Wenn bei Heavy Metal über die Apokalypse gesungen wird, auf T-Shirts Dämonen abgedruckt sind oder auf Konzertbühnen Weihrauch geschwenkt wird, liegt oft eine Frage auf der Zunge: Ist das Spiel oder Ernst?
In den 1980er-Jahren befürchteten besorgte Eltern, dass Heavy Metal Jugendliche zu ungehemmtem Sex und Drogenkonsum verleite oder in die Arme satanistischer Sekten treibe. Heute hat sich diese «moralische Panik» abgekühlt. Dennoch taucht, auch von Seiten der Metal-Fans selbst, immer wieder eine Frage auf: Wie ernst sind die im Metal oft vorhandenen Bezüge zu Grenzbereichen unserer Kultur wie Hass, Gewalt oder dem Bösen gemeint? Steht dahinter ein Weltbild, ist es Provokation oder Show?
Ein prägnantes Beispiel für die Darstellung solcher Grenzbereiche sind religiöse Symbole, die mit dem Bösen konnotiert werden: verkehrte Kreuze, Pentagramme, dämonische Figuren, Todesmetaphern. Religiöse Symbole tauchen auf Tonträgern, Fotos, Internetseiten oder T-Shirts auf – auch bei Schweizer Bands und Fans.
Besonders extrem?
Im Feldforschungsteil meiner Habilitationsschrift habe ich den Fokus auf Schweizer Black Metal gelegt. Black Metal ist ein in den 1980ern entstandenes Untergenre der Musikrichtung Metal. Weltbekannt wurde der Stil in den 1990ern durch Kirchenbrandstiftungen und Morde, die von Musikern in Norwegen begangen wurden. Dieses Untergenre gilt deswegen als besonders extrem. Es hat sich in den letzten dreissig Jahren jedoch ausdifferenziert, fast weltweit ausgebreitet und ist zum Teil auch kommerziell erfolgreich – und die allermeisten Musikerinnen und Musiker begehen keine kriminellen Taten. Geblieben ist aber bis heute, dass Black Metal von Aussenstehenden mit «Satanismus» oder «Okkultismus» verbunden wird. Und tatsächlich könnte auf den ersten Blick die Inszenierung der Tonträger, Liedtexte, T-Shirts und Musikclips mit ihrem Gebrauch «böser» religiöser Symbole so gelesen werden. Aber was steckt dahinter?
Um diese Frage zu beantworten, habe ich teilnehmende Beobachtungen sowie zahlreiche Interviews und Gespräche mit Fans, Musikerinnen und Musikern, Freundinnen und Freunden sowie Eltern durchgeführt. Ich bin in diese Szene eingetaucht und wollte verstehen, was Black Metal für die Beteiligten bedeutet und welche Funktion religiöse Symbole darin einnehmen. Zugespitzt habe ich dies mit einem Blick auf Kleidung als ein Beispiel für die Verwendung religiöser Symbole.
Selbstfindung und inneres Gleichgewicht
Die Befragung von Black-Metal-Fans und Musikern zeigt, dass die Frage, ob es sich bei der Verwendung religiöser Symbole um eine Show oder um eine «ernste» Beschäftigung mit Religion handle, viel zu eng ist. Black Metal ist für die Beteiligten gleichzeitig Spiel und Ernst – und noch viel mehr. Die meisten sprechen von «Lebenseinstellung». Seraina (Name geändert), ein Fan, gibt an, ihre Probleme vergessen zu können, wenn sie diese Musik hört. Der Musiker Noah verarbeitet damit Schicksalsschläge. Gian, ein anderer Musiker, erklärt: «Für mich […] ist Black Metal […] ein sehr erfolgreiches Medium, um mich mit meiner Geisteswelt in Einklang zu bringen und ihr Ausdruck zu verleihen. Das hat viel mit Selbstfindung und innerem Gleichgewicht zu tun.»
Für alle Befragten bildet Black Metal nicht nur einen zentralen Teil ihres Alltags, sondern ist auch mit Sinnfragen verbunden. Diese werden vielfach durch Symbole, die aus religiösen Traditionen entlehnt sind, ausgedrückt. Sie eignen sich, um Ideen des Ausseralltäglichen und Unkontrollierbaren prägnant zu repräsentieren. Das sind nicht nur Symbole aus dem Christentum, sondern auch aus vielen anderen antiken und gegenwärtigen Religionen.
Die Kleider zeigen an, welche Musik ein Fan mag, aber auch, wo er oder sie sich gesellschaftlich, religiös und zum Teil sogar politisch verordnet.
Kleidung als «Identitätskarte»
Da Black Metal für die meisten Beteiligten eine «Lebenseinstellung» ist, liegt es auf der Hand, dass sie diese auch nach aussen hin repräsentieren wollen. Besonders geeignet ist dafür Kleidung. Black-Metallerinnen und -Metaller sind auf der Strasse oft an ihrer Inszenierung erkennbar: Sie tragen Schwarz, Shirts mit unleserlichen Bandnamen und etlichen religiösen Symbolen, Lederjacken. Mit dieser Kleidung sind Identitätsprozesse gekoppelt: Man wird zwar nicht durch die richtige Kleidung zum Metaller, aber man zeigt das Metal-Sein durch die richtige Kleidung an. Dabei richtet sich das Statement aber weniger an Aussenstehende. Es geht also nicht in erster Linie um Provokation. Vielmehr bildet Kleidung ein Erkennungszeichen in der Szene. Die Kleider zeigen an, welche Musik ein Fan mag, aber auch, wo er oder sie sich gesellschaftlich, religiös und zum Teil sogar politisch verordnet. Die Kleidung bildet also eine Art Black-Metal-«Identitätskarte». Sie komprimiert die komplexen Regeln und Vorstellungen der Szene in prägnanter Weise und anhand ausgewählter Symbole. Die verwendeten religiösen Symbole können als solche komprimierten Codes gelesen werden.
Für die Fans und Musikerinnen ist es also kein Spiel, wenn sie ein bestimmtes T-Shirt anziehen oder sich ein spezifisches Tattoo stechen lassen. Sondern sie machen damit eine Aussage über sich selbst, ihre Position in der Black-Metal-Szene und ihre Weltanschauung. Oder umgekehrt ausgedrückt: Die Symbole auf T-Shirts, die für Aussenstehende oft «böse» wirken, referieren weniger darauf, dass die Träger tatsächlich an den Teufel glauben, sondern sie bezeugen das enge Verhältnis zu dieser bestimmten Musikrichtung und die Position des Trägers oder der Trägerin darin. Kleider machen also auch im Black Metal Leute – und die religiösen Symbole ebenfalls.