US-Präsidentenwahl und der Faktor Religion
Auf Einladung von Prof. Antonius Liedhegener vom Zentrum für Religion, Wirtschaft und Politik (ZRWP) der Universität Luzern und der US-Botschaft in Bern war Prof. Corwin Smidt (Calvin College, Grand Rapids MI) vom 4. bis 9. Oktober 2012 zu Gast in der Schweiz. Kurz vor der Präsidentenwahl 2012 in den USA bestritt er eine ganze Reihe von Vorträgen, Veranstaltungen und Treffen an verschiedenen Schweizer Universitäten und erläuterte dabei zentrale Aspekte der amerikanischen Innen- und Aussenpolitik.
«American elections are won on the margins» – US-Präsidentenwahlen werden durch kleinere Prozentpunktverschiebungen innerhalb und zwischen Wählergruppen gewonnen – so könnte man den eingangs zitierten Satz frei übersetzen, den Prof. Corwin Smidt den Schweizer Zuhörerinnen und Zuhörern als einen seiner Merksätze zur amerikanischen Innenpolitik mit auf den Weg gab. Auf Einladung von Prof. Antonius Liedhegener vom ZRWP und der US-Botschaft in Bern bestritt Smidt kurz vor der Präsidentenwahl 2012 in den USA eine ganze Reihe von Vorträgen, Veranstaltungen und Treffen an verschiedenen Schweizer Universitäten und erläuterte dabei zentrale Aspekte der amerikanischen Innen- und Aussenpolitik. Immer wieder griff der renommierte Politikwissenschaftler dazu auf seine immensen Kenntnisse der Institutionen und Entscheidungsverfahren der US-Demokratie sowie auf den in einem langen Forscherleben als Wahlforscher und Experte für Politik und Religion erworbenen Fundus an Umfragedaten und Statistiken zurück.
Den Auftakt machte eine spezielles Seminar für die Studierenden des Joint Degree Masters Religion – Wirtschaft – Politik und der Religionswissenschaft an der Universität Luzern. Am Nachmittag des 4. Oktober erörterte und diskutierte Smidt zusammen mit den Studierenden das wichtige Thema «Integrative or divisive? Religion in Politics in the U.S.» In seiner Präsentation hob er beide Seiten der Religion in den USA in dieser Frage hervor. Einheit ohne die inspirierende Erfahrung der Verschiedenheit sei bestenfalls langweilig, schlimmstenfalls Teil einer Diktatur. Gesellschaftliche Differenzen ohne Gemeinsamkeiten seien günstigstenfalls hinderlich für den Zusammenhalt und die Zusammenarbeit, schlimmstenfalls Ausgangspunkt von Bürgerkrieg und Völkermord. In den USA müsse jeder Versuch, die Einheit und Vielfalt dieses Landes zu verstehen, scheitern, der Religion ausblendet. Das (zivil-)religiöse Bekenntnis der über 200 Religionsgemeinschaften und mehr als 300ʼ000 Kirchengemeinden bzw. Gebetsorte zur amerikanischen Demokratie stütze die politische Gemeinschaft nachhaltig. Die strikte Trennung von Staat und organisierten Religionsgemeinschaften eröffne andererseits eine soziale und religiöse Dynamik, die nicht nur die religiöse Landschaft der USA immer wieder erneuere. Gleichzeitig ist Religion aber auch Teil und Ursache sozialer Konflikte und wirke daher auch trennend in der amerikanische Gesellschaft. Das zeigt sich gerade beim Wahlverhalten.
Das Wahlverhalten und die kommende Präsidentschaftswahl waren das Thema des öffentlichen Abendvortrags am selben Tag an der Universität Luzern. Sehr viele Studierende, aber auch eine ganze Reihe von Interessierten aus Stadt und Kanton Luzern war gekommen, um Smidts Antwort auf die Frage «Barack Obama or Mitt Romney? The United States in the 2012 Presidential Election Year» zu erfahren. Die Analyse des bisherigen Wahlkampfs und aktueller Umfragedaten standen dementsprechend im Mittelpunkt des Vortrags und der anschliessenden Diskussion. Selbst Experten erfuhren aber vor allem dann viel Neues, wenn Smidt die grundsätzlichen Wirkungen der Verfassung und der im amerikanischen Bundesstaat komplizierten Wahlrechtsfragen auf die Praxis und den Ausgang amerikanischer Wahlkämpfe erläuterte. So wies er nach, dass das auf den ersten Blick altmodische «Electoral College», also jenes Wahlmännergremiums, das letztendlich erst den Präsidenten im Dezember rechtskräftig wählt, faktisch die Existenz der Parteien sicher stellt, weil die Aufstellung der Wahlmänner eines der wenigen Vorrechte der beiden Parteien ist und damit deren politische Unverzichtbarkeit sichert. Der statistische Blick auf die Wahlabsichten in den Bundesstaaten und insbesondere den Swing States in der aktuellen heissen Phase des Wahlkampfs untermauerte das Urteil Smidts, dass die Wahrscheinlichkeit hoch sei, dass Barack Obama am 6. November wiedergewählt werde.
Am Tag darauf sprach Smidt beim «Sicherheitspolitischen Forum St. Gallen (SPF)» an der Universität St. Gallen. Im Blick auf die aussenpolitischen Implikationen der Wahlen ging es in St. Gallen darum, unter dem Titel «The Impact of Religion on American Presidential Elections: Islam and Religion in the 2012 Election» die Rolle des Islam in der US-Politik näher zu beleuchten. Smidt unterstrich, dass die muslimischen Minderheiten in den USA weithin gut integriert sind und ein positives Verhältnis zur amerikanischen Demokratie haben. Dass einzelne Ereignisse von Islamfeindschaft, aber auch von islamischem Extremismus diese Einschätzung nicht entkräften können, belegen die Befunde unterschiedlicher Meinungsumfragen zu Politik und Religion in den USA. So geben Amerikanerinnen und Amerikaner übereinstimmend in verschiedenen Umfragen an, dass sie eher für einen muslimischen Präsidentschaftskandidaten stimmen würden als für einen atheistischen Kandidaten. Aktuell ist es interessant, darauf hinzuweisen, dass ein Kandidat der Mormonen in dieser Frage nur geringfügig niedrigere Zustimmungswerte erhält als ein Mitglied einer christlichen Konfession. Die Anfang des Jahres 2012 in den Medien kontrovers diskutierte Frage, ob Romney als Mormone deutlich geringere Chancen als Kandidat der Republikaner habe, ist konsequenterweise rasch verstummt und bislang nicht wieder aufgeworfen worden.
Am Dienstag der darauffolgenden Woche hat die US-Botschaft in Bern in Zusammenarbeit mit dem International Relations and Security Network (ISN) des Center for Security Studies (CSS) eine Podiumsdiskussion an der Universität Zürich organisiert. Der Vormittag stand unter dem Thema The Impact of the Presidential Elections on U.S. Foreign and Security Policy. Auf dem Podium versammelt waren Susan Elbow, stellvertretende Botschafterin der USA in der Schweiz, Corwin Smidt, der führende Schweizer Meinungsforscher Claude Longchamp und der Luzerner Politikwissenschaftler Antonius Liedhegener. Deren Statements beleuchteten die amerikanische Aussenpolitik und die Perspektiven für einen unterschiedlichen Ausgang der Wahl aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Elbow unterstrich das hohe Mass an Kontinuität der US-Aussenpolitik über den Wechsel der Administrationen hinweg. Longchamp führte verschiedene Verfahren der Wahlprognose vor und kam wie Smidt zum Schluss, dass die Chancen für Obama – trotz seines Lapsus in der ersten TV-Debatte – besser ständen als für Romney. Smidt erläuterte die Einstellungen der Amerikanerinnen und Amerikaner zur Aussenpolitik und zeigte, dass Fragen der nationalen Sicherheit durchaus für den Wahlkampf relevant sein können, aussenpolitische Fragen als solche aber eher eine untergeordnete Bedeutung haben. Liedhegener brachte die europäische Perspektive ein. Das seit dem Eintritt der USA in die internationale Politik im Ersten Weltkrieg zu beobachtende Schwanken zwischen einer idealistischen bzw. liberalen Politik der Verbreitung von Freiheit, Demokratie und Wohlfahrt einerseits und der pragmatischen Vertretung der nationalen Interesse der mittlerweile einzig verbliebenen, aber eben auch angeschlagenen Weltmacht andererseits mache es den Europäern vielfach schwer, die Aussenpolitik der USA zu verstehen bzw. uneingeschränkt zu unterstützen. Die anschliessende Diskussion fokussierte vor allem zwei Punkte: Zunächst ging es um die Rolle der militärischen Seite der US-Aussenpolitik im mittleren Osten und insbesondere den gerade unter der Administration Obama noch intensivierten Einsatz von Drohnen als Waffen gegen angenommene Stellungen von islamistischen Gegnern bzw. Terroristen. Im weiteren Verlauf schwenkte die Diskussion dann auf die politische Rolle der im internationalen Vergleich so eindrücklichen Religiosität der Amerikanerinnen und Amerikaner und die Frage der Rolle von religiösen Zugehörigkeiten und Orientierungen für den Wahlausgang.
Im Rückblick auf alle Vorträge und Diskussionen der Lecture Tour schloss sich damit gleichsam der Kreis der von Corwin Smidt in der Schweiz vorgestellten Themen, Befunde und Anliegen wieder. Der grosse Zuspruch zu den verschiedenen Veranstaltungen hat gezeigt, dass es in der Schweizer Wissenschaft und Öffentlichkeit ein beachtliches Interesse gibt, über die USA und ihre Politik gleichsam aus erster Hand informiert zu werden und die eigenen Erwartungen und Fragen in einen transatlantischen Dialog einzubringen. In diesem Sinne entspricht die Zusammenarbeit des ZRWP mit der amerikanischen Botschaft und den übrigen Partnern auch dem Auftrag dieses in der Schweiz einmaligen Zentrums, durch seine Science-to-Public-Aktivitäten Brücken zwischen der internationalen Forschung und der öffentlichen Debatte auf den Schnittfeldern von Religion und Politik zu bauen. (al)