In den letzten Jahren hat die politische Polarisierung bei konkreten Massnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels zugenommen. Welche Massnahmen bei den Wählerinnen und Wählern wie ankommen, hat Professorin Lena Maria Schaffer erforscht.
Lena Maria Schaffer, macht Klimaschutz unbeliebt?
Lena Maria Schaffer: Erstmal nein, auf keinen Fall. Wer würde schon bestreiten, dass wir Klimawandel stoppen und unseren Planeten schützen sollten? Die Politikwissenschaft spricht hier von einem sogenannten Valenzthema: Im Kern gibt es kaum Widerspruch. Das kann man in einer Reihe mit anderen Allgemeinplätzen wie «Die Wirtschaft sollte wachsen» oder «Demokratie soll geschützt werden» sehen. Wenn es aber darum geht, wie stark und mit welchen Mitteln das Klima geschützt werden soll, dann entwickeln Bürgerinnen und Bürger wie auch Parteien Positionen, die auseinandergehen. Ferner ist das Klimathema auch sehr stark von der jüngeren Generation aufs Tapet gebracht worden, die hier z.B. empfindliche Einschnitte in die (fossilen) Gewohnheiten der Älteren fordert. Dies gilt natürlich nicht pauschal und es gibt weitere Konfliktlinien, die existieren, und Gruppen, die aufgrund strikterer Klimapolitik möglicherweise höhere Kosten haben. Etwa Menschen, die auf Mobilität angewiesen sind, die hohe Energiekosten schwer stemmen können oder die als Mieterinnen und Mieter nicht direkt an der Energiewende teilhaben können.
Wie untersucht man das aus politikwissenschaftlicher Perspektive?
Der Startpunkt unseres Projekts war herauszufinden, wie sich die Klimathematik und vor allem das gesellschaftliche Ziel der Energiewende auf Individuen, den gesellschaftlichen Diskurs und auch auf den Parteienwettbewerb im Nationalstaat auswirken. Wenn es um die Einstellung der Menschen und ihr Wahlverhalten geht, befragt man die Leute. Wir haben jedoch nicht nur befragt, sondern experimentell untersucht, ob bspw. verschiedene Informationen zu Klimapolitik eher dazu führen, dass verschiedene klima- oder energiepolitische Instrumente unterstützt werden.
Beim Parteienwettbewerb haben wir uns angeschaut, welche Aussagen in den Parteiprogrammen oder -debatten gemacht werden, ob Parteien das Thema überhaupt erwähnen und falls ja, ob sie sich eher für striktere Klimapolitik einsetzen oder ob sie hier eine Gegenposition einnehmen. Der Hintergrund sind in beiden Fällen theoretische Erwartungen darüber, wie relevant ein Thema für das Individuum ist und welche Faktoren bestimmen, ob man dem Thema gegenüber positiv eingestellt ist – und dementsprechend seine Abstimmungs- oder Wahlentscheidung trifft –, ob man das Thema für nicht relevant hält oder sich gegen mehr Klimapolitik ausspricht. Darüber hinaus hat uns interessiert, wie Parteien das Thema aufgreifen und ob sie sich wahltaktisch verhalten. Was halten sie aufgrund der eigenen bisherigen Position für erstrebenswert, damit Wählerstimmen gewonnen werden können oder zumindest nicht verloren gehen.
Was ist bei Ihrem Projekt, das den Titel «Beyond Policy Adoption. Implications of Energy Policy on Parties, Publics, and Individuals» trägt und das Sie 2022 abgeschlossen haben, herausgekommen?
Wir hatten das Glück, dass wir unsere Forschung in einer Zeit durchführen konnten, in der die Themen Klima und Energiewende für die breitere Bevölkerung immer bedeutsamer wurden. So konnten wir unter anderem während der Abstimmungskampagne zum CO2-Gesetz in der Schweiz Leute zu ihrer Unterstützung oder Ablehnung detailliert befragen, konnten ihre Meinung gegenüber den verschiedenen Argumenten der Kampagne untersuchen und auch zu möglichen Verteilungswirkungen einzelner Aspekte des CO2-Gesetzes und Auswirkungen auf den eigenen Geldbeutel befragen.
Wir haben herausgefunden, dass sich Bürgerinnen und Bürger trotz hohem Klima- und Umweltbewusstsein sehr stark von möglichen Kosten für einzelne Gruppen (z.B. Autofahrerinnen und Mieter) beeinflussen lassen.
Wir haben herausgefunden, dass sich Bürgerinnen und Bürger trotz hohem Klima- und Umweltbewusstsein sehr stark von möglichen Kosten für einzelne Gruppen (z.B. Autofahrerinnen und Mieter) beeinflussen lassen und hier Kampagnen, die auf individuelle und gruppengestützte Kosten ausgerichtet sind, grosse Erfolge erzielen können. Diese Gegenpositionen zu ambitionierter Klimapolitik kommen – nicht nur in der Schweiz – immer stärker aus dem rechten und populistischen Lager. Dies konnten wir anhand der Analyse der Programme aller Parteien in fünf europäischen Ländern über die letzten 20 Jahre zeigen. Generell wurde das Thema für alle Parteien wichtiger, aber während anfänglich alle Parteien Klimaschutz und Energiewende positiv gegenüberstanden (oder dies gar nicht thematisierten), haben sich über alle untersuchten Länder hinweg insbesondere rechte und populistische Parteien im Laufe des Untersuchungszeitraums als Antagonisten von Klimapolitik positioniert.
Aber was ist mit grünen Parteien und der «grünen Welle»?
Grüne Parteien – als die traditionellen «Issue Owner» dieses Themas – sind über die letzten Jahrzehnte innerhalb der von uns untersuchten Länder relevanter geworden. Insgesamt können wir empirisch aufzeigen, dass sich der Parteienwettbewerb zu diesem Thema über die Zeit massiv geändert hat hin zu einer grösseren Polarisierung. Dies deckt sich mit den Einschätzungen von Wählenden, die wir anhand einer Umfrage vor der deutschen Bundestagswahl und der ungarischen Parlamentswahl befragt haben. Diese Polarisierung ist nicht unbedingt eine gute Nachricht für eine verstärkte Klimapolitik. In weiteren Studien haben wir uns zudem auch noch mit der individuellen Zustimmung zur Energiewende, der Akzeptanz von Windenergie, dem Zusammenhang zwischen Vertrauen und klimapolitischer Position sowie der wohlfahrtsstaatlichen Relevanz von Klima- und Energiepolitik befasst.
Damit machen Sie ja auch Aussagen darüber, wie Menschen Dinge wahrnehmen und Entscheide fällen. Sehen Sie Synergien zu psychologischen Ansätzen?
Auf jeden Fall. Wenn es darum geht, politische Einstellung gegenüber klimapolitischen Massnahmen generell und CO2-Steuern im Speziellen zu erklären, sind individuell-psychologische Faktoren wie Vertrauen oder Werte wichtig. In Meta-Studien zu CO2-Steuern reihen sich die psychologischen Faktoren gleich hinter den politikspezifischen Erklärungen (Wie fair und effektiv ist ein Politikinstrument?) und der individuellen Betroffenheit von Klimawandel ein. Die Politikwissenschaft geht jedoch über den Menschen als geschlossene Einheit hinaus und untersucht, wie Individuen politisch handeln, also mit anderen in Verbindung stehen, um das gesellschaftliche Zusammenleben zu regeln.
Wagen Sie einen Zukunftsausblick, was das für die Schweizerinnen und Schweizer oder gar für die internationale Politik bedeutet?
Hierzu Prognosen zu machen, ist jenseits eines wissenschaftlich fundierten Beitrags, denn die Ergebnisse von Politik sind sehr komplex und ein Zusammenspiel vieler Faktoren: Wer gewinnt den Krieg? Erreichen die Staaten das im globalen Klimaschutzabkommen angepeilte Ziel? Wie ist das künftige institutionelle Verhältnis der Schweiz zur EU? Daher Zukunftsausblick: nein, persönliche Einschätzung relevanter Faktoren für erfolgreiche Klimapolitik: ja. Eine zentrale Stellschraube, die wir aufgrund unserer Forschung sehen, ist sicherlich die Klimakommunikation. Ich habe vorher erwähnt, dass es für populistische Kräfte und die fossile Industrie relativ einfach war, gegen weiteren Klimaschutz zu argumentieren, indem auf x Rappen mehr an Zapfsäule, auf der Stromrechnung etc. hingewiesen wird. Die Vorteile ambitionierter Klimapolitik müssen also für Bürgerinnen und Bürger besser greifbar gemacht und kommuniziert werden. Die Energiewende ist ein gesamtgesellschaftliches Riesenprojekt, und insbesondere im Kontext der derzeitigen geopolitischen Situation und Energiekrise dürfen die soziale Verträglichkeit und die Auswirkungen auf Teilhabemöglichkeiten der sozial Schwächeren nicht ins Hintertreffen geraten.
Welchem Projekt widmen Sie sich als nächstes?
In meinem Forschungssemester habe ich überlegt, in welche Richtung meine Forschung der kommenden Jahre gehen soll. Ich werde mich definitiv weiter mit Parteienwettbewerb und Responsivität im Bereich der Klimapolitik beschäftigen, möchte aber auch verstärkt untersuchen, wie internationale Politik im Bereich Handel und Globalisierung mit den neusten klimapolitischen Vorstössen der EU und der USA vereinbar sind. Kehrt unter dem Deckmantel ambitionierter Klimapolitik der Protektionismus zurück? Was sind die geopolitischen Folgen? Neben meiner Forschungsarbeit treibt mich die Klimapolitik aber auch im Bereich der Lehre um. Ich habe zusammen mit Angehörigen der Wirtschaftswissenschaftlichen und der Rechtswissenschaftlichen Fakultät begonnen, ein Masterprogramm zum Thema «Climate Politics, Economics, and Law» (CPEL) zu entwickeln.
«Beyond Policy Adoption. Implications of Energy Policy on Parties, Publics, and Individuals» lief von 2017 bis 2022, wurde im Rahmen eines «Assistant Professor (AP) Energy Grant» durchgeführt und war mit rund 922 000 Franken an Drittmitteln vom Schweizerischen Nationalfonds dotiert.
Franziska Winterberger ist an der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät im Bereich Wissenstransfer und Öffentlichkeitsarbeit tätig.