Martina Tollkühn forscht zum Datenschutz innerhalb der katholischen Kirche – und befasst sich damit mit auch im nicht-kirchlichen Kontext intensiv diskutierten Fragen. Ein Grund mehr für sie, sich für die Thematik zu begeistern.

Martina Tollkühn, Forschungsmitarbeiterin an der Theologischen Fakultät. (Bild: Philipp Schmidli)

Sie möchte nicht als Person im Vordergrund stehen, vielmehr gehe es ihr um die Fragestellungen und Themen, mit denen sie sich beschäftige, betont Martina Tollkühn gleich zu Beginn des Gesprächs. «Auch ist es nicht mein persönlicher Erfolg.» Die 36-Jährige kam 2017 als Forschungsmitarbeiterin für das «Swiss Learning Health System» (SLHS) an die Professur für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht von Professor Adrian Loretan nach Luzern. Die aus Franken stammende Theologin forscht und lehrt hier seither im Bereich kirchlicher Datenschutz, Religionsrecht und der Verwendung verschiedener Rechtsebenen.

Ein schöner Zufall

Der Datenschutz war bereits Thema ihrer Dissertation. Während der Arbeit an dieser Schrift, die sie 2019 abschloss, trat die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in Kraft. «Deshalb waren die deutschen (Erz-)Diözesen gefordert, ebenfalls ein neues Datenschutzgesetz, das KDG, zu erstellen, um weiterhin ein den staatlichen Vorgaben vergleichbares Datenschutzniveau zu halten», sagt Martina Tollkühn. «Es war ein schöner Zufall, dass ich genau in dieser Zeit an meiner Dissertation arbeitete. So ergab sich ein sehr aktueller Bezug.» Zudem sei auch der Bereich Datenschutz und Personalakten der kirchlichen Angestellten noch wenig erforscht gewesen. «Deshalb konnte ich aus dem Vollen schöpfen, was natürlich sehr reizvoll war.» Und fügt an: «Es war schon immer mein Credo, dass meine Forschung einen Beitrag zu aktuellen Diskussionen leistet.»

Heute arbeitet Martina Tollkühn in einer Arbeitsgruppe im Bistum Basel mit, bei der es auch um das Thema Datenschutz geht. Neu ist sie sogar beisitzende Richterin mit dem Grad eines kanonischen Lizentiats am interdiözesanen Datenschutzgericht der deutschen Diözesen. Das Gericht erfüllt einen wichtigen Punkt des DSGVO – und damit auch des kirchlichen Datenschutzgesetzes – und ist nicht den einzelnen Diözesanbischöfen unterstellt. Das Kollegium setzt sich aus weltlichen und kirchlichen Richterinnen und Richtern zusammen. «Mit dieser Aufgabe bietet sich mir die Möglichkeit, meine Forschung in der Praxis anzuwenden», sagt Martina Tollkühn. Rund 30 Fälle bearbeitet das Gericht pro Jahr, Tendenz steigend. In einem Fall von 2019 ging es beispielsweise um einen kirchlichen Kindergarten, der eine Gefährdungsmeldung gemacht hatte, weil ein Kind blaue Flecken aufwies und die Eltern dies als Datenschutzverletzung anzeigten.

Rechte der Gläubigen schützen

In einem weiteren Forschungsschwerpunkt geht es um die verschiedenen Rechtsebenen und die Probleme, die auftreten, wenn eine untergeordnete Ebene versucht, übergeordnetes Recht zu ändern. «Konkret untersuche ich die Verwendung von Verwaltungsanweisungen, im kirchlichen Bereich ‹Instruktion› genannt, am Beispiel eines Ministeriums der römischen Kurie, einem ‹Dikasterium›, und ob damit Recht verändert werden könnte.» Diese Versuche, Recht von unten nach oben durchzudrücken, stellen eine reale Gefahr dar, nicht nur im kirchlichen Kontext. Zu beobachten war dies auch während der Corona-Zeit. «Dort stellte sich die Frage, ob die Verordnungen, die erlassen wurden, auch rechtskonform waren», sagt Martina Tollkühn. Diese Fragen wurden während der Pandemie entsprechend kontrovers und öffentlich diskutiert.

Tollkühn schaut, welche Instruktionen seit 1983 vom Dikasterium gemacht wurden, und untersucht die Entwicklung bis heute. Die Fragestellung dabei: Sind die einzelnen Instruktionen noch gesetzeskonform und wie entwickelte sich deren Anwendung? Ihr bisheriges Fazit fällt grundsätzlich positiv aus, allerdings gebe es Instruktionen, die nicht alle Kriterien erfüllten.

Freude hat Martina Tollkühn auch an ihrer Lehrtätigkeit. Kürzlich durfte sie zwei Hauptvorlesungen halten, eine über kirchliches Verfassungsrecht und eine über Rechtsphilosophie/Strafrecht. «Mir ist es wichtig, die Studierenden miteinzubeziehen, und ich achte auch hier darauf, möglichst aktuelle Themen und Entwicklungen einfliessen zu lassen.»

Mir ist es wichtig, die Studierenden miteinzubeziehen, und möglichst aktuelle Themen und Entwicklungen einfliessen zu lassen.
Martina Tollkühn

Besonders interessiert sind die Studierenden am Teilbereich Strafrecht – vor allem die Missbrauchsfälle, die in den letzten Jahren und aktuell wieder vermehrt in der Öffentlichkeit thematisiert werden. «Mir geht es dabei darum, solche Vorkommnisse kirchlich einzuordnen. Häufig wird etwa behauptet, dass Priester dem staatlichen Recht entzogen seien, was falsch ist.» Es ärgert die Wissenschaftlerin zuweilen, wenn in der öffentlichen Diskussion solche Unwahrheiten verbreitet werden. Es gebe Fälle, die nur ins kirchliche Strafrecht fielen, etwa bei einer Hostienschändung. Sie ist der Ansicht, dass es kirchliches Recht durchaus braucht, es diene unter anderem dazu, die Rechte der Gläubigen zu schützen.

Mitten in der Aktualität

Die Ansicht, dass die Kirche, welche eine Botschaft der Liebe verkünde, keine Rechtsordnung brauche, findet sie falsch. «Die katholische Kirche hat über eine Milliarde Mitglieder, da braucht es Leitlinien und gemeinsame Überzeugungen.» Die Tendenz, alle Ungereimtheiten sofort als Verbrechen zu taxieren, bereiten ihr ebenso Mühe, obwohl sie es begrüsst, dass Missbrauchsfälle in der Kirche heute genauer untersucht werden. «Allerdings wird jeder Verdachtsfall sofort verurteilt und die Unschuldsvermutung ausser Acht gelassen.» Es gebe Fehler, die mit Gesprächen ausgeräumt werden können. «Und es gibt Verbrechen, die strafrechtlich belangt werden müssen, da besteht ein klarer Unterschied.»

Wie kam Martina Tollkühn eigentlich auf die Idee, Theologie zu studieren? «Ich komme aus Würzburg, wo das kirchliche Leben noch stark verankert ist. Dort schaut dich niemand an, wenn du sagst, dass du dich mit katholischer Theologie beschäftigst.» Nach dem Studium schloss sie zuerst die Lehramtsausbildung ab und unterrichtete mehrere Jahre, bevor sie in die Wissenschaft zurückkehrte, und dann nach Luzern kam. Das Leben in der Zentralschweiz behagt ihr. «Ich habe viele Freiheiten, was aber Selbstdisziplin und Selbstmanagement erfordert.» An Luzern schätzt sie das grosse kulturelle Angebot. «Eine sehr attraktive Stadt mit einer wunderschönen Natur.»

unilu.ch/martina-tollkuehn