Über ein Jahr lang lebte Willem Church in einem Dorf in Papua-Neuguinea und erforschte dort die Auswirkungen einer geplanten Mine. Der 31-jährige Neuseeländer ist ein akademischer Nomade: Nach Graz und Luzern schlägt er seine Zelte bald in Leipzig auf.
Für seine Ethnologie-Doktorarbeit hat Willem Church fünfzehn Monate im Wampar-Sprachgebiet in Papua-Neuguinea verbracht. «Insgesamt eine tolle und spannende Zeit», wie er findet. Auch wenn er auf dem nördlich von Australien gelegenen unabhängigen Inselstaat in eine andere Lebensweise eintauchen musste, habe er sich gut auf die Situation einstellen können, erzählt er. Wer ethnologische Feldforschung betreibt, darf vor solchen Herausforderungen nicht zurückschrecken, sondern muss flexibel sein. Seine Zelte immer wieder woanders aufschlagen – dies bereitet dem 31-Jährigen keine Mühe. Aufgewachsen in Neuseeland, wohnt er heute zusammen mit seiner Partnerin in Graz in Österreich. Zumindest vorübergehend.
Aber beginnen wir mit Luzern. Hier hat Willem Church insgesamt zwar nur knapp ein Jahr verbracht, aber er verbindet diese Zeit mit schönen Erinnerungen. «Ich war vier Monate hier, dann für neun Monate in Papua-Neuguinea, schliesslich wieder sechs Monate in der Schweiz und danach nochmals ein halbes Jahr in Papua-Neuguinea.» Auch wenn er kaum Deutsch spreche, habe er die Zeit in der Schweiz genossen. «Professorin Bettina Beer, die meine Doktorarbeit betreute, und das ganze Team waren sehr freundlich, es herrscht eine angenehm familiäre Atmosphäre.» Church konnte im Rahmen eines vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderten, von Beer geleiteten Forschungsprojekts doktorieren. In seiner Teilstudie geht es um aus einer Kupfer-Gold-Mine resultierende neue Formen sozialer Ungleichheit.
Am Leben teilnehmen
Was genau beinhaltet ethnologische Feldforschung? Wie schwierig ist es, sich in einer völlig fremden Kultur zurechtzufinden? Willem Church schmunzelt: «Ich war ja nicht der erste Forschende in diesem Gebiet: So hatte hier Professor Hans Fischer bereits in den Fünfzigerjahren mit umfangreichen Feldforschungen gestartet.» Und Bettina Beer forsche dort seit mehr als zwanzig Jahren und sei teilweise parallel mit ihm und weiteren Mitarbeitenden des Projekts vor Ort gewesen. «Durch Professorin Beer lernte ich meine Gastfamilie kennen.» Mit dieser lebte Church in einem Haus mit Wellblechdach. Er ass mit den Familienmitgliedern, kochte mit ihnen, half auf dem Feld. «Die Teilnahme am alltäglichen Leben ist die Hauptmethode unserer Arbeit», so der Neuseeländer. Durch das Zusammenleben baue man Vertrauen auf, komme den Menschen näher und erfahre, was sie beschäftigt und umtreibt. Wichtig ist dabei natürlich die Sprache. «Ich hatte bereits für meine Masterarbeit Feldforschung in Papua-Neuguinea betrieben. Dabei lernte ich die Kreolsprache Tok Pisin», sagt Church. «Das war wichtig für meine Arbeit.»
Die Teilnahme am alltäglichen Leben ist die Hauptmethode unserer Arbeit
Hintergrund seiner Forschung ist die Kupfer-Gold-Mine in der Provinz Morobe, die zum jetzigen Zeitpunkt kurz vor der Realisierung steht. Das Projekt wurde von jahrelangen Rechtsstreitereien begleitet. Es geht dabei um die Frage, wer das Land, auf dem die Mine gebaut wird, effektiv besitzt. Denn das Gebiet ist auf verschiedene Gruppen und Clans verteilt, die aus über drei verschiedenen Sprachregionen kommen. Der Grund für die Auseinandersetzungen: «Wer als Landbesitzer anerkannt ist, kann von Vorteilen durch die Beteiligung an den erzielten Gewinnen, Beschäftigung und Verträgen profitieren», erklärt Willem Church.
Das Haupterkenntnisinteresse war, ob und inwiefern die Aktivitäten eines multinationalen Rohstoffunternehmens zu neuen Formen der sozialen Ungleichheit in den betroffenen Gemeinden beitragen. Fazit: Obwohl die Bergbauunternehmen und die Regierung nach aufsehenerregenden Sozial- und Umweltkatastrophen in den 1980er-Jahren reagiert haben und zunehmend auf die Zusammenarbeit mit lokalen Landeigentümern und Gemeinden setzen, hat ein solches Projekt problematische Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung. «Der Wettbewerb unter den verschiedenen Parteien wird angeheizt, was zu einer Veränderung der sozialen Schichtungen führt», sagt Willem Church. Eine kleinere Minderheit von meist gebildeten, vermögenden und gut vernetzten Personen profitiere, während viele andere auf der Strecke blieben. «Wer Geld, Bildung und Beziehungen hat, um ans Gericht zu gelangen, ist im Vorteil.» Obwohl Strassen gebaut und Arbeitsplätze geschaffen werden, was durchaus positiv zu bewerten sei, sei die ungleiche Verteilung der durch das Bergbauprojekt erzielten Gewinne wahrscheinlich, so Church.
«Eine grosse Herausforderung»
Eine komplexe und unübersichtliche Lage, viele involvierte Parteien und rechtliche Querelen: Wie ist Forschung in einem derartigen Setting möglich? «Es war tatsächlich eine Herausforderung», gibt Willem Church zu. Durch das Zusammenleben habe eine Vertrauensbasis geschaffen werden können, auch sei er transparent vorgegangen: «Alle wussten, dass ich über die Mine schreibe. So waren auch alle bereit, ihre Sicht der Dinge darzulegen.» Schwierig sei gewesen, nach den üblichen Floskeln und Oberflächlichkeiten an den Kern der Problematik heranzukommen. «Viele behaupteten beispielsweise sogleich, dass das Land ihnen gehöre.» Spannend wurde es im weiteren Verlauf der Gespräche, als unter anderem ihre Gefühle gegenüber anderen Parteien und ihre Frustration gegenüber der Regierung und den Minenentwickler zur Sprache kamen.
Willem Church ging an Gerichtsverhandlungen, sprach mit Vertreterinnen und Vertretern der Behörden und der Regierung sowie mit solchen des multinationalen Konzerns und mit Personen der verschiedenen Gruppierungen. Zudem durchforschte er unzählige Gerichtsdokumente und machte sich in Archiven mit der bis in die 1970er-Jahre reichenden Kolonialzeit Papua Neuguineas vertraut. «So konnte ich die Vorgeschichte besser verstehen. Ein grosser Vorteil war auch, dass Bettina Beer und Hans Fischer bereits viel Vorarbeit geleistet hatten.»
Keine hohen Ansprüche
Was ist das Reizvolle an dieser Art des Forschens? «Für mich ist es spannend, Einblick in die sozialen Prozesse einer Bevölkerungsgruppe zu erhalten. Ich erfahre sehr viel über das Leben anderer Menschen.» Je länger er dort gelebt habe, umso mehr hätten ihm die Einheimischen vertraut. «So kommt man ihnen näher und lernt die Feinheiten ihrer Kultur kennen.» Trotz dieser Nähe muss er als Ethnologe aber auch aus wissenschaftlicher Distanz beschreiben und analysieren. Insbesondere bei Projekten mit sozialer, gesellschaftlicher und politischer Brisanz sind auch journalistische Fähigkeiten gefragt. «Ich muss investigativ arbeiten und versuchen, die Fakten aufzudecken», so Willem Church.
Gleichzeitig durfte er, was den Lebensstandard anbelangt, nicht allzu anspruchsvoll sein. Das bereits erwähnte Wellblechdach und das Kleiderwaschen haben Church ebenso wenig abgeschreckt wie der eingeschränkte Speiseplan. «Es gab meist Kochbananen mit Kokosnuss, was ich sehr lecker fand. Generell darf man nicht zu heikel sein, es braucht Offenheit und Flexibilität.»
Viel unterwegs
Nun, zurück in Europa, hat Willem Church im Herbst seine Doktorarbeit erfolgreich verteidigt. Es folgt ein Postdoc-Forschungsaufenthalt am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Keine Lust auf mal etwas Ruhe und Zeit mit seiner Partnerin? Der 31-Jährige lächelt. «Wir sind ein Forscherpaar und beide viel auf Reisen, das passt schon.» Und Luzern? Er hoffe, dass er nach Leipzig wieder in die Schweiz kommen kann. «Das wäre toll.»
Für seine Dissertation «Anticipating Gold. Factional Competition around a Prospective Copper-Gold Mine, Morobe Province, Papua New Guinea» hat Willem Church den Forschungsförderungspreis des Frobenius-Instituts an der Goethe-Universität Frankfurt erhalten (Newsmeldung vom 4. November 2021).