«Open Science ist für unsere Forschung von zentraler Bedeutung»
Prof. Dr. Mira Burri und ihr Team wurden für den Handelsrecht-Datensatz TAPED mit dem diesjährigen «Open Science Preis» der Universität Luzern ausgezeichnet. Im Interview spricht sie über ihr Forschungsprojekt und weshalb es so wichtig ist, dass Forschungsdaten und -ergebnisse frei zugänglich sind.
Mira Burri, in einigen wenigen Worten, was ist TAPED?
Mira Burri: TAPED steht für «Trade Agreement Provisions on Electronic-Commerce and Data» und ist ein umfassender Datensatz, der die Entwicklungen im Bereich des digitalen Handelsrechts nachverfolgt. Ziel von TAPED ist es, einen Überblick über die in verschiedenen Freihandelsabkommen (FHA) enthaltenen Regelungen zum digitalen Handel zu bieten. Der Datensatz umfasst dabei eine detaillierte Erfassung und systematische Kodierung aller seit dem Jahr 2000 abgeschlossenen Abkommen. Aktuell deckt TAPED mehr als 450 FHA ab, in denen 130 verschiedene Aspekte kodiert wurden.
Aktuell deckt TAPED mehr als 430 FHA ab, in denen 116 verschiedene Aspekte kodiert wurden. Dies beinhaltet beispielsweise Schutz des geistigen Eigentums oder Vorschriften für zentrale Dienstleistungssektoren. Darüber hinaus berücksichtigt der Datensatz auch allgemeine und spezifische Ausnahmeregelungen sowie neue Querschnittsthemen, die für die Datenwirtschaft relevant sind – wie z.B. im Bereich der künstlichen Intelligenz.
TAPED wird derzeit im Rahmen meines Projekts «Trade Law 4.0» (finanziert durch den ERC Consolidator Grant 2021–2026) kontinuierlich erweitert. Ursprünglich wurde der Datensatz als Teil des Forschungsprojekts «Governance of Big Data in Trade Agreements» entwickelt und vom Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 75: Big Data (2017–2021) unterstützt (s. Newsmeldung vom 24. Januar 2022).
Seither hat TAPED beachtliche Aufmerksamkeit erhalten: Bis Mai 2024 wurde der Datensatz bereits 36-mal zitiert und erfreut sich einer Nutzung, die über den rein akademischen Bereich hinausgeht. So verwenden ihn auch politische Entscheidungsträger, wie z. B. die OECD, als wertvolles Referenzinstrument, um Einblicke in die globale Entwicklung digitaler Handelsregeln zu gewinnen.
Was zeichnet den Datensatz aus, insbesondere in Bezug auf «Open Science»?
Das TAPED-Dataset zeichnet sich besonders durch seinen offenen Zugang und seine Nachnutzbarkeit aus. Der Datensatz ist frei verfügbar und kann unkompliziert heruntergeladen werden, was eine breite Zugänglichkeit sicherstellt. Zusätzlich ist er unter einer freien Lizenz verfügbar, die es Nutzenden aus verschiedensten Bereichen ermöglicht, auf die Daten zuzugreifen und sie weiterzuverwenden.
Ein weiterer Vorteil des TAPED-Datensatzes ist sein hoher Grad an Interoperabilität. Das Format ist so gestaltet, dass es für die Weiterverarbeitung geeignet ist und dadurch einen offenen Wissensaustausch begünstigt. Dank der umfangreichen Metadaten, die dem Datensatz beigefügt sind, wird Nutzenden ermöglicht, weiterführende Analysen durchzuführen oder ihn für eigene Forschungsprojekte zu nutzen. So trägt TAPED nicht nur zur Transparenz und Nachvollziehbarkeit im Bereich des digitalen Handelsrechts bei, sondern fördert auch die Weiterentwicklung der Forschung in diesem wichtigen Feld.
Wieso ist es wichtig, dass dieses Datenset frei zugänglich ist?
Die offene Zugänglichkeit des TAPED-Datensatzes ist von zentraler Bedeutung, weil er damit sein volles Potenzial entfalten kann. Der Nutzen des Datensatzes steigt, wenn er von einer breiten Forschungs- und Nutzerbasis verwendet wird, einschliesslich Forschender und politischer Entscheidungsträger, die auf verlässliche Daten angewiesen sind, um aktuelle Entwicklungen und Trends im digitalen Handel zu analysieren. Je mehr Personen auf den Datensatz zugreifen und damit arbeiten können, desto wertvoller wird er als Referenzinstrument.
Ein freier Zugang fördert zudem den Wissenstransfer und sorgt dafür, dass internationale Forschende und politische Akteure ohne hohe Zugangshürden profitieren können. Dies ist insbesondere für Forschende aus Regionen oder Institutionen mit begrenzten finanziellen Mitteln von Bedeutung, da sie oft keinen Zugang zu teuren Datenbanken haben. Mit TAPED bieten wir eine Art demokratisierte Ressource an, die sicherstellt, dass alle Forschenden gleiche Möglichkeiten haben, auf diese Daten zuzugreifen.
Inwiefern ist das für Sie als Forscherin von Nutzen?
Der freie Zugang des Datensatzes trägt zur Sichtbarkeit und Transparenz unserer eigenen Forschungsarbeit bei. Wir können in unseren Publikationen auf TAPED verweisen und unsere eigenen Ergebnisse durch die veröffentlichten Daten nachvollziehbar und überprüfbar machen. Dies unterstützt die Qualitätssicherung unserer Arbeit und bietet gleichzeitig anderen Forschenden die Möglichkeit, Rückmeldungen zu geben, die wertvolle Impulse für die Weiterentwicklung des Datensatzes liefern. Die verstärkte Sichtbarkeit fördert somit auch den fachlichen Austausch und inspiriert zu neuen Kooperationsmöglichkeiten.
Schliesslich ermöglicht die offene Struktur des TAPED-Datensatzes, ihn schnell und effizient an neue Entwicklungen anzupassen und die aktualisierten Daten zeitnah der Community zur Verfügung zu stellen. So bleibt TAPED ein lebendiges und stets aktuelles Instrument, das die Forschung kontinuierlich unterstützt und bereichert.
Wie sind Sie dazu gekommen Open Science in der Praxis anzuwenden – liegt dem ein bestimmtes Erlebnis oder ein bestimmter «Aha-Moment» zugrunde?
Weniger ein einzelnes Erlebnis als vielmehr eine tief verwurzelte Überzeugung hat uns zu Open Science geführt. Wir sehen es als grundlegende Verantwortung, dass Forschung, die durch öffentliche Gelder finanziert wird, auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Die Idee, dass Wissen, welches im Dienst der Gesellschaft entsteht, nicht für wenige Privilegierte, sondern für alle verfügbar sein sollte, ist für uns ein zentraler Antrieb.
Zusätzlich ist Open Access heutzutage ein internationaler Standard, dem wir als Forschende, die sich mit globalen Themen wie dem digitalen Handel befassen, verpflichtet sind. Im internationalen Austausch von Wissen und Daten ist Offenheit essenziell: Ein Datensatz wie TAPED würde viel an Wert und Relevanz verlieren, wenn er nur einem begrenzten Kreis zugänglich wäre. Wenn wir uns in einem internationalen Forschungsumfeld bewegen, besteht nahezu keine Alternative zu Open Access, da dies die Voraussetzung für den Wissensaustausch über institutionelle und nationale Grenzen hinweg ist.
Nicht zuletzt sind institutionelle Rahmenbedingungen wie die Richtlinien des Europäischen Forschungsrats, die Anforderungen des Schweizerischen Nationalfonds sowie die Open Science Policy der Universität Luzern wichtige Wegweiser, die unsere Überzeugung bestärken. Diese Richtlinien unterstreichen, dass Open Science kein blosses Ideal, sondern zunehmend eine notwendige Bedingung für wissenschaftliche Arbeit ist, die sich für Transparenz, Fairness und gesellschaftlichen Nutzen einsetzt.
Über ihr eigenes Forschungsprojekt hinaus, warum ist Open Science für Ihr Forschungsgebiet wichtig?
Open Science ist für unser Forschungsgebiet von zentraler Bedeutung, da wir in einem dynamischen und schnelllebigen Umfeld arbeiten, in dem rascher und unkomplizierter Zugang zu den neuesten Forschungsergebnissen unverzichtbar ist. Open Access erleichtert diesen Zugang erheblich, da Forschende und Praktiker ohne Barrieren an neue Informationen gelangen können und so die notwendige Grundlage für fundierte Analysen und Entscheidungen erhalten.
Ein weiteres Argument für Open Science in unserem Forschungsgebiet ist die internationale und grenzüberschreitende Natur der digitalen Handelsdebatte. Digitale Handelspolitik betrifft zahlreiche Länder und Akteure weltweit, und durch Open Access wird es für Forschende einfacher, sich aktiv in diesen globalen Dialog einzubringen. Die internationale Forschungsgemeinschaft kann sich somit besser vernetzen, Wissen austauschen und gemeinsam Lösungen für drängende Fragen in diesem Bereich erarbeiten.
Zudem ist unser Forschungsgebiet stark interdisziplinär geprägt, was den freien Zugang zu wissenschaftlichen Ressourcen umso wertvoller macht. Open Access ermöglicht es uns nicht nur, selbst auf relevante Forschungsergebnisse aus angrenzenden Disziplinen zurückzugreifen, sondern erleichtert es umgekehrt auch Forschenden aus anderen Bereichen, Einblicke in juristische Perspektiven auf digitale Handelsfragen zu gewinnen. Gerade für die Rechtswissenschaft ist es wichtig, dass wir unsere Diskussionen und wissenschaftlichen Ergebnisse nicht hinter Bezahlschranken verstecken. Der offene Zugang stellt sicher, dass unsere Argumente und Analysen in den breiteren wissenschaftlichen Diskurs einfliessen können und für Fachfremde ebenso zugänglich sind.
Können Sie kurz beschreiben, wie Sie Open Science in Ihrem Forschungsbereich umsetzen?
Indem wir so viele unserer Forschungsergebnisse wie möglich direkt im Open Access veröffentlichen. Wo immer es die Rahmenbedingungen und die Verlage zulassen, streben wir eine Veröffentlichung in frei zugänglichen Fachzeitschriften an, um unsere Arbeit einer breiteren Öffentlichkeit verfügbar zu machen.
Ein wichtiger Bestandteil unserer Open Science Strategie ist zudem die Nutzung von Repositories. In erster Linie nutzen wir LORY, das institutionelle Repositorium der Universität Luzern, um Manuskripte und Daten für alle Interessierten zugänglich zu machen. Darüber hinaus laden wir Manuskripte auch auf Plattformen wie dem Social Science Research Network (SSRN) hoch, einer weltweit etablierten Plattform für den offenen Austausch von wissenschaftlichen Arbeiten. Um unsere Forschung in unserem Fachbereich gezielt verfügbar zu machen, veröffentlichen wir auch Materialien auf spezialisierten Webseiten, wie unserer eigenen Forschungsprojektwebsite, die eine wertvolle Ressource für Interessierte am Thema darstellt
Zur Sicherstellung der rechtlichen Klarheit und um die Nachnutzung zu fördern, verwenden wir Creative Commons (CC)-Lizenzen. Diese Lizenzen legen fest, unter welchen Bedingungen unsere Arbeiten von anderen genutzt, geteilt und weiterverarbeitet werden dürfen. Die CC-Lizenzen fördern nicht nur die Verbreitung und Weiterverarbeitung unserer Forschungsergebnisse, sondern stellen auch sicher, dass die Nutzungsrechte transparent und fair geregelt sind.
Open Science scheint in den Rechtswissenschaften schwieriger umsetzbar zu sein: Wo sehen Sie dabei die Herausforderungen?
Die Frage, ob Open Science in den Rechtswissenschaften wirklich schwieriger umzusetzen ist, führt uns zu einer grundlegenderen Überlegung: Liegt das tatsächliche Hindernis in der Struktur des Fachs oder eher in den traditionellen Denkweisen und Publikationspraktiken, die die Rechtswissenschaften geprägt haben? Es stellt sich die Frage, ob nicht gerade die Rechtswissenschaften oft noch stark an etablierten und bewährten Strukturen festhalten, was den Übergang zu einer offenen Wissenschaftslandschaft verlangsamt.
Herausforderungen bestehen jedoch in der Tat. Ein zentrales Hindernis ist die Abhängigkeit der juristischen Forschung von etablierten Fachzeitschriften und Verlagen, die häufig kostenpflichtige Modelle verfolgen und den Zugang zu aktuellen Forschungsergebnissen einschränken. Für eine konsequente Umsetzung von Open Science müssten die Rechtswissenschaften alternative Publikationsmodelle stärken und die Finanzierung für Open-Access-Publikationen sicherstellen, was oft noch nicht ausreichend der Fall ist.
Welche Tipps würden Sie jungen Forschenden in den Rechtswissenschaften geben, die Open Science in ihre Arbeit integrieren möchten?
Statt konkreter Tipps möchte ich dem Forschungsnachwuchs eher eine klare Aufforderung mit auf den Weg geben: Sie können durch die Integration von Open Science in ihre Arbeit nur profitieren. Der offene Zugang zu Forschungsergebnissen erhöht die Sichtbarkeit. Dies kann nicht nur wertvolle Rückmeldungen und die Chance auf fachlichen Austausch bedeuten, sondern auch die Chancen auf Zusammenarbeit deutlich steigern.
Wir empfehlen, sich frühzeitig an die zuständigen Stellen der Universität zu wenden – viele Universitäten haben mittlerweile spezialisierte Open-Access-Berater, die in allen Fragen rund um die offene Veröffentlichung unterstützend zur Seite stehen. Diese Stellen sind oft sehr hilfsbereit und können etwa über Finanzierungsmöglichkeiten für Open-Access-Publikationen oder die Wahl geeigneter Verlage informieren. Auch die Wahl eines Verlags, der Open Access aktiv unterstützt, kann eine grosse Hilfe sein. Viele Verlage reagieren entgegenkommend auf den Wunsch nach Open Access und bieten sogar eigene Optionen für freie Zugänglichkeit an.
Darüber hinaus gibt es finanzielle Fördermöglichkeiten für Open-Access-Publikationen, die gezielt genutzt werden sollten. Viele Universitäten oder Forschungsförderer stellen Mittel für Publikationskosten bereit. Solche Unterstützung hilft, die Kosten zu reduzieren und Open Science auch für Nachwuchsforschende im Bereich der Rechtswissenschaften attraktiv und umsetzbar zu machen.
Das Interview führten Dominik Matter und Simone Rosenkranz, beide Teil des Open Science Teams der Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern.
Mehr Infos:
Newsmeldung zur Verleihung des Open Science Preises
«TAPED»-Websitebereich und -Download
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