Auch wenn naturwissenschaftlich interessiert, konnte sich Kilian Schärli (38) nicht vorstellen, in einem Labor zu arbeiten. Schliesslich studierte er Jus – und bringt nun mit seiner Spezialisierung im Bereich Blockchain beide Welten zusammen.
Kilian Schärli, beschreiben Sie Ihren Beruf.
Kilian Schärli: Seit 2019 bin ich Partner bei MLL Meyerlustenberger Lachenal Froriep AG – einer führenden Schweizer Kanzlei mit Standorten in Zug, Zürich, Genf, Lausanne, Madrid und London. Meine Tätigkeit besteht zu einem Grossteil aus klassischer juristischer Arbeit, also rechtlicher Beratung und Rechtsvertretung. Als Spezialist in den Bereichen Geistiges Eigentum und Blockchain komme ich dabei in den Genuss eines sehr internationalen und dynamischen (Arbeits-) Umfelds. Zusätzlich bin ich zuständig für das Kanzleimanagement, die Organisation der Mitarbeitenden und die Akquisition neuer Mandate für unsere Kanzlei. Als in Zug zugelassener Notar habe ich das Privileg, rund drei Tage pro Woche an unserem Standort in Zug zu arbeiten. Mit zwei Partnern, drei Anwälten, drei Substituten und vier Assistentinnen handelt es sich um ein relativ kleines Team, verglichen mit den mehr als 100 Mitarbeitenden des Zürcher Hauptstandorts. Die Abwechslung zwischen Zug, Zürich und Homeoffice, das sich in der Pandemie durchaus etabliert hat und uns auch in Zukunft begleiten wird, ist dabei tatsächlich die perfekte Mischung für meine Familie und mich.
Was gefällt Ihnen am besten an Ihrer Tätigkeit?
Den Kontakt zu meinen Klientinnen und Klienten sowie die Vielfältigkeit – kein Tag ist wie der andere. Zudem erhalte ich sehr spannende Einblicke in neue Technologien, was mich stets fasziniert.
Sie haben das Anwaltspatent, sind Notar, haben eine Doktorarbeit geschrieben und einen LL.M. gemacht. Braucht es das alles?
Um ehrlich zu sein, hat sich das einfach so ergeben. Im Rahmen meines Studiums in Luzern durfte ich an einem Austauschprogramm an der John Marshall Law School in Chicago (USA) teilnehmen. Eine Erfahrung, die mich vor allem sprachlich und persönlich weitergebracht und sehr viel Spass gemacht hat. Nachdem ich zur Finanzierung meines Masterstudiums im Rahmen eines Young-Talent-Programms bei der UBS erste Arbeitserfahrung sammeln durfte, war für mich klar, dass mein Weg zum Anwaltsdasein über ein Praktikum in einer Wirtschaftskanzlei führen würde. Aufgrund meiner Ausland- und Arbeitserfahrung erhielt ich eine Praktikumsstelle bei Bär&Karrer, welche mir einen weiteren Austausch in Peking ermöglichte. Nach erfolgreich absolvierter Anwaltsprüfung kehrte ich nach Chicago zurück, wo ich meinen LL.M. aufgrund der Anrechnung meiner beiden früheren Aufenthalte in Chicago und Peking bereits nach (zu) kurzer Zeit abschliessen konnte.
Und wie ging es danach weiter?
Meine erste Stelle nach dem L.L.M.-Abschluss fand ich dann bei meiner jetzigen Arbeitgeberin. Es war diese, die es mir im Anschluss sehr grosszügig noch ermöglicht hatte, in einem damals noch relativ unberührten Technologiegebiet eine Dissertation zu schreiben. So kam ich zu dieser Reihe von Abschlüssen, die es vermutlich nicht alle gebraucht hätte. Dennoch haben die vielen verschiedenen Erfahrungen, die ich auf diesem Weg sammeln durfte, sicherlich einen grossen Teil dazu beigetragen, dass ich den Anwaltsberuf heute mit grosser Freude ausführen darf. Rückblickend bin ich dankbar dafür, jede Chance genutzt zu haben, die sich mir eröffnet hatte. Auf meinem beruflichen Werdegang hatte ich stets grosse Unterstützung und wurde auch stets grosszügig gefördert. Auf mich alleine gestellt, hätte es sicherlich weniger Freude gemacht und es wäre bestimmt viel anstrengender gewesen.
Ich vergleiche die Blockchain-Technologie gerne mit den Anfängen des Internets, denn wir stehen an einem ähnlichen Punkt.
Warum haben Sie Jus studiert?
Grundsätzlich hatte ich immer grosses Interesse an Naturwissenschaft und Technologie. Als aufgeschlossene und gesellige Person war für mich ein Leben im Labor jedoch nur schwer vorstellbar. Als Unternehmer waren meine Eltern oft mit rechtlichen Fragestellungen konfrontiert. Dies weckte mein Interesse am Recht. Als mir bewusst wurde, dass sich mit dem Anwaltsberuf meine zwei Hauptinteressensfelder Recht und Technologie sowie der Kontakt zum Menschen verbinden lassen, war meine Studienwahl klar. Bis heute bin ich mehr als glücklich mit dieser Entscheidung – ich würde sie immer wieder treffen.
Blockchain ist in aller Munde und den meisten bekannt im Zusammenhang mit Kryptowährungen. Wo sehen Sie die Vorteile der Technologie und warum ist das Thema auch für Juristinnen und Juristen wichtig?
Ich vergleiche die Blockchain-Technologie gerne mit den Anfängen des Internets, denn wir stehen an einem ähnlichen Punkt: Vieles steckt zwar noch in den Kinderschuhen, weshalb der Einfluss der Technologie auf unseren Alltag erst vereinzelt spürbar ist. Dennoch müssen wir uns bewusst sein, dass die Blockchain gerade aufgrund ihrer vielseitigen Einsetzbarkeit in Zukunft nicht mehr wegzudenken sein wird. Blockchain-Technologie und Recht ergänzen sich in vielen Bereichen sehr gut. So ermöglicht die Technologie etwa die eindeutige dezentrale Zuordnung von Rechten. Das Eigentum an einer Aktie beispielsweise kann auf der Blockchain direkt zugewiesen werden. Dieser unveränderliche, für alle nachvollziehbare Beweis lässt bspw. das Erfordernis eines manuell geführten Aktienregisters restlos wegfallen. Ebenfalls sehr interessant sind sogenannte Smart Contracts.
Was ist darunter zu verstehen?
Dabei handelt es sich nicht um Verträge im rechtlichen Sinne, sondern um Programme, die es ermöglichen, Prozessabläufe auf einer Blockchain zu automatisieren und die korrekte Ausführung vertraglicher Beziehungen sicherzustellen. Ein anschauliches Beispiel des Einsatzes solcher intelligenten Verträge findet sich etwa im Zusammenhang mit Flugreisen: Verspätungen können über Flughafen-Logs auf die Minute genau dokumentiert werden, wobei die Verbindung zum elektronischen Ticket und zur Zahlung mittels elektronischer Methode eine automatische Auslösung allfälliger Entschädigungszahlungen erlaubt – eine Effizienzsteigerung, wie sie vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen wäre. Dadurch, dass der Blockchain-Technologie dasselbe Potenzial vorhergesagt wird wie einst dem Internet, eröffnen sich auch im Rechtsbereich ganz neue Möglichkeiten. Ich berate täglich Unternehmen, welche schon früh mit der Blockchain-Technologie in Berührung gekommen sind, begleite und unterstütze sie auf ihrem Weg und bei ihren Projekten. Ich bin sehr gespannt auf die Zukunft und freue mich auf die zahlreichen neuen Herausforderungen, die dieses dynamische Gebiet mit sich bringt.
Was würden Sie rückblickend als Student anders machen oder welchen Rat können Sie Studierenden mit auf den Weg geben?
Ich bin über vieles sehr glücklich. Dennoch würde ich einem 20-Jährigen wohl raten, sich etwas mehr Zeit zu nehmen: mehr Zeit fürs Studium, mehr Zeit für die Dissertation, mehr Zeit, um die Welt zu entdecken – Arbeiten und Geld verdienen kann man noch sehr lange. Zwar habe ich mit meinen inzwischen 38 Jahren das Privileg, sehr selbstständig arbeiten zu dürfen; die Möglichkeit, noch einmal eine grössere Reise zu machen, ist jedoch gerade mit Blick auf meinen festen Mandantenstamm verschwindend klein. Mein Rat an die Studierenden ist deshalb: Geniesst die Studienzeit, packt eure Chancen und habt den Mut, euch auch einmal eine Pause zu gönnen, auch wenn sich der Weg bis zum Anwaltspatent dadurch ein klein wenig verlängert – es lohnt sich!
Ralph Hemsley
Sektionsvorsteher Rechtswissenschaft der ALUMNI Organisation der Universität Luzern. Er ist im Bankensektor tätig. Hemsley hat im Winter 2021 seine von Professor Sebastian Heselhaus betreute Dissertation erfolgreich abgeschlossen. In dieser setzte er sich mit dem Nagoya-Protokoll auseinander.