Michèle Bucher (39) ist Stadtschreiberin von Luzern – die erste nach 400 Jahren. Der Jus-Masterabsolventin gefällt an ihrem Job, dass sich Leidenschaft und Wissenschaft gegenseitig bedingen und ergänzen. Studierenden rät sie, vielfältig interessiert zu sein.
Michèle Bucher, was macht eine Stadtschreiberin?
Michèle Bucher: Meine Arbeit gliedert sich in vier Teile. Ich arbeite eng mit dem Parlament zusammen; die Stadtkanzlei ist die Stabstelle des Grossen Stadtrates. Wir organisieren seine Sitzungen, sind verantwortlich für das Funktionieren der Kommissionen und bieten der Präsidentin, dem Präsidenten Führungsunterstützung. Ein weiterer Teil ist die Zusammenarbeit mit der Exekutive. Ich nehme an allen Stadtratsitzungen teil und bin verantwortlich dafür, dass Beschlüsse juristisch korrekt gefasst, formell richtig aufbereitet und an die richtigen Stellen weitergeleitet werden. Ein drittes Feld ist die Arbeit innerhalb der Stadtverwaltung. Die Stadtkanzlei ist quasi das Generalsekretariat der Stadt. Der letzte Teil ist die Arbeit in der Stadtkanzlei selbst. Die Kanzlei mit ihren rund 45 Mitarbeitenden umfasst etwa die Kommunikation und das Stadtarchiv.
Inwiefern hat sich die Arbeit im Laufe der Zeit gewandelt?
Heute wird viel mehr in Projekten gearbeitet. Ich beschäftige mich mit der Gemeindestrategie und dem Legislaturprogramm genauso wie mit Projekten zur Digitalisierung und Transformation von Verwaltung und Stadt. Ich kann also an wichtigen Themen mitarbeiten und Veränderungen mitgestalten.
Sie sind die erste weibliche Stadtschreiberin der Stadt Luzern ...
Nach 400 Jahren in die Fussstapfen Renward Cysats zu treten, ist schon etwas Spezielles. Es ist wichtig, dass erkannt wird, dass es ganz viele Positionen und Ämter gibt, die noch nie von Frauen besetzt waren. Die Schlagzeile, jemand sei «die erste Stadtschreiberin», wird es nie wieder geben – und das ist gut so.
Neben dem klassischen juristischen Handwerk habe ich auch gelernt, die Zeit effizient zu nutzen.
Was hat Ihnen aus dem Studium am meisten genützt auf Ihrem Karriereweg?
Ich kann mich schnell und strukturiert mit Themen und komplexen Fragestellungen und Texten auseinandersetzen – und das über alle Fachrichtungen hinweg. Neben dem klassischen juristischen Handwerk habe ich auch gelernt, die Zeit effizient zu nutzen. Das hat vielleicht weniger mit dem Studium als damit zu tun, dass ich während des Studiums Mutter geworden bin.
Wie haben Sie es geschafft, dies alles miteinander zu vereinbaren?
Ich habe immer auch gearbeitet: So eine Familie muss ja auch ernährt sein! Ich hatte das Privileg, die beiden Kinder in der Campus-Kita betreuen lassen zu können. Natürlich hat sich die Studiendauer wegen den Verpflichtungen etwas verlängert. Ich habe Teilzeit studiert, dafür kann ich jetzt Vollzeit arbeiten. Das finde ich toll!
Was ist die grösste Herausforderung für Sie als Stadtschreiberin?
Ich muss und will allen Ansprüchen gerecht werden. Es ist anspruchsvoll, den Bedürfnissen der Legislative, der Exekutive, der Verwaltung und der Öffentlichkeit gleichzeitig Rechnung zu tragen – zumal sich diese teilweise auch widersprechen. Aber ich liebe die Herausforderung!
Wie haben Sie Ihr Studium in Erinnerung? Was hat Ihnen besonders gut gefallen? Gab es gegebenenfalls auch weniger positive Dinge, bei denen Ihres Erachtens Verbesserungspotenzial besteht?
Wir studierten an unterschiedlichsten Standorten, in Hotel- und Kinosälen, die zu Hörsälen umfunktioniert worden waren. Das war okay. Rückblickend indes vermisse ich das Campus-Feeling, das andere Hochschulen und Universitäten bieten können. Der Austausch mit anderen Studentinnen und Studenten, aber auch mit dem Mittelbau kam zu kurz. Auf der anderen Seite: Die sehr überschaubare Grösse der damaligen Universität und der Elan, den die Professoren und Professorinnen der Rechtswissenschaftlichen Fakultät versprühten, war grandios. Eine tolle Aufbruchstimmung, man hatte das Gefühl, Teil von etwas Grossem zu sein. Als Studentin hatte ich einen sehr direkten Zugang zur Professorenschaft. Das ist ein Luxus.
Gab es einen bestimmten Grund für den Entscheid, an der Universität Luzern zu studieren? War für Sie die Studienrichtung sofort klar oder wie kamen Sie dahin?
Ich dachte, Jus sei eine solide Grundbildung. Eine gute Basis für ein weiteres Studium. Auf ein weiteres Studium – ich träumte und träume von einem Architekturstudium – habe ich genauso verzichtet wie auf das Doktorieren. Das bedauere ich heute manchmal. Denn etwas Schöneres, als zu studieren, gibt es kaum. Studieren ist ein Privileg. Trotzdem bin ich froh, dass ich meinen Traumberuf gefunden habe. Ich habe in Luzern studiert, weil ich zu Beginn des Studiums Leistungssport betrieben habe. Ich habe in Luzern gewohnt und in Zug Handball gespielt. Da kam mir der Universitätsstandort Luzern gelegen.
Welchen Rat geben Sie Studierenden auf den Weg?
Seid leidenschaftlich, liebt die Passion! Richtet den Fokus auf das Studium, aber verliert das Interesse an anderem nicht. Egal, was es ist – Sport, Musik oder sonst etwas –, geniesst den Ausgleich und baut euch ein ausserberufliches Netzwerk auf. Ich etwa hatte mich der Politik verschrieben, engagierte mich bei den Grünen, war später auch Kantonsrätin. Jetzt habe ich das Privileg, einen Beruf auszuüben, bei dem sich Leidenschaft und Wissenschaft gegenseitig bedingen und ergänzen.
Michèle Bucher ist seit April 2020 Stadtschreiberin der Stadt Luzern. Davor mehrjährige Tätigkeit als juristische Mitarbeiterin des Rechts- und Parlamentsdienstes des Kantons Nidwalden; ab 2016 stellvertretende Staatsschreiberin und Leiterin des Rechtsdienstes der Staatskanzlei des Kantons Luzern. Michèle Bucher lebt mit ihren drei Töchtern in Luzern.
Das Interview wurde erstmals im Dezember 2020 publiziert. Die leicht erweiterte Zweitpublikation im Juni 2021 erfolgte im Zusammenhang mit dem Jahresberichts 2020 der Universität Luzern, der unter dem Motto «Absolventinnen und Absolventen im Fokus» steht.
Ralph Hemsley
Sektionsvorsteher Rechtswissenschaft der ALUMNI Organisation. Er ist im Bankensektor tätig.