Wolfram Lutterer leitet den Standort der Zentral- und Hochschulbibliothek im Uni/PH-Gebäude. Im Gespräch mit dem 55-Jährigen wird schnell klar: Die Bibliothek ist heute viel mehr als ein blosser Bücherverleih.
In Bibliotheken dreht sich alles um Wörter. Grund genug, diesen Beitrag mit einigen Zahlen zu beginnen: Der gesamte Bestand der Zentral- und Hochschulbibliothek (ZHB) Luzern umfasst rund 1,44 Millionen Bücher. Zudem stehen den Nutzenden an insgesamt vier (respektive ab dem kommenden Oktober sogar an acht) Standorten rund 3000 Zeitschriften-Abos, 340'000 E-Books, 245'000 E-Journals und gegen 700 Datenbanken zur Verfügung. Oder kurz: Die ZHB bietet mehr als genug Lesestoff. Das gilt natürlich auch für den öffentlich zugänglichen Standort im ersten Stock des Uni/PH-Gebäudes. Allein hier warten auf 5500 Quadratmetern rund 300'000 gedruckte Medien auf Leserschaft.
Fast immer Hochbetrieb
Keine Frage: Die Bibliothek war und ist ein zentrales, ja unverzichtbares Element beim Forschen und Studieren, stellen doch Zeitschriften und Bücher gewissermassen die «Früchte» des Forschens dar. Das belegen auch die Nutzungszahlen. Pro Tag besuchen im Schnitt über 1330 Personen physisch die Bibliothek. Überaus beliebt ist sie jeweils vor und während den Prüfungsphasen. Während besonders intensiven Zeiten brennt hier bis spätabends und sogar sonntags das Licht. «Manche lernen lieber zuhause, andere schätzen die Vorzüge einer sozialen Institution», sagt Wolfram Lutterer. Der 55-Jährige leitet den ZHB-Standort im Uni/PH-Gebäude und kennt die Bibliothek wie kein Zweiter. Der Job in der Bibliothek ist ihm auch nach über zwanzig Jahren nicht verleidet. «Es ist eine spannende, immer wieder inspirierende Tätigkeit.» Zu Lutterers Team gehören rund 50 Mitarbeitende; etliche davon sind in Klein- und Kleinstpensen tätig. Sie nehmen Bestellungen auf, überprüfen das Angebot und sorgen für eine angenehme Lern- und Arbeitsatmosphäre.
Geboren und aufgewachsen ist Lutterer im Grossraum von Freiburg im Breisgau (D). Schon als Junge verbrachte er seine Zeit gerne zwischen Bücherregalen. Zu Beginn verschlang er Jugendbücher, später kamen Science-Fiction-Romane hinzu. Und natürlich war das Lesen auch in seinem Studium der Soziologie, Philosophie und Erziehungswissenschaften omnipräsent. Obwohl Wolfram Lutterer heute beruflich hauptsächlich E-Mails und Protokolle liest, wie er schmunzelnd festhält, hat er seine Leidenschaft für die Bücher nicht verloren. «Privat lese ich noch immer sehr viel.» Es versteht sich von selbst, dass er sich auch in seiner Wohnung im Hirtenhofquartier eine kleine, aber feine Bibliothek eingerichtet hat. Von E-Readern hält er hingegen wenig: «Ich mag das Gefühl, ein Buch in der Hand zu halten, Seiten umzublättern, das Papier zu spüren.»
Digitale Medien als Ergänzung
Trotz Lutterers Affinität zum gedruckten Wort spielen natürlich auch die digitalen Angebote in der Bibliothek eine wichtige Rolle. «Es gab Zeiten, in denen man glaubte, die elektronischen Medien würden die gedruckten Publikationen ablösen.» Heute weiss man: ein Irrtum. «Die digitalen Bücher ersetzen die klassischen Medien nicht, sie ergänzen sie», sagt Lutterer. Wer schnelle Informationen oder Daten braucht, freue sich über elektronische Medien. «Wer sich jedoch tiefer mit einer Materie auseinandersetzen möchte, greift weiterhin lieber zum gedruckten Exemplar», weiss der Standortleiter.
«Die Welt ist heute komplexer als vor zwanzig Jahren – das zeigt sich auch in der Wissenschaft.»
So gerne Wolfram Lutterer selber liest, so sehr legt er Wert darauf zu betonen, dass die Bibliothek längst nicht nur mit «Bücherlesen» gleichgesetzt werden kann. «Die Bibliothek hat noch viel mehr zu bieten.» Dies habe auch mit der sich wandelnden Gesellschaft zu tun. «Die Welt ist heute komplexer als vor zwanzig Jahren – das zeigt sich auch in der Wissenschaft.» Nicht zuletzt deshalb unterstützt die ZHB Promovierende, Forschende und Lehrende der Uni beim Publizieren in den Bereichen «Open Science» und «Open Access». «Die Welt der Wissenschaft ist eine Welt des geteilten Wissens. Diese Überzeugung unterstützen wir aktiv», betont Lutterer. Konkret bedeutet dies, dass die Uni-Bibliothek Autorinnen und Autoren mit Bezug zu Luzern die Plattform «LORY» bietet, um ihre Werke frei zugänglich zu publizieren. Ausserdem bemüht sich die ZHB darum, ihre Bestände so offen wie möglich anzubieten.
Diskussionen wegen «Fake News»
Ein Dauerbrenner in jeder Hochschulbibliothek ist natürlich die Auswahl der Publikationen. Während die klassische Buchhandlung ihre Werke nach Verkaufspotenzial auswählt, entscheiden in der Hochschulbibliothek primär Qualitätskriterien. «Die Auswahl der wissenschaftlichen Literatur ist stets mit Herausforderungen verbunden», betont Lutterer. Erstens ist der Platz begrenzt, und zweitens muss das Budget eingehalten werden. Geht es um die Auswahl von neuen Medien, liegt die Verantwortung bei den Fachreferentinnen und -referenten. Diese prüfen die Angebote auf die Qualität und beschäftigen sich immerzu mit der Frage, welche Werke für Forschung, die Lehre und die Studierenden heute und in Zukunft relevant sind. Jährlich kommen auf diese Weise rund 10'000 bis 15'000 neue Medien dazu – und genauso viele Werke müssen auch wieder ins Speichermagazin. Dieses liegt in Büron bei Sursee und beheimatet fast 3 Millionen Bücher, Zeitschriften, Dissertationen und anderes Schriftgut aus fünf verschiedenen Kantons- und Hochschulbibliotheken.
Es erstaunt nicht, dass die Auswahl der Bücher immer wieder zu Diskussionen im Team führt. Ein Beispiel hierfür sind Medien, die zweifelhafte Informationen verbreiten. «Fake News gibt es nicht erst seit Donald Trump oder Corona, doch das Thema hat in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen», erklärt Lutterer. Und er ergänzt: «Wir beschäftigen uns ständig mit der Frage, wie wir mit Büchern und Medien umgehen sollen, in denen Unwahrheiten verbreitet werden.» Dies könne auch mal zu Diskussionen führen. Entscheidend sei, dass Medien mit extremistischen Inhalten thematisch entsprechend eingeordnet würden.
Bleibt die Frage, was für Wolfram Lutterer – nebst dem Medienangebot – eine gute Bibliothek auszeichnet? «Das Wichtigste ist, dass man sich als Besucher, als Besucherin wohl fühlt.» Natürlich schaut auch er sich gerne Bibliotheken an, die mit einer spektakulären Architektur punkten. «Am Ende ist es aber viel entscheidender, dass die Bibliothek über gute Arbeitsplätze und eine zeitgemässe Infrastruktur verfügt – und idealerweise noch über eine gemütliche Cafeteria um die Ecke.» Zudem sei es in der idealen Bibliothek nicht zu laut, aber auch nicht zu leise. Ein gewisses Grundrauschen dürfe durchaus vorhanden sein. «Wenn man gefühlt jeden Atemzug hört, stört das.» Übrigens: Verbotsschilder oder Hinweise zum Geräuschpegel braucht es in der ZHB nur selten. Wolfram Lutterer betont: «Die studentische Selbstkontrolle funktioniert sehr gut.»