Die Jus-Studentinnen Iryna Shykaliuk und Oksana Kukurudz absolvieren zurzeit einen Mobilitätsaufenthalt an der Universität Luzern. Kaum hatte das Semester begonnen, startete in ihrer Heimat, der Ukraine, die russische Invasion – ein Schock für die beiden 22-Jährigen.
Oksana Kukurudz und Iryna Shykaliuk, der Krieg in der Ukraine tobt nun schon seit bald sechs Wochen. Wie fühlen Sie sich im Moment?
Oksana Kukurudz: Ein wenig besser. Wir wissen, dass die Wahrheit auf unserer Seite ist. Wir glauben, dass unsere Soldaten, unser Präsident und die gesamte ukrainische Nation alles dafür tun, damit dieser Krieg bald aufhört und endlich wieder Frieden in unser Land einkehrt.
Iryna Shykaliuk: Zu Beginn des Krieges wussten wir nicht, ob jemand die Ukraine unterstützt, und mittlerweile spüren wir diese Unterstützung in vielerlei Hinsicht und von verschiedenen Ländern. Das gibt uns das Gefühl, nicht alleine zu sein, und dass bald alles wieder gut wird.
Kukurudz: Wir sind sehr dankbar für die Solidarität, welche die Leute uns und unserem Land entgegenbringen. Das bedeutet uns sehr viel.
Sie haben die «Wahrheit» erwähnt. Was meinen Sie damit?
Kukurudz: Mit der Wahrheit meinen wir, dass die Ukraine ein freier, unabhängiger und friedlicher Staat war, als Putin die völlig unangemessene Entscheidung traf, unser Land zu besetzen und zu einem Teil Russlands zu machen. Wir brauchen keine russische «Unterstützung». Wichtig ist auch zu erwähnen, dass alles in den russischen Medien fake ist. Es dreht sich nur um Propaganda. Sie haben erfunden, dass es Nazis in der Ukraine gibt und benutzen diesen Slogan als Vorwand, um Zivilistinnen und Zivilisten zu töten.
Shykaliuk: Sie behaupten das, um die Bombardierung von Zivilisten und der zivilen Infrastruktur zu legitimieren, wie etwa bei der Geburtsklinik in Mariupol. Darum sagen wir, dass die Wahrheit auf unserer Seite ist. Die Welt unterstützt die Ukraine, weil sie versteht, dass so etwas im 21. Jahrhundert nicht in Ordnung ist.
Sind Ihre Familien und Freunde noch in der Ukraine?
Shykaliuk: Ja, unsere Verwandten und Freunde sind noch in der Ukraine. Wir stehen mit ihnen in Kontakt.
Was waren Ihre Gedanken, als Sie vom Ausbruch des Krieges erfuhren?
Kukurudz: An diesem Morgen waren wir mit Freundinnen und Freunden am Start der Fasnacht in Luzern. Hier war es etwa fünf Uhr morgens. Als wir auf unseren Handys Newsmeldungen vom Einmarsch sahen, dachte ich zuerst, das wäre ein Provokation, weil ich nicht wahrhaben wollte, dass tatsächlich ein echter Krieg ausbrechen könnte. Später erhielt ich eine Nachricht von meiner Mutter. Sie schrieb, dass Russland unseren Flughafen bombardiert.
Shykaliuk: Wir haben nicht für möglich gehalten, dass so etwas im Jahr 2022 passieren kann. Besonders schockiert hat uns, dass auch der westliche Teil der Ukraine, wo unsere Heimatstädte liegen, betroffen ist. Ich komme aus Luzk und Oksana ist aus Iwano-Frankiwsk – beides nahe der polnischen Grenze und der EU und weit weg von Russland –, und sie bombardierten unsere Städte und Flughäfen. Wir hatten grosse Angst um unsere Familien und ihre Sicherheit. Es war eine surreale Situation angesichts all der Feierlichkeiten in Luzern, während in unserer Heimat Bomben niedergingen.
«Wir sind immer bereit, über die tatsächliche Situation in unserem Land zu sprechen.»
Wie haben Ihre Mitstudierenden und Freunde hier in Luzern reagiert?
Kukurudz: Sie zeigen sich sehr solidarisch, besonders unsere chinesischen und irischen Nachbarinnen im Studentenwohnheim. Diese erkundigen sich stets nach uns und unseren Familien und fragen, wie sie uns helfen können. Einige Studierende sind sehr zurückhaltend und haben Angst, den Krieg uns gegenüber zu erwähnen. Wir sind jedoch immer bereit, über die tatsächliche Situation in unserem Land zu sprechen.
Shykaliuk: Ich glaube, alle in unserem Umfeld tun ihr Bestes. Sie laden uns ein, um gemeinsam Zeit zu verbringen und uns abzulenken. Das hilft uns emotional sehr.
Inwiefern hat die Universität Sie bisher unterstützt?
Shykaliuk: Uta [Zehnder; Anm. d. Red.], die im International Relations Office arbeitet, unterstützt uns sehr. Sie ist wirklich grossartig und spricht viel mit uns.
Kukurudz: Sie und Catrin [E. Schreiber; Anm. d. Red.], die Leiterin der Fachstelle, helfen uns, wo sie nur können. Wichtig zu erwähnen ist auch, dass die Universität Studierende aus der Ukraine aufnimmt. Ich denke, das ist das Beste, was die Universität tun kann.
Weshalb haben Sie sich für Ihr Mobilitätssemester für die Universität Luzern entschieden?
Kukurudz: Ich habe gehört, dass die rechtswissenschaftliche Ausbildung in der Schweiz sehr gut ist. Das wollten wir selbst erleben und diese Möglichkeit wahrnehmen.
Shykaliuk: Die Rechtswissenschaftliche Fakultät in Luzern hat einen sehr guten Ruf. Man kann sehr interessante Kurse wählen. Daher war Luzern eine gute Option.
Sie sind nun seit Beginn des Frühjahrssemester in Luzern. Was ist Ihr bisheriger Eindruck?
Shykaliuk: Wir haben uns einfach in die Stadt Luzern verliebt, die Natur, die Menschen, das sonnige Wetter – einfach in alles.
Kukurudz: Man kann sagen, wir sind überwältigt von der Schönheit dieser Stadt.
«Es wäre falsch zu denken, dass es sich nur um einen Krieg innerhalb der Ukraine handle.»
Was möchten Sie den Menschen der Universität Luzern und der Öffentlichkeit sonst noch mitteilen?
Shykaliuk: Die Leute können die Ukraine mit Spenden, finanziell oder im dringend benötigten medizinischen Bereich helfen. Besonders wichtig ist, sich und andere darüber zu informieren, was in unserem Land wirklich vor sich geht. Es wäre falsch zu denken, dass es sich nur um einen Krieg innerhalb der Ukraine handle. Vielmehr ist es ein Krieg gegen ganz Europa und die gesamte demokratische Welt. Was heute in der Ukraine passiert, kann morgen jedem anderen europäischen Land passieren. Niemand weiss, was der nächste Schritt der russischen Regierung sein wird.
Kukurudz: Im Namen aller Ukrainerinnen und Ukrainer kann ich sagen, dass wir äusserst dankbar für all die Unterstützung und Solidarität sind, welche die Welt uns entgegenbringt. Das beutet uns sehr viel und wir werden diese Hilfe niemals vergessen. Danke an alle, die bereit sind, zu helfen!
Aufnahme von Studierenden
Laufend treffen bei der Universität Luzern Anfragen von Personen aus der Ukraine ein, die ihr Studium oder ihre Forschung in Luzern fortsetzen möchten. In jedem Fall wird geprüft, wie die jeweilige Person unterstützt werden kann. Neu gilt ein erleichtertes Aufnahmeverfahren für Personen mit dem «Schutzstatus S» als Gaststudierende. Für diese entfallen etwa der ansonsten notwendige Nachweis von genügenden Deutschkenntnissen, und sie müssen keine Studiengebühren bezahlen. Weiter können Gaststudierende aus der Ukraine von Stipendien, speziellen Deutsch-Intensivkursen und Aktivitäten zur sozialen Integration Gebrauch machen.
Seit Beginn des Krieges konnten vier Personen aus der Ukraine an der Universität aufgenommen werden, die somit ihr Studium bzw. ihre Forschungstätigkeit in Luzern fortsetzen können. Eine Person erfüllte die regulären Aufnahmebedingen zum Studium schon vor Kriegsausbruch, zwei wurden als Gaststudierende und eine als «Visiting Researcher» akzeptiert.
Weitere Informationen zu «Solidarität mit der Ukraine» und Kontakt für Betroffene