Menschenrechte als Rahmen von «KI»
Am «International Lucerne Ethics of Human Rights»-Symposium des Instituts für Sozialethik standen die ethischen Auswirkungen von digitaler Transformation und «künstlicher Intelligenz» im Fokus. Zu den Rednerinnen und Rednern gehörte die russische Friedensnobelpreisträgerin Prof. Dr. Irina Scherbakowa.
Prof. Dr. Irina Scherbakowa machte gleich zu Beginn ihrer Rede klar, dass sie keine Hoffnung auf einen «wahren Frieden» im russischen Angriffskrieg – u. a. mit «KI» geführt – gegen die Ukraine hege. In ihrem Vortrag zum Thema «Frieden im digitalen Zeitalter» unternahm sie einen Rückblick der Entwicklungen der 1980er Jahre bis in die Gegenwart hin zu den heutigen Herausforderungen wie Fake-News, Troll-Fabriken und Post-Wahrheitsideologien.
Als Historikerin betonte sie besonders das Geschichtsbild Putins, welches eine imperiale Vergangenheit beschwöre und die Zukunft als eine ebenso «mythologische Vergangenheit» ohne Veränderung erscheinen liesse – trotz des technologischen Fortschritts. Was man machen könne, sei zu berichten. Die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen, die Digitalisierung und Erschaffung von Archiven sei das Instrument, um vorbereitet zu sein, wenn es zu Gerichtsverhandlungen komme.
Prof. Dr. Irina Scherbakowa ist Gründungsmitglied der Menschenrechtsorganisation «Memorial», welche 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Nach ihrem Vortrag und der Diskussion wurden die Gespräche beim Apéro weitergeführt.
Das Programm des zweitägigen Symposiums begann mit einer Begrüssung durch Prof. Dr. Peter G. Kirchschläger, Professor für Theologische Ethik und Leiter des Instituts für Sozialethik ISE. Im Anschluss präsentierten Forschende der Lucerne Graduate School in Ethics LGSE des ISE der Universität Luzern ihre Dissertations- und Habilitationsprojekte im Bereich der Ethik der digitalen Transformation und künstlichen Intelligenz.
Prof. Dr. Thomas Gremsl berichtete von seinem Habilitationsprojekt über «Digital Transformation and Democracy», Sander de Haan sprach über sein Dissertationsprojekt zu «Post-Technology: Principles for Morality-Amplifying Technology» und Dr. Darius Meier stellte seine in diesem Sommer veröffentlichte Dissertation zur Automatisierung menschlicher Arbeit aus ethischer Perspektive vor.
Nach allen Vorträgen gab es die Möglichkeit für Fragen und Anregungen, die zu bereichernden Diskussionen und Impulsen führten. Im Rahmen einer Opening Keynote schlug Prof. Dr. Peter G. Kirchschläger menschenrechtsbasierte datenbasierte Systeme und die Schaffung einer Internationalen Agentur für datenbasierte Systeme (IDA) vor, um das ethische positive Potential von datenbasierten Systemen (DS) besser zu erschliessen und um das negative Potential zu meistern oder zu vermeiden.
Prof. Dr. Kutoma Wakunuma (Faculty of Computing, Engineering and Media, School of Computer Science and Informatics, De Montfort University, UK and Zambia) betonte, dass es bei dem Versuch KI zu regulieren wichtig sei, soziale und kulturelle Werte zu berücksichtigen. So könne zum Beispiel der «EU AI Act» nicht ohne weiteres als globaler Vertrag bezeichnet werden. Der globale Süden müsse in der Regulation von KI mehr Repräsentation finden. Es brauche eine ethische Leitlinie, die alle einschliesse und in Einklang sei mit den Sustainable Development Goals (SDGs) der UNO.
Thomas Illi (CEO Lyreco Switzerland) berichtete über Veränderungen im Bereich Digitalisierung, welche die Lyreco Switzerland AG in den letzten Jahren implementiert hat. Diese Prozesse haben stetige Innovation und auch die Reflexion von Werten notwendig gemacht. Die Digitalisierung habe auch den Führungsstil des Unternehmens beeinflusst. Hinzugekommen sei der Wert der Agilität. Insbesondere gegenüber Mitarbeitenden sei transparente und ehrliche Kommunikation sowie Geduld entscheidend gewesen für den nachhaltigen Erfolg.
Karabo Ozah (Director of the Centre for Child Law, University of Pretoria) reflektierte das Thema der Digitalen Transformation aus der Perspektive der Kinderrechte. Die negativen ethischen Implikationen von DS seien grösstenteils dieselben, wie sie auch Erwachsene betreffen. Bei Kindern käme aber zusätzlich die Problematik des Einverständnisses hinzu und die grundsätzliche Frage, ob es überhaupt eine Zustimmung geben könne. Sie forderte in ihrer Keynote, dass es viel mehr Informationen für Eltern, Lehr- und Betreuungspersonen geben müsse, wie man Kinder vor den Gefahren durch Social Media schützen könne.
Taís Fernanda Blauth (University of Groningen) diskutierte das Thema der Kontrolle autonomer Waffensysteme und Menschenwürde. So warf sie die Frage auf, ob ein Algorithmus darüber entscheiden können soll, ob jemand lebe oder sterbe. Sie schlug «Meaningful Human Control» (MHC) als ein möglicher Mechanismus vor, um menschliches Einfühlungsvermögen, Urteilsvermögen sowie moralische Verantwortung in den Prozess einzubauen.
Prof. Dr. Hyeongjoo Kim (Chung-Ang University Seoul) sprach über den «Kategorischen Imperativ für ‘Digital Natives’». Er bezog sich auf das Prinzip des «Wohl des Kindes» («best interest of the child»), das besagt, dass bei allen Kinder betreffenden Massnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein muss. Aufbauend auf den Kantischen Kategorischen Imperativ legte er dar, dass ein Kind im Umgang mit KI und Social Media davor geschützt werden müsse, als «Mittel» behandelt zu werden.
Über die beiden Tage hinweg schafften grosszügige Diskussionszeiten einen intensiven und regen Austausch über die Forschungsarbeiten mit aktiver Beteiligung der Teilnehmenden.
Das International Lucerne Ethics of Human Rights-Symposium LES des ISE fand vom 11.–12. November 2024 an der Universität Luzern statt. Weitere Informationen zum nächsten LES werden unter folgendem Link bekanntgegeben.
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