Studie zur Diskriminierung bei Schweizer Wahlen

Wie politikwissenschaftliche Forschung zeigt, werden die Wahlchancen von Kandidierenden mit ausländisch klingenden Namen in zweifacher Hinsicht geschmälert. Parteien haben aber die Möglichkeit, solchen Effekten entgegenzuwirken.

stilisierte Darstellung einer Wahlurne, im Hintergrund verschwommen die Schweizer Fahne mit weissem Kreuz auf rotem Grund
(Symbolbild; ©istock.com/grebeshkovmaxim)

Personen mit einem Migrationshintergrund machen nicht nur einen zentralen Bestandteil der Schweizer Bevölkerung aus, viele von ihnen haben in der Zwischenzeit auch umfassende politische Rechte erlangt. Allerdings sind sie in den Schweizer Parlamenten, über föderale Ebenen hinweg, stark untervertreten. Lässt sich diese Unterrepräsentation auf eine Diskriminierung durch die Wählerinnen und Wähler zurückführen? Mit dieser Frage befassen sich in einer kürzlich veröffentlichten Studie (siehe unten) Prof. Dr. Nenad Stojanović, vormaliger Ambizione-Stipendiat an der Universität Luzern und inzwischen SNF-Förderprofessor an der Universität Genf, und Dr. des. Lea Portmann, Forschungsmitarbeiterin am Politikwissenschaftlichen Seminar der Universität Luzern. 

Erstmals Zugang zu Rohdaten

Der Autor und die Autorin machten sich zur Messung der Diskriminierung das Schweizer Wahlsystem zunutze. Für die Studie haben sie umfangreiche Daten erhoben, die auf mehr als 600'000 veränderten Wahlzetteln der Nationalratswahlen 2015 basieren. Als erstes Forschungsteam haben sie zur Erstellung des Datensatzes Zugang zu den Rohdaten aus der Wahlsoftware der Kantone und Gemeinden erhalten. Der Datensatz beinhaltet detaillierte Angaben dazu, wie oft eine Kandidatin oder ein Kandidat von den Parteilisten gestrichen oder zusätzlich hinzugefügt (kumuliert oder panaschiert) wurde. Auf der Grundlage eines Online-Lexikons, das alle in Schweizer Gemeinden registrierte Familiennamen erfasst, unterschieden sie zwischen Kandidierenden mit einem «schweizerischen» Namen und jenen, die keinen typischen Schweizer Namen tragen. Erstere erscheinen im Lexikon vor 1940, während letztere in oder nach 1940 registriert worden sind und, zumindest in der Wahrnehmung der Wählerinnen und Wähler, auf einen Migrationshintergrund hindeuten dürften. Ähnlich sind die beiden Forschenden bereits bei ihrer Studie zur Diskriminierung bei den Zürcher Gemeinderatswahlen 2014 vorgegangen.

Doppelte Benachteiligung

Basierend auf diesen Daten zeigt die Studie, dass die Wahlchancen von Kandidierenden mit keinem typischen Schweizer Namen auf zweifache Weise beschnitten werden. Einerseits, weil diese Kandidierenden öfters von den Parteilisten gestrichen werden als solche mit typisch schweizerischen Namen. Dieser Befund deutet auf eine Benachteiligung und Abwertung von Kandidatinnen und Kandidaten mit einem Migrationshintergrund («Outgroup Hostility») hin und ist verstärkt bei Wählenden rechter Parteien zu beobachten. Andererseits diskriminieren Wählerinnen und Wähler zugunsten von Kandidierenden mit schweizerischen Namen, indem sie diesen öfters Stimmen durch Kumulieren oder Panaschieren zuweisen. Die Wählenden präferieren diese Kandidatinnen und Kandidaten und verschaffen ihnen einen Vorteil, welchen sie jenen mit einem Migrationshintergrund nicht zugestehen. Diese Form der Diskriminierung («Ingroup Favoritism») ist von rechts bis in die Mitte des politischen Spektrums erkennbar. 

Obwohl die Benachteiligung aufgrund dieser beiden Formen von Diskriminierung zwar statistisch nachweisbar ist und für den Wahlerfolg ausschlaggebend sein kann, spielt der Listenplatz einer Kandidatin oder eines Kandidaten eine entscheidendere Rolle. Das gibt auch den Parteien Spielraum, die Wahldiskriminierungen zu begrenzen, indem Sie Kandidierenden mit einem Migrationshintergrund aussichtsreichere Listenplätze zugestehen.

Teil einer kumulativen Doktorarbeit

Die Studie entstand im Rahmen eines «Ambizione»-Projekts des Schweizerischen Nationalfonds, das Nenad Stojanović und Projektmitarbeiterin Lea Portmann von 2015 bis 2018 an der Universität Luzern durchgeführt hatten (siehe dazu auch den früheren Artikel im Uni-Magazin). Der daraus hervorgegangene aktuelle Aufsatz «Are Immigrant-Origin Candidates Penalized due to Ingroup Favoritism or Outgroup Hostility?» (Open Access) ist einer von vier Teilen von Portmanns kumulativer, von Prof. Dr. Alexander Trechsel betreuten Dissertation mit dem Gesamttitel «A Level Playing Field? Unpacking Electoral Discrimination against Immigrant-Origin Candidates», die sie im März 2020 erfolgreich verteidigt hat. Neben dem aktuellen Aufsatz sind bislang derjenige zu den Zürcher Gemeinderatswahlen 2014 (siehe Link oben) und einer zur Rolle von positiven Stereotypen bei Wahlen erschienen; der vierte und letzte befindet sich noch im Review-Verfahren.