Die Schweiz kann kein Vorbild für Grossbritannien sein

Prof. Dr. Joachim Blatter liefert in einem neu erschienenen Sammelband zu den EU-Nichtmitgliedsstaaten eine Reflexion über die Konsequenzen des Bilateralismus für die Demokratie in der Schweiz. Er kommt zum Schluss, dass die EU-Nichtmitgliedschaft der Schweiz mit ihrem traditionellen Demokratieverständnis erklärt werden kann. Sie kann hingegen nicht auf der Basis eines modernen Demokratieverständnisses begründet werden. Die Schweiz kann daher kein Vorbild für Grossbritannien sein.

Vor dem Hintergrund der kommenden Abstimmung in Grossbritannien über den Austritt aus der EU haben die Direktoren des Zentrums für Europäische Studien in Oslo, Erik Eriksen und John Erik Fossum einen Band veröffentlicht, der sich mit den Nichtmitgliedern der EU und den Konsequenzen dieser Nichtmitgliedschaft für die Demokratie beschäftigt. Prof. Dr. Joachim Blatter liefert dazu eine Reflexion über die Konsequenzen des Bilateralismus für die Demokratie in der Schweiz und in Europa. Dabei macht er deutlich, dass die EU-Nichtmitgliedschaft der Schweiz mit ihrem traditionellen Demokratieverständnis erklärt werden kann. In einem Land, in dem die Volkssouveränität über anderen demokratischen Prinzipien steht, erscheint die Mitbestimmung in Brüssel kein adäquater Ersatz für eine Einschränkung der Veto-Möglichkeiten durch das Volk.

In einem zweiten Schritt zeigt Blatter, dass die Nichtmitgliedschaft zwar auf der Basis ihres Demokratieverständnisses erklärt, aber nicht auf der Basis einer modernen Verständnisses von Demokratie begründet werden kann. Denn aus einer Neo-Republikanischen Perspektive sichert die Nichtmitgliedschaft der Schweiz ihr zwar noch relativ weitgehende Souveränität gegenüber der EU, aber zum Preis einer vollständigen Unterwürfigkeit gegenüber den Forderungen internationaler Konzerne und Kapitaleignern. Schlimmer noch, die Schweiz unterminiert die Möglichkeiten der republikanischen Selbstbestimmung der europäischen Völker durch ihre - durch den Status der Nichtmitgliedschaft geschützte - egoistische Wirtschafts- und Steuerpolitik.

Insgesamt kann die Schweiz deswegen kein Vorbild für Grossbritannien sein: Zum einen weil sich das republikanische Demokratieverständnis in der Schweiz fundamental vom liberalen Demokratieverständnis in Grossbritannien unterscheidet; und zum anderen, weil ein nationaler Alleingang in der heutigen Welt weder aus einem liberalen noch auch aus einem republikanischen Verständnis von Demokratie gerechtfertigt werden kann.

Buchkapitel:

Blatter, Joachim: Switzerland. Bilateralism's polarising consequences in a very particular/ist democracy