«Die Schweiz gilt als Hüterin des Völkerrechts»

Der Nahost-Konflikt und der Angriffskrieg in der Ukraine sind Teil einer langen Liste aktueller bewaffneter Konflikte. Im Rahmen der Vortragsreihe «Presidential Lectures» sprach die Schweizer Uno-Botschafterin Pascale Baeriswyl über die Herausforderungen friedensfördernder Diplomatie – und über die Rolle der Schweiz im Uno-Sicherheitsrat.

Ein bis auf den letzten Platz gefüllter Hörsaal unterstrich die Aktualität dieser Ausgabe der «Presidential Lectures». Aufgrund des eskalierenden Nahostkonflikts verschärfte sich die geopolitische Sicherheitslage zuletzt – einmal mehr – drastisch. Es sind Tage, in denen die internationale Diplomatie auf Hochtouren läuft. Vor diesem Hintergrund erhielt das Referat von Botschafterin Pascale Baeriswyl an der Vorlesungsreihe der Universität Luzern am 26. Oktober zusätzliches Gewicht. Die Baslerin ist Chefin der Ständigen Mission der Schweiz bei den Vereinten Nationen in New York. Weil die Schweiz seit Januar 2023 erstmals als eines von zehn gewählten Mitgliedern im Uno-Sicherheitsrat wirkt, befindet sich Baeriswyl direkt am Puls des Geschehens. Umso spannender waren die Einblicke, die sie dem Luzerner Publikum bot.  

Chance und Problem des Sicherheitsrates

Um zu verstehen, wie ihre Arbeit im Uno-Sicherheitsrat funktioniert, blickte Baeriswyl zunächst auf die Geschichte der Vereinten Nationen zurück. Gegründet 1945 in der Folge des Zweiten Weltkrieges, stellte die Uno einen Paradigmenwechsel im Völkerrecht dar. Mit der Uno-Charta wurde Krieg zwischen Staaten verboten. Der Uno-Sicherheitsrat wurde geschaffen, um als Weltgemeinschaft Frieden zu wahren und Sicherheitsrisiken zu deeskalieren. Er setzt sich aus fünf ständigen und zehn nichtständigen Mitgliedern zusammen.

Die Tatsache, dass die fünf ständigen Mitglieder Frankreich, Russland, USA, China sowie Grossbritannien über ein Vetorecht verfügen, sorgt auch aktuell wieder für enorme Hürden, wenn es um diplomatische Lösungsvorschläge geht. Entsprechend viel Kritik wird auch an der Uno selbst ausgeübt. Dem ist sich die Botschafterin nur allzu bewusst: «Als Schweizer ist uns das Vetorecht sowieso fremd. Idealerweise hätten alle Mitglieder der UNO die gleichen Rechte.» Baeriswyl erinnerte aber auch daran, dass die Schaffung des Sicherheitsrats ohne das Zugeständnis des Vetorechts an die fünf Weltmächte gescheitert wäre. «Das Vetorecht wurde jedoch von Beginn an mit einer besonderen Verantwortung für Frieden und Sicherheit verbunden. Daran sollte man die Weltmächte jeden Tag erinnern.», so Baeriswyl.

Viel Arbeit abseits der Kameras

Wie aber kann die «kleine» Schweiz in diesem Sicherheitsrat etwas bewirken? «Wird ihre Stimme dort gehört? Und hilft die Neutralität?», brachte Katja Stauber, SRF-Journalistin und Moderatorin des Anlasses, die Kernfragen auf den Punkt. Eindrücklich zeichnete Botschafterin Baeriswyl auf, wie der Ratsbetrieb in der Praxis aussieht – und wie es in dem Gremium, abseits der Kameras, durchaus auch laut und unverblümt zu und her gehen kann.

Baeriswyl lieferte aber auch einen Eindruck davon, mit welchem Aufwand sich die Schweiz insbesondere für den Schutz des Völkerrechts einsetzt. «Unser Ansatz beruht auf den Prinzipien der Universalität, der Solidarität und des Vertrauens.» Baeriswyl bestätigte, dass die Schweiz von den anderen Ratsmitgliedern immer noch als eine «Hüterin des humanitären Völkerrechts» angesehen und respektiert werde. Als solche habe das Land entscheidende Beiträge geleistet, wenn es beispielsweise um die Formulierungen von Resolutionen geht. «Das ist wichtige Detailarbeit, die für eine friedensfördernde Diplomatie jedoch entscheidend ist.» Auch mit Blick auf den eskalierenden Nahostkonflikt fokussiere die Schweiz ihr Engagement auf die Achtung und Wahrung des Völkerrechts.

Eine neue Agenda für den Frieden

Die Schweiz ist noch bis Ende 2024 Mitglied des Sicherheitsrates. Für diese Zeit hat sich der Bundesrat vier thematische Prioritäten definiert: nachhaltigen Frieden fördern, Zivilbevölkerung schützen, Klimasicherheit angehen und Effizienz stärken. Letzteres beinhaltet auch die kürzlich vom Uno-Generalsekretär vorgestellte «Neue Agenda für den Frieden». Diese fordert unter anderem mehr Rechenschaftspflicht der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates für den Gebrauch des Vetos. «Wir versuchen diesen Ansatz weiterzutragen und zu fördern», erklärte Baeriswyl. «Dazu braucht es von allen Beteiligten Vertrauen, Leadership und Kompromissbereitschaft. Leider fehlt es den Weltmächten aktuell besonders an Letzterem.»

Austausch mit Kantischülerinnen und -schülern

Vor dem offiziellen Teil blieb Zeit für die jüngsten unter den im Hörsaal Anwesenden. Im Rahmen eines Meet & Greets konnten sich Kantischülerinnen und -schüler mit der Botschafterin über die Uno und die Mitwirkung der Schweiz austauschen. Diese nutzten die Gelegenheit mit vielen Wortmeldungen und Fragen.

Nächste Ausgabe im Dezember

Die nächste Ausgabe der «Presidential Lectures» findet am 6. Dezember statt: Christian Wulff, früherer Präsident der Bundesrepublik Deutschland (2010–2012), referiert zum Thema «Gemeinsam dem Wandel begegnen»  (Details und Anmeldung).

Impressionen

Die Referentin

Pascale Baeriswyl ist Schweizer Diplomatin. Von 2016 bis 2019 war sie Staatssekretärin im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA). 2019 wurde sie vom Bundesrat zur neuen Chefin der Ständigen Mission der Schweiz bei den Vereinten Nationen in New York ernannt.

Sie studierte Rechtswissenschaften (mit Schwerpunkt Europarecht) sowie Geschichte, französische Literatur und Linguistik an den Universitäten Basel und Genf. Als Rechtsberaterin für den Schweizerischen Nationalfonds wechselte sie später in das EDA und begann dort eine diplomatische Laufbahn, die sie an die Vertretungen der Schweiz in Hanoi, Brüssel und den Vereinten Nationen in New York führte.