Vanessa Furrer (30) wirkt im Katholischen Kirchenzentrum Paulus Birrfeld in Birr-Lupfig (AG). Bei aller Planung ihrer Arbeitstage: Wenn jemand ein offenes Ohr und seelsorgerischen Rat braucht, hat das für sie oberste Priorität.
Vanessa Furrer, 2018 haben Sie an der Universität Luzern Theologie mit dem Master abgeschlossen. Warum hatten Sie sich für dieses Studium entschieden?
Vanessa Furrer: Sicher war meine Familie prägend, die mich ganz natürlich in den christlichen Glauben einführte, ohne jemals Druck auszuüben. In der Pfarrei gab es tolle Menschen, bei denen ich mich wohl und verstanden fühlte. So wurde ich Ministrantin – es führte eines zum anderen und ich wuchs immer mehr ins Pfarreileben hinein. Hier kam es zu zwei Schlüsselmomenten: zum einen beim Plaudern nach einem Sonntagsgottesdienst mit dem Priester, der meinte, dass das Theologiestudium vielleicht etwas für mich sein könnte. Zum anderen bei einem Einführungskurs für Ministrantinnen und Ministranten. Da wurde mir bewusst, wie viel Freude mir diese Aufgabe macht und dass die Kirche durchaus auch Kindern und jungen Menschen einiges zu bieten hat.
Weshalb fiel Ihre Wahl auf Luzern als Studienort?
Vor allem aus Bequemlichkeit: Ich habe mein ganzes Leben im Aargau verbracht und wollte nicht woanders hinziehen. Ebenso hatte ich damals eine Stelle als Aushilfe bei der Migros, die ich nicht aufgeben wollte. Für mich war es – keineswegs nur wegen der Nähe zum Bahnhof – der perfekte Studienort. Der persönliche Austausch unter den Studis sowie mit den Assistierenden und den Profs hat mir entsprochen und mein Lernen sehr viel angenehmer gemacht. Auch gefällt mir die Stadt unglaublich gut. Die Nähe zum See und zu den Bergen gibt eine Atmosphäre, die einzigartig ist. Schön ist auch die Möglichkeit, nach einem langen Studientag im See schwimmen zu gehen oder mit Freunden und Grillieren den Abend ausklingen zu lassen.
War für Sie schon zu Beginn des Studiums klar, dass Sie in den kirchlichen Dienst eintreten möchten?
Ja, auch machte ich mir gar keine Gedanken darüber, dass es theoretisch auch andere berufliche Möglichkeiten gibt, die mir nach dem Abschluss offenstehen. Um sicherzugehen, dass mich das Arbeiten in der Kirche auch effektiv persönlich ausfüllt, absolvierte ich nach der Matura während eines Zwischenjahrs ein siebenmonatiges Praktikum in zwei Pfarreien.
Es sind für mich die wertvollsten Momente, wenn ich spüre, jetzt braucht ein Mensch ein offenes Ohr und die Zuversicht, die sich im Glauben finden lassen kann.
Was für einen Tagesablauf haben Sie, und was machen Sie am liebsten?
Jeder Tag ist anders. Manchmal beginnt er um 5.30 Uhr, etwa an Ostern oder bei Roratefeiern im Advent, und manchmal geht er bis Mitternacht, wenn man sich mit Freiwilligen trifft. Dies ist zwar in Bezug auf die Work-Life-Balance herausfordernd, macht den Job aber für mich so wertvoll. Natürlich gewöhnt man sich seine Strategien an: So mache ich mir immer einen Plan, wann ich was erledigen möchte. Aber trotz aller Planung kann jederzeit jemand mit einem Anliegen ins Büro kommen, und dann hat das Gespräch Vorrang. Zuallererst bin ich Seelsorgerin und für die Menschen in meinem Gebiet da – das ist das, was ich an meinem Beruf liebe. Es sind für mich die wertvollsten Momente, wenn ich spüre, jetzt braucht ein Mensch ein offenes Ohr und die Zuversicht, die sich im Glauben finden lassen kann.
Ich habe mit Menschen jeden Alters zu tun: mit den ganz Kleinen in den Kleinkinderfeiern, dann mit den Grösseren im Religionsunterricht. Die Erwachsenen treffe ich an Elternabenden oder bei den unterschiedlichen Anlässen und Festen, und die Seniorinnen und Senioren haben ebenfalls ein eigenes Programm. Praktisch von der Geburt bis zur Beerdigung, in Freud und Leid, stehe ich mit den Menschen in Kontakt.
Und wie ist es als Frau in der katholischen Kirche?
Ich denke nicht viel anders, als es als Mann ist. Bisher habe ich nicht erlebt, dass jemand Probleme damit hätte. Das kann aber auch daran liegen, dass unser Seelsorgeteam aktuell aus fünf Theologinnen und einem Priester besteht. Da ist es ganz normal,
wenn am Wochenende eine Frau am Altar steht. Natürlich werde ich oft gefragt, ob ich mich nicht diskriminiert fühle, weil mir die Möglichkeit des Priesteramts verwehrt ist. Für mich persönlich gilt das nicht. Ich fühle mich sehr wohl, und selbst wenn ich die Möglichkeit hätte, mich zur Priesterin weihen zu lassen, bin ich mir nicht sicher, ob ich dies auch machen würde. Es ist eine Frage der Berufung. Als Seelsorgerin in der Schweiz habe ich unglaublich viele Möglichkeiten: Ich kann Gottesdienste feiern, Menschen durch ihr Leben begleiten und sogar eine Gemeinde leiten. Das erfüllt mich voll und ganz. Trotzdem finde ich es wichtig, dass es Menschen gibt, die an dem Thema dranbleiben.
Welchen Tipp haben Sie für die jetzigen Studierenden?
Geniesst das Studienleben! Nehmt euch Zeit, geht auf Reisen und kostet das Leben aus. Lernt, was geht, aber macht euch nicht verrückt, wenn nicht alles im Gedächtnis bleibt. Im späteren Arbeitsalltag geht das Lernen weiter, aber die Zeit für grössere Reisen und spontane verrückte Aktionen wird immer weniger.
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Felix Hunger
Co-Sektionsvorsteher Theologie der ALUMNI Organisation (zusammen mit der interviewten Vanessa Furrer). Er ist im Kanton Zürich als Pfarradministrator und als freiberuflicher Coach und Organisationsberater tätig.