Es sollten gezielte Unterstützungsmassnahmen entwickelt werden, um den Bedürfnissen von Angehörigen gerecht zu werden, die Personen mit Demenz pflegen: Dies legen die Ergebnisse einer neuen Studie nahe.

Hintenansicht einer älteren Frau und einer jüngeren in der Natur; die jüngere hält ihren Arm um die ältere
(Symbolbild; ©istock.com/birgtsieckmann)

Zwei wichtige Trends beeinflussen das Gesundheitssystem stark: die steigende  Lebenserwartung und die Zunahme chronischer Krankheiten. Dies wiederum erhöht den Bedarf an Pflege und Unterstützung. Ein Grossteil dieser Aufgabe fällt auf pflegende Angehörige, da der Bedarf nicht allein durch professionelle Pflege gedeckt werden kann. In der Schweiz kümmern sich etwa 600'000 Personen um ihre Angehörigen. Würde dies wegfallen, könnten viele pflegebedürftige Menschen nicht zu Hause bleiben. Neben positiven Aspekten stehen pflegende Angehörige vor Herausforderungen wie Angst, Stress und Überlastung. Dieser chronische Stress und die damit verbundenen körperlichen Belastungen können zu Gesundheitsproblemen führen.

Aufgrund dieser Ausgangslage haben das Parlament und der Bundesrat Aufträge zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für betreuende und pflegende Angehörige erteilt. Die Ziele der Aufträge beinhalten bedarfsgerechtere Entlastungsangebote, bessere gesellschaftliche Anerkennung und Massnahmen für die bessere Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung und -pflege.

Betreuung Demenzkranker im Zentrum

Um bestimmen zu können, wo Unterstützungsmöglichkeiten ansetzen müssen, braucht es ein vertieftes Verständnis der individuellen Bedürfnisse, Stressfaktoren, Herausforderungen und Bewältigungsstrategien der Betroffenen. Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen steht im Zentrum des Projekts «Pflegende Angehörige von Personen mit Demenz» von Sinah Grüter, Studentin im Luzerner «Master in Health Sciences». Dies im Rahmen ihres Forschungspraktikums, das Bestandteil des Studiums ist. Begleitet wurde das Projekt von Anne Marie Schumacher, Programmleiterin des CAS Palliative Care an der Universität Luzern, und Tanja Volm, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie Ärztin für Palliativmedizin. Die daraus entstehende, vor dem Abschluss stehende Masterarbeit von Sinah Grüter wird von Carla Sabariego, Assistenzprofessorin Rehabilitation und gesundes Altern, betreut.

Der Innovationscharakter der Studie zeichnet sich dadurch aus, dass der Fokus gezielt auf Geschlechterunterschiede gelegt wird.

Der Innovationscharakter der Studie zeichnet sich dadurch aus, dass der Fokus gezielt auf Geschlechterunterschiede gelegt wird. Dies ist insbesondere deshalb bedeutsam, da solche Unterschiede bisher häufig unzureichend berücksichtigt wurden und somit das Verständnis für allfällige Unterschiede zwischen Männern und Frauen in der Pflege von Angehörigen sowie für die damit verbundenen Aspekte wie das Stressempfinden äusserst lückenhaft ist.

Das Projekt fokussiert sich auf pflegende und betreuende Angehörige von Menschen mit Demenz in der Zentralschweiz. Demenz zeigt meist einen jahrelangen Verlauf, sodass die Präsenzzeit für pflegende Angehörige sehr hoch ausfällt – es kann bis zu einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung reichen und viele Bereiche des Lebens und Zusammenlebens betreffen. Ziel war, zu untersuchen, inwiefern sich Männer und Frauen, die ihre Angehörigen mit Demenz pflegen und betreuen, bezüglich des Stresserlebens, der Stressbewältigungsstrategien, der persönlichen Ressourcen und der Pflegeund Betreuungssituation unterscheiden. Diese Daten wurden anhand einer Umfrage erfasst.

Bei der Rekrutierung der Angehörigen kam eine wertvolle Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen und Fachpersonen in der Zentralschweiz zustande. Pro Senectute Luzern schrieb rund 140 Angehörige direkt an und legte jedem Brief einen Fragebogen bei. Des Weiteren durfte auf wertvolle Unterstützung der Spitex, diverser Pflege- und Altersinstitutionen, Entlastungsdienste und -institutionen, von Alzheimer Schweiz (Angehörigen und Gesprächsgruppen), einer Memory Clinic und diverser Privatkontakte zurückgegriffen werden. Schliesslich füllten 224 Teilnehmende den Fragebogen aus.
 

Diagramm "Stresserleben der befragten pflegenden Angehörigen" mit einem Pfeil, der auf einem "Tachometer" den Wert 40,7 anzeigt, wobei 0 minimaler und 100 maximaler Stress bedeutet. Daneben Anzeige, dass sich bei den befragten Frauen ein Wert vojn 43.0 und bei den befragten Männern einer von 34.0 ergeben hat.

Die Auswertung der Umfrage der Umfrage zeigt, dass Frauen im Allgemeinen mehr Stress empfinden als Männer (siehe Grafik). Zudem neigen sie dazu, ihre Erwerbstätigkeit aufgrund ihrer Rolle als pflegende Angehörige anzupassen. Des Weiteren zeigen sich Unterschiede in den Bewältigungsstrategien: Männer tendieren dazu, im Umgang mit Stress häufiger auf Ablenkungs- und Vermeidungsstrategien zurückzugreifen. Frauen übernehmen derweil häufiger emotionale Unterstützungsaufgaben (Gespräche, zuhören, trösten). Sie greifen auf mehr Unterstützung von Familie und Freunde zurück als männliche Angehörige, während diese mehr dazu tendieren, professionelle Pflegedienste in Anspruch zu nehmen.

Weitere Forschung notwendig

Die Ergebnisse legen nahe, dass gezielte Unterstützungsmassnahmen entwickelt werden müssen, um den spezifischen Bedürfnissen von pflegenden Angehörigen gerecht zu werden. Weitere Forschung ist erforderlich, um diese Zusammenhänge besser zu verstehen und die Situation der Angehörigen zu verbessern, wobei geschlechtsspezifische Unterschiede im Stresserleben und in den Bewältigungsstrategien berücksichtigt werden sollten.

Zum Abschluss trafen sich die Projektverantwortlichen mit Fachpersonen aus der Gesundheitspraxis zu einem Austausch. Teilnehmende waren Tagesstätten, Langzeitinstitutionen der Zentralschweiz sowie Vertreterinnen und Vertreter des Kantons Luzern, von Pro Senectute Luzern und Alzheimer Luzern. Der Wissensaustausch wurde in den Abschlussbericht des Projekts integriert und lieferte wesentliche Erkenntnisse sowie Handlungsempfehlungen – ein Beispiel für eine gelungene transdisziplinäre Zusammenarbeit. Das Projekt wurde von der Fachstelle Gesundheitsförderung des Kantons Luzern finanziell unterstützt.

Abschlussbericht

Anne Marie Schumacher

Anne Marie Schumacher

Programmleiterin CAS Palliative Care; Dr., Begleitung des Projekts
www.unilu.ch/anne-marie-schumacher

Tanja Volm

Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie Ärztin für Palliativmedizin, Dr.; Begleitung des Projekts

Sinah Grüter

Studentin im Master in Health Sciences; Durchführung des Projekts