Zur Religion hingezogen hat es Adrian Bolzern (38) schon früh. Den Entscheid, Priester und daraufhin Seelsorger der Zirkusleute, Schaustellenden und Markthändler zu werden, traf er dennoch sehr überlegt – und hat diesen bis jetzt keinen Moment bereut.
Adrian Bolzern, warum sind Sie Priester geworden?
Adrian Bolzern: Mein Vater war ebenfalls Theologe und arbeitete als Diakon, weshalb ich in einem Pfarrhaus aufgewachsen bin und der Glaube sowie die Kirche immer zu meinem Leben gehörte. Nach meiner Lehre als Gärtner habe ich mich dazu entschlossen, ans Katechetische Institut Luzern (KIL), das heutige Religionspädagogische Institut (RPI), zu gehen und Religionspädagoge zu werden. Ich war danach einige Jahre als kirchlicher Jugendarbeiter tätig. Während dieser Zeit reifte in mir der Gedanke, Priester zu werden. Also entschloss ich mich, wieder an die Universität Luzern zurückzukehren, und studierte dort von 2008 bis 2010 «Theologie auf dem dritten Bildungsweg». Priester zu werden, war für mich ein langer Prozess. Ich wusste, dass ich ein Talent im Umgang mit Menschen hatte, und wollte mich in den Dienst der Kirche und Gottes stellen, aber leichtfertig entscheidet sich niemand für einen solchen Schritt.
Wie wurden Sie Zirkus- und Schaustellendenpfarrer?
Nach meinem Theologiestudium absolvierte ich die Berufseinführung in Berikon AG und arbeitete dort nach meinem Nachdiplomstudium als Vikar weiter. Den damaligen Zirkuspfarrer Ernst Heller kannte ich bereits gut, da mein Vater mit ihm studiert hatte. Es war für mich eine grosse Ehre, dass Ernst Heller ausgerechnet mich anfragte und meinte, er könne mich sehr gut als seinen Nachfolger vorstellen. Der Beruf des Zirkuspfarrers faszinierte mich schon immer, so sagte ich Ernst Heller unter der Bedingung zu, dass mein Bischof damit einverstanden ist. Dieser erlaubte es mir, und so wurde ich zu einem kleinen Pensum – zuerst 30, mittlerweile 50 Prozent, daneben bin ich in der Pfarrei Peter und Paul in Aarau angestellt – Seelsorger der Zirkusangehörigen und Schaustellenden sowie Markthändlerinnen und -händler in der Deutschschweiz und im Europapark Rust. Das klingt jetzt gerade so, als wäre es ein spontaner Entscheid gewesen, in Wirklichkeit jedoch hatte ich mir viel Zeit für die Entscheidungsfindung gelassen.
Was gefällt Ihnen an dieser Tätigkeit?
Die Begegnungen mit den Menschen, die ein ganz anderes Leben führen als ich und wohl als die meisten Leute in der Schweiz, ist mit das Schönste an meiner Tätigkeit. Einige der Schaustellenden oder Zirkusleute dachten sich wohl: «Was will jetzt der hier?» Aber die meisten hatten Freude, dass sich jemand für sie interessiert. Ihr Business ist schwierig geworden. Viele wollen bei mir ihre Sorgen und Nöte abladen. Für all diese Menschen da zu sein, ist wohl der Hauptgrund, warum ich so gerne als Zirkus- und Schaustellendenpfarrer tätig bin. Gottesdienste im Zirkuszelt oder eine Segnung des neuen Magenbrot-Stands eröffnen Möglichkeiten, die man in einer Kirche nicht hat. Die Gestaltung ist an solchen Orten automatisch freier. Eine Taufe im Europapark ist ebenfalls etwas Spezielles. Viele wissen nicht, dass es dort eine kleine Kirche gibt, die auch tatsächlich als solche genutzt wird. Ich dränge mich nicht auf, werde aber immer wieder für verschiedene Feiern angefragt. Beerdigungen von Zirkusleuten sind speziell: Zur Zeremonie gehört es, den Verstorbenen einen letzten Applaus zu spenden. Auch dies ist ein Moment, der mir besonders gut gefällt.
Was können Sie aus der Ausbildung an der Universität im Berufsalltag anwenden?
Für die Predigtvorbereitung greife ich auf meine Kenntnisse der Exegese zurück, die ich mir während meines Theologiestudiums aneignen konnte. Im KIL hatten wir Übungsklassen. Davon profitiere ich heute noch. Grundsätzlich würde ich aber sagen, dass gerade Trauerbegleitung und andere schwierige Situationen nicht theoretisch gelernt werden können. Hier gilt «learning by doing».
Würden Sie das Studium in Luzern weiterempfehlen?
Ja, ich würde immer wieder in Luzern studieren und kann dies allen empfehlen. Die Universität ist sehr familiär und gerade in der Theologischen Fakultät kennt man die Dozierenden persönlich. Die Stadt Luzern ist wunderschön. Oft bin ich nach den Vorlesungen an den See gesessen und habe ein Buch gelesen oder mit Mitstudierenden einen schönen Abend verbracht. Die Universität Luzern hatte früher einen treffenden Werbespruch: «Studieren, wo andere Ferien machen». Ich habe mich neben dem Studium immer auch ein bisschen wie im Urlaub gefühlt, weil die Stadt so einzigartig schön ist. Schade, dass dieser Slogan nicht mehr verwendet wird.
Schlusswort?
Ich habe keinen Moment bedauert, dass ich das KIL besucht und «Theologie auf dem Dritten Bildungsweg» absolviert habe. Der Beruf als Seelsorger ist sehr vielfältig. Gefährlich wird es, wenn man zu viele Termine vereinbart und nicht Nein sagen kann. Ich hatte in den letzten fünf Jahren 72 Hochzeiten. Das ist einerseits schön, weil so viele Hochzeitspaare mir ihr Vertrauen schenken, andererseits muss ich schauen, dass nicht zu viele Wochenenden verplant sind und ich noch Zeit zum Abschalten finde.
Sandra Ruppli
Co-Sektionsvorsteherin Theologie der ALUMNI Organisation der Universität Luzern, arbeitet als Jugend- und Familienseelsorgerin in der Katholischen Pfarrei Zufikon AG