Siri Anesini durfte vor zwei Jahren in Luzern ihr Masterdiplom der Rechtswissenschaft entgegennehmen. Aufgrund einer Fehlbildung der Wirbelsäule (Spina Bifida) sitzt die Bündnerin von Geburt an im Rollstuhl. Die 27-Jährige zieht Bilanz zur Barrierefreiheit ihres Studiums.
Siri Anesini, was machen Sie momentan beruflich?
Siri Anesini: Ich absolviere seit Anfang Jahr ein Praktikum am Regionalgericht Landquart. Anschliessend möchte ich gerne die Anwaltsprüfung ablegen, wofür ich jetzt schon Anwaltskolloquien, also kantonale Vorlesungen, besuche.
Weshalb haben Sie sich für die Universität Luzern und Ihre Studienrichtung entschieden?
Die Studienrichtung stand bei mir seit dem Gymi fest. Mich interessiert vor allem das Strafrecht und auch dessen psychologische Aspekte. Was die Uni angeht: Als ich das erste Mal zur Besichtigung in Luzern war, wurde bekanntgegeben, dass ein Umbau und eine Zentralisierung geplant sind. Alles in einem Gebäude zu haben, war für mich extrem praktisch; ausserdem konnte beim Umbau auch auf einen verbesserten barrierefreien Zugang geachtet werden. Logistisch konnte ich es am Ende nicht besser haben – gewohnt habe ich unter der Woche in einem Studio im Paraplegikerzentrum Nottwil.
Hatten Sie irgendwelche Ängste vor dem Beginn?
Zwei Sachen beruhigten mich: Von daheim weggegangen war ich schon für das Gymi – ich besuchte ein Internat und meisterte alles selbstständig. Ich war deshalb überzeugt, mich auch an der Uni gut zurechtzufinden, war am Eröffnungstag dabei und verschaffte mir schon vorab einen Einblick.
Was waren für Sie die grössten Hürden?
Trotz der eigentlich guten Bauweise bereiteten mir einige Anlagen Schwierigkeiten. So ist die Mensa für Personen im Rollstuhl nicht sehr geeignet, da Essensausgabe und Kasse hoch angesetzt sind. Auch mit den Zugängen im UG, die durch schwere Feuerschutztüren führen, hatte ich Mühe – allein sind diese schwer zu öffnen. So musste meist jemand dabei sein, wenn ich einen Hörsaal betreten wollte.
Was war die positivste/negativste Erfahrung?
Ein Minus stellten vielleicht die Exkursionen dar; schlicht und einfach, weil oft nicht abgeklärt wurde, ob die Ausflugsziele auch barrierefrei zugänglich waren. Das erschwerte oder verunmöglichte die Teilnahme. Als besonders positiv würde ich das Studium an sich – also bezüglich Aufbau, Organisation und Inhalten – bewerten. Auch, dass der Studiladen im Gebäude ist und das Material fürs nächste Semester jeweils schon tipptopp bereitlag, schätzte ich. Insgesamt war alles sehr stimmig und mein Studium einfach «lässig».
Ich habe mich in vielen Bereichen unter die Arme gegriffen gefühlt.
Wie reagierten Mitstudierende und Dozierende auf Ihre Beeinträchtigung?
Ich habe meine Mitstudierenden stets als sehr hilfsbereit wahrgenommen und auch mit den Dozierenden keine schlechten Erfahrungen gemacht. Bei etwas Aussergewöhnlichem bin ich auf sie zugegangen; meine Beeinträchtigung war kein grosses Thema. Hin und wieder kam ich zu spät, weil die kurze Pause nicht reichte, vom 4. OG ins EG zu kommen und auch noch aufs WC zu gehen. Negative Rückmeldungen gabs aber nie. An der Uni herrscht eben viel Eigenverantwortung – das passte mir sehr gut.
Wo hat die Uni Ihren Studi-Alltag erleichtert?
Ich habe mich in vielen Bereichen unter die Arme gegriffen gefühlt. Wie gesagt, ist das Gebäude gut zugänglich, mit dem Lift kommt man eigentlich überall hin. Die rollstuhlgängigen WCs im EG habe ich ebenfalls sehr geschätzt – schade war hin und wieder, dass diese gerne mal fremdbenutzt waren. Generell ist die Uni sehr gut erschlossen, und die Rollstuhlparkplätze direkt vor dem Gebäude machen es nochmals leichter. Auch wenn wir zwischenzeitlich vier Leute mit Rollstuhl bei drei Parkplätzen waren … Aber zum Glück drückten die Parkwächterinnen und -wächter ein Auge zu.
Haben Sie einen Nachteilsausgleich erhalten?
Ja, so durfte ich bei schriftlichen Prüfungen die Zeit, in der ich auf die Toilette musste, nachholen – das waren zirka 15 Minuten. Bei der Verbundprüfung hätte ich ebenfalls länger Zeit gehabt, das habe ich aber nicht in Anspruch genommen.
Welche Verbesserungsvorschläge haben Sie bezüglich Barrierefreiheit?
Beim Nachteilsausgleich fand ich es mühsam, dass für jede Prüfung die Formulare von Neuem eingereicht werden mussten. In meinem Fall ändert sich ja weder in der Art des Ausgleichs noch am Grund dafür etwas, und der Papierkram ist aufwändig. Etwas betrifft die Plätze in den Hörsälen: Personen mit Rollstuhl können sich nur zuhinterst oder zuvorderst platzieren. Vorne ist man oft ziemlich allein, und zuoberst ist es schwierig, ganz nach vorne zu sehen oder alles zu verstehen.
Was würden Sie anderen Studierenden mit einer Beeinträchtigung oder einer chronischen Krankheit mit auf den Weg geben?
Dass ich es sehr empfehlen kann, an der Uni Luzern zu studieren. Und einen anderen, ganz einfachen Tipp: Mit Fragen kommt man weiter! Frag um Hilfe, nach alternativen Möglichkeiten – eine Lösung findet sich praktisch immer.
Weitere Interviews zum Thema «Studium ohne Barrieren» folgen ab dem Herbst auf dem Websitebereich der Fachstelle für Chancengleichheit.
Abschluss der Aktion «All inclusive!?»
Mit dem Kurs «Barrierefreie Website» gingen im Juni zwei Semester im Zeichen von «Studium ohne Barrieren» zu Ende. Bei vielfältigen Veranstaltungen wurde diskutiert, reflektiert und sensibilisiert. Die Aktion «All inclusive!? Studieren ohne Barrieren» hat sichtbar gemacht, wie viele Bereiche diese Thematik tangiert und wie notwendig die Zusammenarbeit unterschiedlicher Universitätsgruppen ist. Da es noch eine Reihe bisher ungelöster Herausforderungen und Verbesserungsansätze gibt, wird die Fachstelle für Chancengleichheit sich weiterhin stark mit dem Bereich Inklusion befassen, besonders im Zusammenhang mit der Entwicklung der neuen universitären Diversity-Strategie.