«Meine schönen Dinge – das bin ich»
Im Rahmen der öffentlichen «LUKB-Vorlesungsreihe» der Universität Luzern nahm Prof. Dr. Valentin Groebner seine Zuhörenden mit auf eine Reise in die Konsumgeschichte. Denn genau wie die Lust am «Shopping» gibt es auch die Kritik daran schon seit dem späten Mittelalter.
Sind Sie heute mit Ihrem pfiffigen E-Bike zur Arbeit oder an die Uni gefahren? Freuen Sie sich über die stylischen Sneaker, die Sie vor kurzem erworben haben? Oder horten Sie vielleicht sogar lauter unnütze Dinge, die Sie vor langer Zeit gekauft haben, von denen Sie sich aber einfach nicht trennen können? Seien Sie beruhigt: Sie sind nicht allein.
Warum das so ist, erklärte Valentin Groebner, Professor für Geschichte mit Schwerpunkt Mittelalter und Renaissance, am 8. November in seinem öffentlichen Vortrag «Meine schönen Dinge – das bin ich». Die Vorlesung markierte das 30-jährige Bestehen der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern.
Privater Konsum als Grundlage der Industriegesellschaft
Das Thema Konsum lässt kaum jemanden kalt, betonte Valentin Groebner: «Wer wir sind und wer wir sein möchten, zeigen wir mit unseren Dingen vor.» Der demonstrative private Konsum des nicht immer notwendigen Schönen sei denn auch eine der Grundlagen der modernen Industriegesellschaft. Oder wie es Groebner formulierte: «Schönheit ist die Verbindung zwischen dem Ding und der Person, die es anschaut und der es gefällt, obwohl sie noch gar nicht weiss, was ihr genau gefällt. Auf einmal sind wir überzeugt davon, dass unser Leben durch dieses tolle Rennvelo, diesen Geländewagen oder diesen Anzug gleich viel besser, klarer und ästhetischer wird», so Groebner. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass unsere Shoppinglust keinen besonders guten Ruf geniesst. Zumindest gelte das für den Konsum der anderen, wie Groebner schmunzelnd zu ergänzen wusste.
Die Konsumrevolution und ihre Folgen
Wer nun glaubt, die Freude am Konsum und die damit einhergehende Kritik an der Überflussgesellschaft sei ein neueres Phänomen, der irrt. Tatsächlich gab es beides – den Konsum und den Ärger darüber – auch schon im späten Mittelalter und damit schon «lange vor der Erfindung der Einkaufszentren», wie es Groebner formulierte. So beschrieb er beispielsweise, wie ab dem 13. Jahrhundert «eine ganze Fülle von verlockenden neuen Alltagsgegenständen» aus dem Nahen und Mittleren Osten das christliche Europa erreichten. Ob Gewürze, Zucker, Parfums, farbloses Glas, Seife oder in Europa bisher unbekannte Textilien aus Baumwolle und Seide: «Bedrohliche Glaubensfeinde hin oder her: Die verlockenden Luxusdinge aus dem Osten wollten die Europäer unbedingt haben.»
Durch die fortschreitende Konsumrevolution stiegen in Europa nicht nur der Wohlstand und die Bevölkerungszahlen, die Entwicklung verlieh auch neuen religiösen Bewegungen Aufwind. Die Ordensgemeinschaft der Bettelorden beispielsweise verzichteten demonstrativ auf Luxusgüter. Dass auch diese Bewegung nicht ohne Widersprüche auskam, verwundert nicht. «In der vermeintlich strenggläubigen christlichen Welt des späten Mittelalters stifteten Bankiers und Fürsten den einflussreichen asketischen Bettelorden gewaltige Geldsummen, damit diese gegen Geschäfte mit Andersgläubigen und gegen Wucher predigten. Das hinderte dieselben frommen Kaufleute und Hochadeligen aber nicht dran, mit aus Persien, Ägypten und Indien importierten Luxusartikeln und Edelsteinen aufzutreten und sie für ihre eigene Selbstinszenierung zu verwenden», so Groebner.
Geld als Speicher für Ideen
Wer den Worten des Historikers folgte, lernte, dass es sich bei der Geschichte der schönen Dinge letztlich um Globalisierungsgeschichte handelt. Und auch, dass die Grenzen zwischen Menschen und Gegenständen häufig fliessend verlaufen. «In schönen Dingen stecken nicht nur positive Wirkungen, sondern auch Verpflichtungen.» So erhielten etwa Familienerbstücke oftmals «stumme, aber stark wirksame Anweisungen», auf welche Weise sie benutzt werden können oder sollen.
Über die Kraft und die Macht der Dinge diskutierte Gröbner im Anschluss an seinen Vortrag mit Bruno Staffelbach, Rektor der Universtiät, und Dr. Simon Kauth, Geschäftsleitungsmitglied der Luzerner Kantonalbank (LUKB). Auch auf der Bank habe die Schönheit Platz, sagt Kauth: «Geld ist ein Speicher für die vielen tausend Ideen, die man verwirklichen könnte.» Was hingegen zunehmend verloren gehe, sei die haptische Schönheit des Geldes. «In einer Welt, in der vieles nur kontaktlos abläuft, entfällt hier etwas.» Dafür hätten bei der LUKB noch immer viele Kundinnen und Kunden ein Schrankfach. «Was dort drin ist, wissen wir nicht. Aber es ist davon auszugehen, dass es Dinge sind, die ihnen besonders am Herzen liegen.» Und weil beim Reden über Dinge immer auch der Traum von der Reduktion aufs Wenige auftaucht, bleibt die Frage: Valentin Groebner, wie handhaben Sie es selber ihren persönlichen Dingen? «Ich miste regelmässig aus», verriet der Historiker. «Das Fünftel, das für mich am kostbarsten ist, behalte ich. Der Rest kann weg.»