Bevor Michael Nestler (29) zu seiner Berufung als Religionspädagoge und kirchlicher Jugendarbeiter fand, arbeitete er im Bankenwesen. Die Pfarreiarbeit zeigt ihm, dass es richtig war, seinem Wunsch nach Veränderung nachzugehen, trotz anfänglicher Schwierigkeiten.
Michael Nestler, vom Banking zu Jugendarbeit und Religionsunterricht – wie ist es zu diesem Wandel gekommen?
Michael Nestler: Das war ein längerer Prozess. Am Anfang spürte ich einen leisen Wunsch nach Veränderung in mir, der dann das Ganze ins Rollen brachte. Die Lehrzeit sowie die anschliessenden Stationen als Bankkaufmann im Wertschriftenbereich waren enorm lehrreich und wertvoll für mein Leben. Ich möchte sie daher auch nicht missen. Gleichwohl spürte ich bereits kurz nach Abschluss der Lehre, dass dieser Beruf mich in der Zukunft wahrscheinlich nicht erfüllen würde. Daher versuchte ich in den folgenden Jahren mehrmals, den Job als Banker hinter mir zu lassen. Zunächst jedoch mit nur mässigem Erfolg. Zwar kündigte ich zweimal meine Stelle, verliess die Schweiz und arbeitete für eine Weile im Ausland in einem ganz anderen Bereich. Doch sobald ich mein Heimatland wieder betrat, fiel ich ziemlich schnell in meine alten Gewohnheiten zurück und damit auch in das Bankgeschäft. Insgesamt war die damalige Zeit geprägt von einem intensiven Kampf mit mir selbst. Ein Kampf, der oftmals in Frustration endete.
Wie ist der Umstieg schliesslich dennoch geglückt?
Erst beim dritten Versuch, vier Jahre nach dem ersten, klappte es endlich. Ich kündigte wiederum meine Anstellung, um ein Jahr als Volontär in der christlich-ökumenischen Gemeinschaft von Taizé in Frankreich zu verbringen. Diese organisiert wöchentliche Treffen für bis zu 3000 Jugendliche und junge Erwachsenen. Meine Absicht war, mir Zeit für die Reflexion meines bisherigen Lebens zu nehmen, um eine berufliche Neuorientierung in Gang zu bringen – und diese dann auch definitiv durchzuziehen. Durch die Freiwilligenarbeit in Taizé erkannte ich mein Talent und meine Stärken im Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Und so entschied ich mich noch während meines dortigen Aufenthalts, mich an der Universität Luzern für den Bachelorstudiengang in Religionspädagogik einzuschreiben.
Durch die Freiwilligenarbeit in Taizé erkannte ich mein Talent und meine Stärken im Umgang mit Kindern und Jugendlichen.
Wie hat Ihr Umfeld auf Ihren Berufswechsel reagiert und wie gehen Sie damit um?
Die Personen, die mir immer schon nahegestanden haben, konnten meinen Entscheid viel besser nachvollziehen als jene, mit denen ich nicht mehr im selben Mass Kontakt hatte. Den Hauptgrund sehe ich darin, dass Erstere meine Persönlichkeitsentwicklung hautnah miterlebt hatten. Dies wurde mir besonders klar, als diese mich «live» bei meiner Arbeit beobachten konnten und zu verstehen begannen, dass diese Tätigkeiten meinem Wesen mehr entsprechen.
Jetzt arbeiten Sie als Religionspädagoge in der Pfarrei Herz-Jesu in Wiedikon, Zürich. Wie muss man sich diese Arbeit vorstellen?
Die Tätigkeiten sind enorm vielseitig. Grundsätzlich beinhalten sie alles, was in meiner Pfarrei mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu tun hat. Zum Beispiel erteile ich Religionsunterricht, organisiere Jugendreisen, plane Familiengottesdienste, ermögliche Jugendtreffs, biete Seelsorgegespräche an oder bereite Kinder und Jugendliche auf das Sakrament der Eucharistie, also die Erstkommunion, oder dasjenige der Firmung vor.
Was möchten Sie als kirchlicher Jugendarbeiter und Religionspädagoge erreichen?
Meine Vision ist es, Kindern, Jugendlichen sowie jungen Erwachsenen einen Rahmen zu bieten, in dem sie ihr eigenes Potenzial erkennen und freisetzen können. Ich möchte Gefässe schaffen, in denen es erlaubt ist, Antworten auf die grossen Fragen des Lebens zu suchen. Dabei geht es mir nicht darum, jungen Menschen vorgefertigte Antworten zu geben, sondern durch das Anstossen eines «Weiterfragens» ihre eigene Neugier für das Leben und für den Glauben zu wecken.
Ich möchte Gefässe schaffen, in denen es erlaubt ist, Antworten auf die grossen Fragen des Lebens zu suchen.
Gibt es ein Erlebnis, dass Sie in Ihrer neuen Aufgabe besonders geprägt hat?
Da gibt es einige. Vielfach sind dies aber ganz kleine und für die Gesellschaft eher unbedeutende Erlebnisse. Beispielsweise war ich diesen Sommer 18 Tage lang mit einer Jugendgruppe meiner Pfarrei am Weltjugendtag in Lissabon. Dabei handelt es sich um einen der grössten Events weltweit. Alle drei bis vier Jahre kommen bis zu mehrere Millionen Jugendliche und junge Erwachsene zusammen und verbringen miteinander Zeit. Ein Jugendlicher aus meiner Jugendgruppe ist äussert schüchtern und leise. Doch während der Reise taute er förmlich auf und begann von sich aus, zu erzählen, ja sogar zu tanzen! Er schloss neue Freundschaften und kam dadurch verändert zurück nach Hause. Solche unscheinbaren Momente erlebe ich als enorm erfüllend. Gerade diese lassen mich mein altes Leben als Bankkaufmann kaum mehr vermissen. In diesen Erlebnissen merke ich, wie gut es war, meinen anfänglichen inneren Wunsch nach Veränderung nicht zu verdrängen. Selbst wenn es insgesamt drei Anläufe und enorm viel Geduld dafür gebraucht hat.
Überblick zum Bachelorstudiengang Religionspädagogik
Fabian Pfaff
Co-Sektionsvorsteher Theologie der ALUMNI Organisation und katholischer Hochschulseelsorger bei «horizonte – Hochschulseelsorge Campus Luzern»