Sara Rubinelli, ausserordentliche Professorin für Gesund­heits­kom­munikation, antwortet.

(Bild: Silvan Bucher)

Aus Sicht der Gesundheitskommunikation ist die sogenannte «Infodemie» eine der grössten Herausforderungen der heutigen Gesellschaft. Eine Infodemie bedeutet ein Übermass an Informationen, zu denen auch Desinformation gehört, das heisst die Verbreitung falscher oder irreführender Informationen.

Falschinformationen können die von den Behörden angeordneten Massnahmen untergraben. Deren Wirkung wird somit geschwächt, was schädlich für die physische und psychische Gesundheit der Bevölkerung sein kann. Falschinformationen können ausserdem die Gesellschaft spalten und Hassreden fördern; dadurch werden Menschenrechte und der soziale Zusammenhalt bedroht.

Gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) habe ich im September 2021 einen «Referenzrahmen» veröffentlicht, der Gesundheitsorganisationen bei der Entwicklung von Kompetenzen für den angemessenen Umgang mit der Infodemie helfen soll. Das Dokument benennt die Kompetenzen, die erforderlich sind, um falsche oder irreführende Informationen zu erkennen und eine wirksame Kommunikation zu gestalten, indem beispielsweise analysiert wird, was die Menschen denken, fühlen und was sie fürchten.

Es ist entscheidend zu erkennen, was die Menschen denken und fühlen, um ihnen die Informationen zu geben, die sie brauchen. Andernfalls werden sie sich woanders umsehen. Leider können gerade minderwertige Informationen sehr oft überzeugend sein.

Wichtig ist, dass Institutionen den Menschen helfen zu verstehen, wie Wissenschaft funktioniert. Wissenschaft ist technisches, spezialisiertes und sehr komplexes Wissen. In der Schule lernen wir die verschiedenen wissenschaftlichen Entdeckungen kennen, aber wie die Wissenschaft zu ihren Schlussfolgerungen kommt, wird nur am Rande behandelt. Die Pandemie hat die Menschen mit den Ergebnissen wissenschaftlicher Studien konfrontiert, mit Behauptungen ohne Beweise, mit unterschiedlichen und widersprüchlichen Standpunkten. Diese Informationen zu bewerten, ist für Personen, die nicht beruflich in der Forschung tätig sind, sehr schwierig. Wir müssen über den Wert und die Grenzen der Wissenschaft nachdenken. Wissenschaftliche Entdeckungen brauchen Zeit, Studien und finanzielle Mittel. Es liegt in der Natur des wissenschaftlichen Fortschritts, dass allgemeingültige Ergebnisse dadurch erzielt werden, dass man den Wahrheitsgehalt von Hypothesen prüft und diejenigen verwirft, die nicht durch Daten belegt sind. Echte Wissenschaft bietet keine sofortigen Lösungen. Sie erfordert eine eingehende Analyse von repräsentativen Stichproben; dies gilt für quantitative und qualitative Studien gleichermassen.

In meinem Team analysieren wir derzeit die Ergebnisse eines vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten Projekts zur Unterstützung der institutionellen Kommunikation in der Schweiz. Ziel ist es zu untersuchen, was und wie während des Ausbruchs von COVID-19 von Schweizer Behörden kommuniziert, wie in den Medien darüber berichtet und wie dies von der Öffentlichkeit aufgenommen wurde. Die Ergebnisse dienen zur Entwicklung von Leitlinien für die institutionelle Kommunikation von Informationen bei gesundheitlichen Krisen.

Es handelt sich um die Beantwortung der im Rahmen des Jahresberichts 2021 der Universität Luzern gestellten Frage.

Früheres Interview im Magazin mit Professorin Rubinelli

Foto Sara Rubinelli

Sara Rubinelli

ausserordentliche Professorin für Gesundheitskommunikation
unilu.ch/sara-rubinelli