Dem Chatbot ChatGPT wohnt das Potenzial inne, die akademische Welt zu verändern, so die Einschätzung von Campus-Bloggerin Chantal Hüsler. Sie geht der Frage nach, warum das so ist und was das für die Studierenden bedeutet.

Illustration eines künstlichen Gehirns, platziert auf einem Computerprozessor
(Bild: ©istock.com/BlackJack3D)

ChatGPT verfasst einfache Essays und Hausarbeiten in wenigen Sekunden. Die zahlpflichtige Plus-Version kann auf Internet-Inhalte zugreifen bzw. die allerneueste und kostenlose Omni-Version holt sich Informationen sogar eigenständig aus dem Internet. Auch wenn selbst Open AI, das Non-Profit-Unternehmen, das hinter dem boomenden Dienst steckt, eingesteht, dass die Texte noch fehleranfällig sind: Auch inklusive der notwendigen kritischen Überarbeitung ist die ChatGPT-Methode um ein Vielfaches effizienter, als wenn durchgängig ich allein in die Tasten greifen würde. 

Mehr Zeit für anderes

Aus der neuen Situation resultiert ein Dilemma, das sich mit zunehmender Qualität der generierten Texte akzentuieren wird: ChatGPT-Anwendende gewinnen gegenüber den Chatbot-Meidenden Zeit. Während Meidende sich mit dem eigenständigen Verfassen von Essays und Abstracts abmühen, beschränkt sich der Aufwand der Anwendenden auf die redaktionelle Überarbeitung. Die Anwendenden erfüllen ihre Aufgaben markant schneller, wenn auch mit einem geringeren – respektive anderen – Lerneffekt. Im Rahmen der gewonnenen Zeit können sie sich dem Lernen oder ausseruniversitären Beschäftigungen zuwenden. Im Idealfall schlägt sich dieser Zeitbonus in besseren Prüfungsergebnissen oder einem spannenderen CV nieder. Ein Gedanke, der mich als bislang eher Meidende in Unbehagen versetzt, denn ich möchte mit meinen Kommilitoninnen und Kommilitonen mithalten können. Kann ich es mir noch leisten, auf ChatGPT zu verzichten?

Es ist meiner Meinung nach zentral, dass der Transparenz halber ein Kennzeichnungssystem für von Chatbots generierte Texte eingeführt wird.

Natürlich gibt es Argumente, die gegen die Nutzung sprechen. So generiert der Chatbot seine Texte auf der Basis von kontextabhängigen Wahrscheinlichkeiten. Auch vermag ChatGPT nicht zuzuordnen, woher die benutzten Informationen stammen. Die Literaturnachweise überzeugen ebenfalls nicht, denn sie werden nachträglich, ebenfalls basierend auf Wahrscheinlichkeiten, hinzugefügt. Man läuft bei der Nutzung also Gefahr, fehlerhafte und vielleicht auch tendenziöse Informationen zu verbreiten. Davon sind wir alle, Meidende und Anwendende, betroffen! Es ist deshalb meiner Meinung nach zentral, dass der Transparenz halber ein Kennzeichnungssystem für von Chatbots generierte Texte eingeführt wird, sodass mit der gebührenden Skepsis an diese herangegangen werden kann. Bis ein solches «Wasserzeichen» allenfalls kommt, verfahre ich nun noch sorgfältiger bei der Auswahl meiner Quellen. So oder so überwiegen meiner Einschätzung nach die Vorteile: Das bedachte Arbeiten mit diesen sogenannten «Large Language Models» (LLM) vorausgesetzt, scheint mir die Nutzung durchaus vertretbar – ChatGPT & Co. dürften wohl ohnehin schon sehr bald zu unserem Alltag gehören.

Bedeutsame Kreativität

Was aber geschieht, wenn alle Universitätsangehörigen diese Dienste nutzen? Meiner Meinung nach wird sich dadurch das Forschen und Lehren sowie das Studieren verändern. Dies, zumal es nun ja jeder und jedem möglich ist, einen gut formulierten Text zu verfassen. Nach welchen Massstäben kann so noch eine angemessene Bewertung erfolgen? Ich nehme an, dass Kreativität und «Out of the Box»-Denken in den Fokus rücken. Dies wird die allgemeine Wissensschaffung beschleunigen. Um des Fortschritts willen begrüsse ich diese Entwicklung zwar. Gleichzeitig graut mir vor schlaflosen Nächten, um den erhöhten Anforderungen an meine Kreativität und dem grösseren Publikationsdruck gerecht zu werden. Denn: Bei grossflächiger Nutzung würde der neue Effizienzstandard ChatGPT niemandem mehr einen zeitlichen Vorteil bescheren. 

Ich rate daher allen Studierenden, sich einen sinnvollen Umgang mit Chatbots frühzeitig anzueignen. Seminararbeiten bilden einen guten Rahmen, um damit zu experimentieren. Denn es stellt einen von Unsicherheiten geprägten Balanceakt dar, ChatGPT zu nutzen, ohne die eigenständige Autorschaft an seinem Text zu gefährden. Die Universität Luzern kommt uns Studierenden hier entgegen: So haben einige Fakultäten dazu inzwischen Leitfäden realisiert. Die klare Rahmensetzung lädt ein, ChatGPT regelkonform einzusetzen und auszuprobieren. So soll gewährleistet werden, dass uns das innovative Tool nicht zum Nachteil wird.

Chantal Hüsler

Bachelorstudentin der Geschichte und Rechtswissenschaft