten sich die Kinder äusserlich einer katholischen Lebensführung an. Einige aber nutzten ihren persönlichen Handlungsspielraum, widersetzten sich der Bekehrung und knüpften als Erwachsene mit neuem indianischem Selbstbewusstsein an kulturelle und spirituelle Traditionen ihrer Vorfahren an. Die Reservate erinnern heute zwar immer noch an Gebiete der Dritten Welt. Die Sioux haben sie aber zu Homelands gemacht, in denen die von den Missionaren verbotenen Rituale, wie etwa der Sonnentanz, wieder aufblühen.


Quelle: uniluAKTUELL, das Magazin der Universität Luzern, Ausgabe 57, Dezember 2016, S. 8–9.
Artikel (pdf)

Siehe auch Beitrag im Jahresbericht 2016 der Universität Luzern, Mai 2017, S. 24–26.
Artikel (pdf)